Burgenland: Ein Jahr rot-blaue Regierung
"Es sprießen schon genug Bürgerwehren aus dem Boden. Wenn private Gruppen durch die Straßen patrouillieren, kommen unangenehme Erinnerungen auf.“ Es ist der letzte Eintrag der Facebook-Gruppe "Gegen Rot-Blau“, erstellt am 22. Jänner. Auch die Grünen starteten eine Petition gegen die "Sicherheitspartner“ der FPÖ. Magere 600 Personen unterzeichneten sie. Der blaue Sicherheitslandesrat und FPÖ-Burgenland-Chef Johann Tschürtz zeigt sich unbeeindruckt und beginnt im September sein Prestigeprojekt.
Wie wird sie auftreten, die erste blaue Bürgerwehr? Eher nicht wie eine Gruppe stiernackiger Skinheads, die mit Baseball-Schlägern Jagd auf "Ost-Diebe“ macht. Als prototypischen Sicherheitspartner muss man sich eine arbeitslose Frau Mitte 50 vorstellen, die in einem kleinen Elektro-Auto zwischen Häusern herumkurvt, deren Besitzer auf Urlaub sind. Bei Auffälligkeiten aktiviert sie einen gelben Lichtbalken am Autodach. Wie Tschürtz erzählt, werden 20 Arbeitslose über 50 für den Einsatz geschult. "Über weibliches Interesse freue ich mich besonders.“ Drei kleine Elektro-Autos der Marke Renault Zoe sind schon bestellt.
Gelblicht statt Blaulicht, eine E-Tankstelle in jedem der zwölf Testorte: Wird aus einem paramilitärisch anmutenden Projekt am Ende ein ökologisches Nachbarschaftskränzchen?
Tabubruch vor einem Jahr
Vor einem Jahr wagte die burgenländische SPÖ den Tabubruch und holte die FPÖ in die neue Regierung. Es war der erste große Riss im roten Schutzwall ("cordon sanitaire“), der 1986 gegen die Haider-FPÖ aufgezogen wurde. Der Riss verläuft seither auch quer durch die SPÖ. Im Burgenland kontert die Mannschaft des roten Landeshauptmannes Hans Niessl seither jegliche Kritik der Bundesgenossen mit einem Loblied auf die neue "Sachpolitik“. Landauf, landab loben rote und blaue Politiker die "Entfesselung“ von Reformen (siehe Interview mit SPÖ-Soziallandesrat Norbert Darabos). Das macht den Tabubruch in der SPÖ aber noch lange nicht vergessen. Der Rechtfertigungsdruck für die burgenländischen Genossen könnte wieder steigen, wenn Europas Rechtspopulisten vom französischen Front National bis zur FPÖ zum Angriff auf die EU blasen - von der das Burgenland seit dem Beitritt Österreichs ganz besonders profitiert hat.
Präsidiumssitzung im Ortszentrum von Gols. Nach der Mittagspause erklärt der blaue Landesrat für Wirtschaft und Tourismus, Alexander Petschnig, bei einer Pressekonferenz im Hinterzimmer, warum die Wahl auf den Kirchenwirt fiel. "Hier entstehen 23 neue Gästezimmer. Wir begleiten den Ausbau positiv.“ Der Antrag auf Förderung sei schon vier Jahre alt, er habe ihn nach der Amtsübernahme vor einem Jahr genehmigt. Der Chef des Kirchenwirtes bestätigt die Förderung. Zur blauen Lokalprominenz sagt er: "Geschäft ist Geschäft.“ Was Petschnig verschweigt: Ein Drittel der Förderung kommt von der EU über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung. "Im Burgenland sind EU-Gelder gang und gäbe, das muss man hier gar nicht mehr extra dazusagen.“ Wenn Petschnig Besucherrekorde in den Thermen politisch verkauft, wird er den Geldsprudel aus Brüssel wohl ebenfalls unerwähnt lassen. Eine Milliarde Euro floss seit dem EU-Beitritt ins Burgenland. Laut, wenn es gegen die EU geht, leise, wenn sie liefert: das alte Leiden der EU.
