BVT-Skandal: Verdächtigt, angeklagt, freigesprochen, ruiniert
„Machen Sie die Tür auf oder wir rammen sie ein“, schrie der Polizist am anderen Ende der Telefonleitung. Spionageabwehrchef Bernhard P. saß zu Hause in Niederösterreich am Frühstückstisch, zog sich eine Hose an, während es an seiner Tür bereits Sturm klingelte, und öffnete. Im oberen Stock lagen seine beiden kranken Kinder in ihren Betten. P. rief hinauf: „Egal was ist, ihr bleibt auf euren Zimmern.“ Dann verlangte er seinen Anwalt zu sprechen. Kurz darauf durchsuchten Einsatzkräfte sein Haus. Bernhard P. konnte nur fassungslos zusehen. Zum anwesenden Staatsanwalt sagte er: „Sie wissen gar nicht, was Sie da gerade anstellen. Das wird eine Staatskrise.“
28. Februar 2018. Nicht nur bei Bernhard P. zu Hause waren die Wühltrupps am Werk, sondern auch an seinem Arbeitsplatz und dem seiner Kollegen: im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hatte die Durchsuchung angeordnet; ein Journalrichter segnete sie in den Abendstunden ab, offenbar ohne sich näher mit dem Sachverhalt zu beschäftigen, wie er später zugab.
Grundlage der eiligen Anordnung war ein anonymes Pamphlet, das seit dem Nationalratswahlkampf im Sommer 2017 die Runde machte. Es war gespickt mit Vorwürfen gegen Beamte des Innenministeriums – und vor allem gegen den Verfassungsschutz, der als eine Art Geheimdienst für die Republik fungiert. Nachrichtendienstlich war das Konvolut gut gestrickt: Es hatte einen wahren Kern und wirkte auf den ersten Blick deshalb wie eine Sensation.
Die handelnden Personen waren echt. Offenbar verfügte der Verfasser über Insiderwissen aus der Behörde, denn er nannte Details wie Aktenzahlen oder Namen von Undercover-Mitarbeitern. Die Qualitätsjournalisten des Landes stürzten sich mit Feuereifer auf das Dokument. Der Lack blätterte aber rasch ab. Kaum hatte man mit ein paar Grundrecherchen an der Oberfläche gekratzt, kamen darunter ein Haufen von Verleumdungen, haltlosen Behauptungen und Lügen zum Vorschein.
Die WKStA fiel in das Amt ein
Grundlage für die Razzia war ein anonymes Pamphlet - und vier Zeugen, die sich im Nachhinein als nicht besonders valide herausstellten. Vorerhebungen wurden kaum bis nicht geführt.
Die WKStA sah das freilich anders – vielleicht, weil sie sich trotz der sensiblen Thematik nicht die Mühe gemacht hatte, intensivere Vorerhebungen zu machen, bevor sie die Polizei mit dem Rammbock losmarschieren ließ. Die zuständige Staatsanwältin Ursula Schmudermayer gab später zu Protokoll, ihr sei aus Gründen der Geheimhaltung nicht möglich gewesen, zuerst noch mehr Informationen einzuholen.
P. behielt Recht: Die Razzien im Herzen der Republik wuchsen sich zu einer Staatskrise aus. Internationale Medien berichteten ausführlich. Schließlich war die umstrittene türkis-blaue Koalition erst wenige Wochen im Amt, und so etwas hatte es in Europa zuvor noch nicht gegeben: Eine Justiz, die beim Nachrichtendienst einmarschiert und wahllos Berge von Dokumenten und elektronische Daten mitnimmt. Darunter absolut vertrauliche Informationen von bis dahin befreundeten, westlichen Partnerdiensten, die daraufhin Österreich aus ihren Kreisen ausschlossen. Eine gefährliche Situation für das kleines Land, das auf Hilfe und Kooperationen angewiesen ist.
