BVT: Goldgruberstimmung
Es war so Ende Oktober des Vorjahres, die Nationalratswahlen waren geschlagen, ein neues Regierungsbündnis dräute, als ich Gelegenheit hatte, mit Herbert Kickl zu sprechen.
Kurzes Telefonat, heikles Thema: das notorische „Konvolut“, eine 39-seitige Schriftensammlung, die ab dem Frühjahr 2017 verschickt worden war. An Staatsanwälte, Journalisten, Politiker. Ich war einer der Empfänger, Kickl ein weiterer. Ein anonymer Insider, vielleicht auch mehrere, jedenfalls fantasiebegabt, haufenweise haarsträubende Schilderungen angeblich krimineller Handlungen eines angeblich verschworenen ÖVP-Netzwerks, das angeblich weite Teile des österreichischen Sicherheitsapparats unterwandert hatte: die Landespolizeidirektionen, das Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung, das Bundeskriminalamt, die Cobra, das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung. Und mittendrin: Michael Kloibmüller, Kabinettschef mehrerer ÖVP-Minister, Sektionschef, Personalvertreter, die angebliche Spinne im Netz.
Wie lange Kickl diese Gerüchtesammlung schon kannte, sagte er damals nicht. Im Wahlkampf hatte er diese jedenfalls nicht gegen die ÖVP eingesetzt (wie auch andere wahlwerbende Parteien nicht, die ebenfalls in deren Besitz gekommen waren. Es hatten wohl alle dasselbe Problem: Die Behauptungen waren nicht zu belegen, hauptsächlich deshalb, weil sie großteils erfunden waren.).
Kickl wollte den Inhalt des Konvoluts nach eigener Darstellung nicht überbewerten, es fehlten ja die Beweise. Ich verstieg mich zu der flapsigen Bemerkung, dass ich, würde ich um Ministerien pokern, doch versucht wäre, so ein Ding zu meinen Gunsten auszuspielen. Kickl scherzend: „Davon können Sie ausgehen.“
Am 18. Dezember 2017 wurde der langjährige FPÖ-Generalsekretär als 23. Innenminister der Zweiten Republik angelobt – und ernannte seinen Vertrauten Peter Goldgruber zum Generalsekretär des Innenressorts. Einen Monat später marschierte Goldgruber bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) auf und deponierte eben jenes anonyme Konvolut, kurz darauf schauten auch schon erste „Belastungszeugen“ bei der WKStA vorbei – zwei kamen sogar mit einem von Kickls Referenten an der Hand.
Was seither geschah, steht längst im Rang einer Staatsaffäre. Ein Ermittlungsverfahren auf Grundlage vager Zeugenaussagen und/oder anonymer Behauptungen, Razzien im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung auf Grundlage abstruser Verdachtsmomente, die Involvierung der Einsatzgruppe Straßenkriminalität, Suspendierungen, widersprüchliche Aussagen über Art und Umfang der vorgenommenen Sicherstellungen, ein nahender parlamentarischer Untersuchungsausschuss.
Kickl und Goldgruber reden sich, auf den Fall BVT angesprochen, reflexartig auf die Staatsanwaltschaft aus – zur Rolle des BMI-Kabinetts äußern sie sich nicht. Umgekehrt lässt sich bis heute nicht die Frage beantworten, was eigentlich die fallführende Staatsanwältin motiviert.
In dieser Causa geht es auch nur mehr vordergründig um ein fragwürdiges Ermittlungsverfahren. Es geht um den längst eingeleiteten Umbau des österreichischen Sicherheitsapparates, die Lähmung oder Entfernung potenzieller Gegenspieler, um Posten, Pouvoirs, Kontrolle, Macht, parteipolitische Interessen und natürlich um Information. Auch um den Preis, den österreichischen Verfassungsschutz international der Lächerlichkeit preiszugeben, womöglich gar zu isolieren.
Donnerstag vergangener Woche vermeldete die Tageszeitung „Die Presse“ online, dass nun einer der Beschuldigten im BVT-Verfahren, der langjährige Leiter der Spionageabwehr, entlassen worden sei. Dies deshalb, weil er unerlaubterweise Akten aus dem Büro mit in einen kurzfristigen Pflegeurlaub daheim genommen hatte, um diese abzuarbeiten – „geheim klassifizierte Dokumente nach der Geheimschutzordnung“, wie es in den Entlassungspapieren heißt, unterfertigt von einem Beamten der Präsidialsektion des Innenministeriums, „in Vertretung des Bundesministers“. Nach profil-Recherchen soll es sich bei den beanstandeten Dokumenten hauptsächlich um ein Konzept zum Schutz eines türkischen Staatsanwalts handeln, Projektname „Ikarus“.