Tschürtz gibt beim Kirchenwirt die Stoßrichtung für die Gemeinderatswahl im Herbst 2017 vor. 80 neue Gemeinderäte und vier Bürgermeistersessel will er von den Roten und Schwarzen erobern. Derzeit ist keine einzige der 171 Gemeinden blau. In manchen Orten existiert die FPÖ gar nicht. Mit fast 200 neuen Mitgliedern sei der Zulauf aber groß wie nie. Tschürtz hofft, dass sich in den Orten FPÖ-Sympathisanten nun massenhaft outen und aktiv werden. "Die FPÖ nutzt die Regierungsbeteiligung, um ihre lokalen Strukturen aufzubauen. Das wird bei der Gemeinderatswahl mit Sicherheit auch auf Kosten der SPÖ gehen“, sagt die grüne Landesgeschäftsführerin Anita Malli.
FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache plant den pannonischen Rückenwind vor der Nationalratswahl 2018 wohl schon fix ein. Wenn sich der Himmel über Europa weiter verdüstert, könnte es auch Rückenwind für eine Abstimmung über die EU-Mitgliedschaft Österreichs sein, mit der die FPÖ liebäugelt. SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern will von einem Referendum nichts wissen. In der FPÖ sagt sogar der sonst eher vorsichtige Johann Tschürtz: "Wenn man in 1,5 Jahren nicht erkennt, dass sich die EU-Politik grundsätzlich ändert, dann kann man durchaus über eine Volksabstimmung nachdenken.“
Drohnen gegen Stare
Kein Freund von Tschürtz war der Golser Kilian Brandstätter. Per Aussendung forderte er ihn früher gerne auf, die "braunen Sümpfe bei den Freiheitlichen“ trockenzulegen. Dann flog Brandstätter als Chef der Sozialistischen Jugend Burgenland raus, weil er die Koalition mit der FPÖ mittrug. Heute ist der 24-Jährige Landtags-Abgeordneter und geht gemeinsam mit den Freiheitlichen auf Vogeljagd - per Drohne. Der Kampf gegen die Stare ist Thema im größten Weinort des Burgenlandes. Die lästigen Vögel fressen die Golser Weintrauben. Künftig sollen fliegende Plastikfalken Stare abschrecken und gefährliche Schussanlagen ersetzen. Für Brandstätter ist dies ein Beweis, dass die rot-blaue Zusammenarbeit funktioniert. Dem ehemals rot-revolutionären Jungpolitiker gebietet es heute die "Sachpolitik“, auch mit dem Ring Freiheitlicher Jugend zusammenzuarbeiten, der die ultra-rechten Identitären gerne im Burgenland begrüßt.
Gegen die Identitären demonstriert Arnold Paukowitsch, wo immer sie aufmarschieren. Der bekennende "Marxist-Leninist“ crashte vor einem Jahr als falscher Fotograf die Antrittspressekonferenz von Niessl und Tschürtz und drängte sich österreichweit ins Live-Bild. "Wir waren 15 Personen und haben die Aktion spontan geplant. Ich war der Einzige, der aufzeigte, und dann so nervös, dass ich ganz etwas anderes sagte als geplant“, erinnert sich der 22-Jährige Jus-Student in Eisenstadt. Er ist Mitglied der "Offensive gegen Rechts“. Sie organisierte die ersten Demos und gelobte, der verhassten Landesregierung "keine ruhige Minute“ zu gönnen. Um die Aktivisten ist es seither ruhig geworden, während Niessl und Tschürtz ungestört ein Jahr Rot-Blau feiern konnten.
Kittsee an der slowakischen Grenze. "Es hat sich nichts verbessert und nichts verschlechtert.“ Die Pensionistin Hana Kuni zieht beim Wirt am Hauptplatz Bilanz. Ab September kurven hier die Sicherheitspartner durch den Ort. Die Apothekerin Petra Fras hält das Projekt für eine "Augenauswischerei: Die haben keine Berechtigung, einzuschreiten. Wo sind außerdem die Überwachungskameras, die uns Niessl vor der Wahl versprochen hat?“ Kleinkriminalität ist ein großes Thema im Ort. Von gestohlenen Rädern, Rasenmähern oder Schuhen könne jeder Kittseer ein Lied singen. Man wird sehen, wie oft den burgenländischen Orten wie Kittsee künftig die gelben und blauen Lichter aufgehen.