„Als sie in meinem Haus fertig waren, musste ich mit ihnen ins Amt fahren und mitansehen, wie diese 0815-Polizisten in meinem Büro alle Unterlagen durchwühlten – von geheim bis streng geheim. Ich habe dauernd vor mich hingeredet: Haben die eigentlich die nötige Sicherheitsüberprüfung?“ Eine gute Frage, die hatten sie wohl nicht. Die Einheit, die vom Innenministerium geschickt worden war, beschäftigte sich sonst hauptberuflich mit dem Kampf gegen Straßenkriminalität. Dass ausgerechnet sie für den Einsatz auserkoren wurde, war mehr als ungewöhnlich.
Sie wissen gar nicht, was Sie da gerade anstellen. Das wird eine Staatskrise.
Als die Exekutive nach Stunden mit der Durchsuchung fertig war und die Daten – teils ohne staatsanwaltliche Aufsicht – abtransportierte, musste P. alles abgeben: seine Zutrittskarten , seinen Dienstausweis, seine Dienstwaffe. Dann folgte die Suspendierung. Auf Weisung des Ministeriums.
Hitzige Winternächte
P. stand im wahrsten Sinne des Wortes plötzlich auf der Straße, am Rennweg vor dem Gebäude, das eben noch sein Arbeitsplatz war. Wo er so viele Stunden und Überstunden verbracht hatte, weil er fest daran geglaubt hatte, dass es seine Aufgabe war, das Land vor Terroristen, Spionen und Verbrechern zu schützen. Und jetzt sollte das Land vor ihm geschützt werden? Sein Leben war innerhalb eines halben Tages komplett auf den Kopf gestellt worden.
Beruflich, aber auch persönlich: „Ich hatte bis dahin ein angemessenes Gehalt, war guter Mittelstand. Ein Akademiker im Staatsdienst eben. Ich konnte meine Familie versorgen, ich brauchte mir keine Sorgen machen, wie ich ein Tenniscamp oder einen Skikurs für die Kinder finanzieren soll. Und ich habe geglaubt, dass ich einen krisensicheren Job hatte.“ Ein Irrtum.
P. blieb eine Weile vor dem Gebäude stehen, es fiel ihm schwer, sich loszureißen. Dann verließ er sein altes Leben. Zu Fuß. Die Luft war an diesem Wintertag kalt, er konnte seinen Atem sehen, doch sein Kopf glühte. „Meine Gedanken rasten. Wie konnte es sein, dass die Polizisten einfach Operationsdaten anderer Länder einsehen dürfen? Wie war es überhaupt so weit gekommen? Und ich fühlte: Das ist eine politische Intrige, nur wer steckt dahinter?“ P. machte an diesem Abend einen langen Spaziergang, um sich selbst zu beruhigen: „Das wird Konsequenzen haben und es wird sich in wenigen Wochen aufklären lassen“ , sagte er sich.
Meine Gedanken rasten. Wie konnte es sein, dass die Polizisten einfach Operationsdaten anderer Länder einsehen dürfen? Wie war es überhaupt so weit gekommen? Und ich fühlte: Das ist eine politische Intrige, nur wer steckt dahinter?
Aus den Wochen sind mittlerweile Jahre geworden. Der Justizakt ist auf zigtausende Seiten angewachsen und hat etliche Nebenschauplätze. P. führte in den vergangenen Jahren einen Vielfrontenkrieg gegen die WKStA. Bisher konnte er alle Kämpfe für sich entscheiden. Die Hausdurchsuchung im BVT wurde vom Oberlandesgericht für unzulässig erklärt.
Die Ursprungsvorwürfe um angeblich nicht vernichtete Daten oder Observierung nordkoreanischer „Touristen“ haben sich nicht erhärtet. Doch das bei einer nachgewiesenermaßen rechtswidrigen Razzia sichergestellte Material durfte weiter ausgewertet werden. Das lassen Österreichs Gesetze zu, anders als in den USA, wo die Doktrin der „fruits of the poisonous tree“ (Früchte des vergifteten Baums) gilt. Beweise dürfen vor amerikanischen Gerichten nicht eingebracht werden, wenn sie illegal zustande gekommen sind.
