Burschenschaften und Co: Wiener Neustadt gilt als Hotspot der rechten Szene
Dem ehemaligen Bürgermeister von Wiener Neustadt, Peter Wittmann (SPÖ), ist in diesen Tagen unbehaglich zumute. Zuerst wurde bekannt, dass der Illustrator des Nazi-Liederbuchs, in dem der Holocaust aufs Niederträchtigste verhöhnt wird ("Gebt Gas, Ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million"), nicht nur Mitglied der pennalen Burschenschaft "Germania Wiener Neustadt", sondern auch langjähriges SPÖ-Mitglied war. Vergangenen Dienstag wurde der ehemalige Bauamtsdirektor und Hobbykünstler aus der SPÖ ausgeschlossen. Dann erfuhr die Öffentlichkeit, dass Wittmann im Jahr 1994 die "Germania" um einen Beitrag zum 800-Jahr-Jubiläum der Stadt gebeten hatte. Die Burschen gaben Lieder zum Besten. Am Ende tauchte auch noch ein Foto auf, auf dem Wittmann mit Mitgliedern der "Germania", angetan mit Schärpen und Burschenschafter-Kappen, darunter auch der besagte Genosse, zu sehen ist.
"Damals ist jeder Verein angeschrieben worden - that's it", sagt Wittmann. Er könne sich nicht an den Liederabend erinnern. Er habe keine Ahnung von Burschenschaften und wer da wo hingehöre. "Mit so etwas wollen wir nichts zu tun haben, und ich schon gar nicht", sagt Wittmann.
Vergangene Woche ist auch die Hauptperson in dieser Affäre, Udo Landbauer, aus der "Germania" ausgetreten und hat alle Funktionen in der FPÖ zurückgelegt. Bis auf Widerruf. Für den 31-Jährigen ist das eine Zäsur. Sein Berufsleben hat sich bisher nur im Schoße der Partei abgespielt. Als Referent von Johann Gudenus, als Generalsekretär und Vorsitzender der FPÖ-Jugend und zuletzt als Stadtrat von Wiener Neustadt.
Dass die Mitgliedschaft in einer schlagenden Verbindung seine Karriere stoppen könnte, hätte er niemals für möglich gehalten. Zu ihren Mitgliedern gehören angesehene Bürger der Stadt, ehemalige Lehrer, Gemeinderäte, Studenten. Eine verschworene Gemeinschaft. Niemand wusste offenbar, was hinter den dicken Mauern im Rabenturm an der alten Stadtmauer in Wiener Neustadt vor sich ging, wo die "Germania" beheimatet ist. Doch sie ist wohl eingebettet in ein gesellschaftliches Klima von Deutschtum und Ausländerfeindlichkeit.
Diese Texte sind widerlich, abartig und jenseitig.
Alihan Turgut, 54, könnte ein Lied davon singen. Vor 28 Jahren war er nach Österreich gekommen. Er hat am Bau, im Lager, in der Küche gearbeitet. Seine Frau kam nach, Kinder wurden geboren. Elf Jahre lang betrieb er einen Stand namens "Kebab Ali" am Wiener Neustädter Hauptplatz. Das Geschäft lief gut, bis Stadtrat Landbauer, für Marktangelegenheiten zuständig, die Bewilligung nicht verlängerte.
Herr Turgut könne nicht gut genug deutsch sprechen, hieß es. Auch wolle man Zuwanderern "kein Wohlfühlumfeld bieten". Es gab Solidaritätsaktionen. Es nützte alles nichts.
Sein Kiosk steht jetzt im Nirgendwo, fern vom Stadtzentrum. Auf einer Seite braust der Verkehr auf die Autobahnauffahrt zu, die andere Straße führt zu einem verwaisten Parkplatz mit Müllcontainern. Dahinter die Eisenbahntrasse. Herr Turgut denkt ans Aufgeben. "Ich hab mein Leben lang gearbeitet. Küche, Bau, Billa. Immer nur Ausländer. Wie kann ich gut deutsch reden?", fragt Turgut.
Dort, wo man ihn vertrieben hat, am Hauptplatz, steht jetzt ein Maronistand. Kartoffelscheiben und Kastanien zischen auf dem runden, heißen Ofenblech. Aus dem Dunkel des Verschlags lächelt eine Frau hervor. Sie kommt aus Nigeria und hat mit den Einheimischen hier so manches mitgemacht. Viele sind freundlich, doch sie wird auch angepöbelt.
Manchmal hastet eine andere Fremde vorüber. Dann lächeln sie sich zu. Sie wissen Bescheid.
Nazi-Sprüche
Die andere, Frau S. aus Venezuela, betrieb einmal eine kleine Bar in der Innenstadt. Eines Nachts im Oktober 2010 kamen kurz vor der Sperrstunde drei Männer vorbei. Sie stänkerten über Ausländer, über sie. Es fielen Nazi-Sprüche. Trotz ihrer Angst machte sie ein Foto von den Männern. Die bekamen das mit. Da wurde es gefährlich. Die Polizei wurde gerufen. Auf dem Foto ist der notorische Neonazi Gottfried Küssel zu sehen, mit Freunden. Küssel sitzt heute wegen schwerwiegender neonazistischer Aktivitäten eine Haftstrafe ab. Die Bar gibt es nicht mehr.
Es herrscht eine gewisse Gleichgültigkeit in Wiener Neustadt, eine Unempfindlichkeit gegenüber dem Leid anderer. Als ob man sich mit rechten Umtrieben, die in den 1990er-Jahren verstärkt einsetzten, abgefunden hätte.