Ein Dienstvergehen, keine Frage. Aber rechtfertigt das die Fristlose, um Wochen verzögert zumal? Aufgefunden wurden die Dokumente nämlich bereits im Rahmen der Hausdurchsuchungen am 28. Februar; seither war der Betroffene, ein Vertragsbediensteter, auch freigestellt. Gegen ihn richtet sich im Wesentlichen der Vorwurf, er habe die Rechte der Volksrepublik Nordkorea „verletzt“ – indem er dem südkoreanischen Geheimdienst NIS 2016 drei nordkoreanische Passrohlinge aus österreichischer Produktion beschaffte (profil berichtete dazu ausführlich).
Der Innenminister hat den Ausgang der Ermittlungen gegen den nunmehr ehemaligen Chef der Spionageabwehr nicht abgewartet – er hat mit dem Rauswurf Tatsachen geschaffen. Keine gänzlich unbedeutenden. Der Entlassene leitete in den vergangenen acht Jahren das BVT-Referat „2.3. Nachrichtendienst und Proliferation“, eines der wichtigsten Ressorts innerhalb des Verfassungsschutzes, international vernetzt. Ebenda laufen Erkenntnisse über alles und jeden zusammen, der in den Verdacht gerät, für einen ausländischen Dienst zu arbeiten, mit Waffen oder nuklearem Material zu handeln, Cyber- oder Wirtschaftsspionage zu betreiben, Embargobestimmungen zu umgehen. Knapp mehr als 30 Leute sind dem Referat zugeteilt, sie arbeiten in mehreren Gruppen mit regionalen Schwerpunkten: Iran/Arabische Länder ist einer, Russland/Zentralasien ein zweiter, China/Nordkorea ein dritter.
Das BVT ist einerseits ein polizeiliches Ermittlungsbüro, das Staatsanwaltschaften zuarbeitet, es ist aber auch ein Nachrichtendienst, der Informationen sammelt und diese mit befreundeten ausländischen Stellen teilt. Kein ganz einfaches Geschäft, das auf Vertrauen und persönlichen Kontakten aufbaut. Der Ex-Referatsleiter gilt in der internationalen Schlapphut-Community als bestens verdrahtet, seine Entfernung wird die Besorgnis ausländischer Dienste über die Vorgänge in Österreich eher nicht lindern. Gerade die Deutschen sind derzeit ziemlich alarmiert, wie man so hört. Denn es deutet einiges darauf hin, dass im Zuge der Razzien auch „Erkenntnisgewinnungen“ ausländischer Nachrichtendienste sichergestellt wurden.
Der Ex-Referatsleiter wird die Entlassung vor dem Arbeits- und Sozialgericht bekämpfen. Er weiß jedenfalls viel – zu viel? Welche Informationen liegen der Spionageabwehr zum Beispiel über die Aktivitäten russischer Agenten in Österreich vor? Was weiß das BVT über russische Kontakte des einen oder anderen FPÖ-Repräsentanten? Könnte es sein, dass sich das BVT für die Umtriebe rechtsextremer Russen in Österreich interessiert hat? Und ist es bloß ein Zufall, dass der Entlassene eine Vergangenheit in der ÖVP hat? Ehe er beim BVT andockte, hatte er unter anderem in deren Parlamentsklub gearbeitet. Er gilt als Vertrauter von Michael Kloibmüller, der das Ministerium bereits vor zwei Monaten verlassen hat (auch Kloibmüller wird von der WKStA mittlerweile als Beschuldigter geführt; Verdacht des Amtsmissbrauchs; Verdachtslage: dünn, bisher zumindest).
Dass der Ex-Referatsleiter obendrein leitender Ermittler im Fall „Lansky/Aliyev“ war, passt da nur zu gut ins Bild. Der Rechtsanwalt Gabriel Lansky stand vor Jahren im Zentrum (2016 eingestellter) staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen wegen seiner vermuteten (und nie bewiesenen) Verbindungen zum kasachischen Geheimdienst KNB, das BVT war treibende Kraft. Jetzt heißt es, das BVT habe Daten aus Lanskys Kanzlei widerrechtlich ausgewertet, womöglich sogar an den ÖVP-Parlamentsklub geschickt (wofür es keinen Beleg gibt, alle Beteiligten dementieren das). Lansky hat sich dem BVT-Verfahren als Privatbeteiligter angeschlossen.
Die Entlassung wurde übrigens ohne Einbindung von BVT-Direktor Peter Gridling ausgesprochen. Den hatte Kickl am 13. März suspendiert, weil auch gegen Gridling Verdachtsmomente bestehen (und seien sie auch noch so diffus). Gridling hat die Suspendierung zwar vor dem Bundesverwaltungsgericht erfolgreich bekämpft und sich gleichsam zurück ins Amt geklagt. In den inneren Kreis um den Minister wird er wohl nicht mehr vorstoßen. Und dann wäre da noch die Leiterin des Extremismus-Referats, scharfe Beobachterin der rechten Szene im Land. Wie ausführlich berichtet, wurden auch bei ihr umfangreiche Sicherstellungen vorgenommen – obwohl sie in dem Verfahren nur eine Zeugin ist. Ihre weitere Ermittlungstätigkeit im rechten Milieu wurde dadurch massiv erschwert. Aber das war ja wohl der Plan.