Die österreichische Rechtslage wurde denn auch ausführlich strapaziert: Es wurde gewühlt und gewühlt, als ob man unbedingt etwas finden wollte, und das übrigens weiterhin unter Anleitung jener Staatsanwältin Schmudermayer, welche die Razzia zu verantworten hatte. Weder ihr Gruppenleiter, noch die Behördenleitung oder andere Aufsichtsbehörden kamen auf die Idee, sie von dem Fall wenigstens abzuziehen. Im Gegenteil: Bei Befragungen vor dem später stattfindenden U-Ausschuss wurde das Vorgehen von ihren Vorgesetzten sogar noch verteidigt.
Zerstörte Existenz
Bernhard P. war die vergangenen fünf Jahre mit der Aufarbeitung seines Falls beschäftigt. Das kostete viel Zeit und Geld.
P. hingegen bescherten die ausführlichen Ermittlungen und „Zufallsfunde“ zwei Gerichtsprozesse: Im ersten ging es unter anderem um angeblich falsch abgerechnete Kaffeehausrechnungen. Der angesichts des angerichteten Schaden vergleichsweise lächerliche Wert: unter 1000 Euro. Nach der ersten Verhandlung zog die WKStA – sehr zur Verwunderung des Richters – diesen Anklagepunkt zurück. Vom Rest wurde P. klar freigesprochen.
Der zweite Prozess, der erst vor wenigen Wochen endete, drehte sich um die Unterbringung eines syrischen Generals in Österreich, mit der das BVT dem israelischen Geheimdienst Mossad einen Gefallen erwies. Plötzlich tauchten Vorwürfe einer privaten Organisation gegen den Mann auf, er soll sich an Folter beteiligt haben – und die Beamten sollen das Asylrecht missbraucht haben. Die Richterin sah das anders, es gab einen Freispruch in erster Instanz. Die WKStA hat Rechtsmittel angemeldet. Ob die Causa noch einmal verhandelt wird, ist offen. Es wird wohl auf die Deutlichkeit des schriftlich ausformulierten Urteils ankommen.
Unschuldig abgestraft
Was dann? Gibt es am Ende gar keinen Schuldigen? Keine Verbrecher, die das seinerzeitige Vorgehen gegen das BVT und den Chef der Spionageabwehr nachträglich rechtfertigen würden? Was war das alles dann? Nur eine besonders gründliche Überprüfung, an deren Ende man sagen kann: Die Justiz hat funktioniert? Die Gerechtigkeit hat schließlich gesiegt?
Mitnichten. Die Wahrheit ist: Bernhard P. muss nicht verurteilt werden, um gestraft zu sein. P. steht vor den Trümmern seiner beruflichen Existenz, verlor seinen Job, hat keine Perspektiven mehr, statt dessen eine Menge von Sorgen, die er nicht selbst verschuldet hat. Ohne Einkommen gingen seine finanziellen Reserven allmählich zur Neige. Zwischenzeitlich musste der 47-Jährige sogar von Sozialhilfe leben und von seinen Eltern unterstützt werden. Einige besonders treue Freunde sammelten mehrmals Geld für ihn. Jede Ausgabe musste gut überlegt werden, Autoreparaturen wurden hinausgezögert, bei den Weihnachtsgeschenken wurde gespart, für die Freizeitbeschäftigungen der Kinder Geld zusammengekratzt.
Neuer Name, alte Probleme
Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung heißt heute Direktion für Staatssicherheit und Nachrichtendienst. Der neue Name konnte die Narben der Vergangenheit auch nicht heilen.