Wiener Neustadt ist eine alte Stadt. Doch das Alte wurde zu einem großen Teil zerstört. Das jüdische Wiener Neustadt wurde schon 1938 in Schutt und Asche gelegt, der andere Teil 1943 bis 1945. Wegen der Rüstungsindustrie, der Flugzeugwerke und der Eisenbahn war Wiener Neustadt Ziel alliierter Bombenangriffe. Nur 18 Häuser blieben verschont. So tritt man heute aus einer Welt von glatten Häuserfassaden hinein in einen Torbogen, in dem die Geschichte schlummert.
Die Beschwörung des Alten, der Stolz auf die von Maria Theresia gegründete Militärakademie, Festungsmentalität und Heeresgeist haben vielleicht ebenso zur Etablierung rechtsradikaler Umtriebe beigetragen wie die geografische Nähe zu neonazistischen Szenegrößen wie NDP-Chef Norbert Burger. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hat Burger, dessen Familie und Freunde in jungen Jahren gut gekannt. Rund um Küssel hatten sich damals Kameradschaftsgruppen gebildet. Es gab Wehrsportübungen, in denen die Jungen lernten, wie man dem Gegner die Gurgel durchschneidet. 1990 trat eine Gruppe auf, die sich "Sturmtruppe Ost" nannte. Ihre Flugblätter -"Österreich war deutsch, ist deutsch und bleibt deutsch" - hatten sie im Parteilokal der FPÖ hergestellt. Einer von ihnen war bei der FPÖ-Jugend.
Eine Generation danach traten neue rechtsradikale Gruppen auf den Plan. Mittlerweile waren erhebliche Teile der früheren sozialdemokratischen Wählerschaft zur FPÖ gewechselt. Ausländer im Gemeindebau und Ausländer im Schulungsprogramm des AMS waren ins Visier der FPÖ geraten. 2009 rief die damals noch sozialdemokratisch regierte Stadt eine Plakat-Kampagne zur Integration ins Leben. Migranten, die es geschafft hatten, wurden mit dem Slogan "Hier bin ich zu Hause" vorgestellt. Eines Morgens waren die Bögen mit weißen Streifen und der hässlichen Aufschrift "Ich will heim" überklebt.
Die Betreiber der Neonazi-Homepage "Alpen-Donau" feierten das als großen Erfolg, bewarben die Aktion und rühmten sich der Freiwilligen, die hier tätig waren. Die FPÖ begleitete das Geschehen mit politischen Statements. Landbauer höhnte den Stadtchef als "Türkenbürgermeister".
Im Jahr der Flüchtlingskrise, 2015, wurden Asylwerber in Wiener Neustadt aus einem Auto heraus mit einer Soft-Gun beschossen.
Man ist in Wiener Neustadt an Uniformen, militärischen Gruß und Waffen gewöhnt. Das gehört zum Alltagsbild. Der Park des riesigen Gebäudekomplexes der Theresianischen Militärakademie ist öffentlich zugänglich. In der ehemaligen Burg der Babenberger werden zukünftige Offiziere ausgebildet. Auch dort ist eine deutsch-nationale Burschenschaft aktiv. Im gegenüberliegenden Gebäude befindet sich das Oberstufenrealgymnasium mit angeschlossenem Internat. An der Glastür des Eingangs klebt das Werbepickerl einer Burschenschaft. Der Heeres-Sport-Club bewirbt den Fünfkampf, zu dem das Fechten gehört. Die Schüler tragen eine Uniform, die der eines Soldaten gleicht. Das Gymnasium sollte geschlossen werden, die letzten beiden Klassen in diesem Sommer maturieren. Doch die erste Maßnahme, die die neue Regierung Anfang Jänner verkündete, war die Beibehaltung des Gymnasiums in neuer Form. Laut Generalsekretär Wolfgang Baumann im Landesverteidigungsministerium soll es eine "Eliteschule" werden.
Seit Langem geht das Gerücht um, dass viele Absolventen dieser Schule von der "Germania" angeheuert worden seien. Schulleiter Werner Sulzgruber ist darüber empört. Eltern seien besorgt, der Ruf bestehe zu Unrecht. Auf der Website des Gymnasiums sind in der Tat zahlreiche Projekte zur Erinnerungsarbeit und zur politischen Bildung angeführt, unter anderem die Auseinandersetzung mit der Frage: "Treu bis in den Tod?" Das ist wohl kein Zufall. "Treu in Not und Tod" ist das Motto der "Germania".
Sulzgruber hat recht, was die vergangenen drei Jahre betrifft, seitdem er die Schulleitung innehat. Doch in den Jahren davor, als etwa Udo Landbauer diese Schule besuchte, war noch Militärpfarrer Siegfried Lochner im Lehrerstand, ein ausgewiesener Reaktionär, der 1998 von "asiatischen Horden" sprach, die heute "unter uns leben". Den katholischen Wehrdienstverweigerer Franz Jägerstätter, der für seine Haltung unter den Nazis mit dem Leben bezahlte, nannte Lochner einen "irrenden Geist". Lochner soll charismatisch gewesen, bei Jugendlichen gut angekommen sein. Dass sich Heinz-Christian Strache im Jahr 2009 von Lochner firmen ließ, dürfte Lochners Ansehen noch gesteigert haben.
profil liegt eine Liste von etwa zwei Dutzend Mitgliedern der "Germania" vor. Einige von ihnen waren Schüler des Militärgymnasiums. Auch Stefan Berger, Wiener FPÖ-Gemeinderat und "Aldane": Er hat profil kurz vor Redaktionsschluss diese Stellungnahme zukommen lassen: "Die medial diskutierten Liedstellen sind widerlich und verurteilenswert. Natürlich kannte ich diese nicht. Wäre dem so gewesen, hätte ich Strafanzeige erstattet. Unmittelbar nach dem Bekanntwerden bin ich bis zur restlichen Klärung sofort ausgetreten. Mit diesem Gedankengut will ich nichts zu tun haben."