„Ich bin zum AMS gegangen und habe gefragt: ,Brauchen Sie einen ehemaligen Nachrichtendienstchef„“, sagt P. „,Eher nicht“, hat der Betreuer geantwortet. Für die angebotenen Stellen war ich heillos überqualifiziert.“ Die permanenten Vorwürfe musste P. mit rechtsanwaltlicher Gegenwehr beantworten. Otto Dietrich, einer der besten Strafverteidiger des Landes, arbeitete viel „pro bono“ , dennoch fraßen die Kosten P.s letzte Reserven. „Als Beschuldigter bezahlst du deinen Verteidiger selbst, oder, wenn du Glück hast, zum Teil deine Versicherung. Der Staat bezahlt von Steuergeld Ermittler und Staatsanwälte. Es gibt für ihn keine Notwendigkeit, finanziell zu haushalten.“ Jahrelange Ermittlungen, mehrere Gerichtsprozesse, die Reform im Innenministerium, ein U-Ausschuss und parlamentarische Sondersitzungen: Die BVT-Causa kostete die Steuerzahler über die Jahre Millionen.
Harte Jahre
„Es war vor allem die moralische Unterstützung, die mich überleben ließ. Eines meiner Kinder wird jetzt volljährig und ich bin wütend: Mir wurde die wichtigsten Jahre mit ihnen gestohlen“ , sagt P. Und: „Ich war in den vergangenen fünf Jahren hauptsächlich damit beschäftigt, Angriffe abzuwehren und meine Familie zu schützen. Nie hat sich jemand bei mir entschuldigt, dass uns das angetan wurde, obwohl ich mir nichts zu Schulden kommen habe lassen.“
Nicht nur das: Wird man vom Staat zu Unrecht beschuldigt, gibt es kaum finanzielle Wiedergutmachung. Dass selbst Freisprüche die Betroffenen ruinieren können, ist eine ewige, justizpolitische Baustelle. Wirklich stark macht sich für in dieser Hinsicht verbesserte Rechte von Beschuldigten bisher niemand. Am meisten grämt P. aber etwas anderes: „Die für die Misere eigentlich Verantwortlichen sind fein raus. Mittlerweile ist bekannt, dass ich Opfer einer politischen Intrige geworden bin. Übrigens mit freundlicher Unterstützung von ein paar Personen, die nun im Verdacht stehen, Russlandspionage betrieben zu haben. “ Fazit: „Sie machen Karriere, man hat mich ruiniert.“
Der Skandal mag weitgehend aufgeklärt sein. Für P. bleiben Fragen. „Wollte man mich loswerden? Konnte man mit mir so umgehen, weil ich keine Lobby hatte?“ Mit „man“ meint der ehemalige BVT-Beamte die FPÖ, Herbert Kickl, die WKStA, und ein paar ehemalige, mutmaßlich korrupt gewordene Verfassungsschützer, gegen die spektakuläre Ermittlungen laufen und die in einige, die Republik und höchste staatliche Stellen bewegende Skandale involviert sind.
Die für die Misere eigentlich Verantwortlichen sind fein raus. Mittlerweile ist bekannt, dass ich Opfer einer politischen Intrige geworden bin. Übrigens mit freundlicher Unterstützung von ein paar Personen, die nun im Verdacht stehen, Russlandspionage betrieben zu haben.
Aber von vorne. Wie kam es überhaupt dazu, dass die WKStA es als notwendig empfand, drastische Mitteln zu ergreifen. Razzien inklusive. Die Grundlage dafür war das eingangs erwähnte anonyme Pamphlet. Dazu tauchten plötzlich vier Zeugen auf. Sie alle waren einst Kollegen von P., der Rädelsführer – Martin W. – war sogar einmal sein Chef im Nachrichtendienst.
Man hat von W. in den letzten Jahren in anderen Causen viel lesen können: Er soll das Verleumdungspamphlet geschrieben hat, was er jedoch bestreitet. Er soll Ex-Wirecard-Chef Jan Marsalek zur Flucht verholfen haben. Jenem Marsalek also, nach dem wegen dessen Rolle im größten Wirtschaftsskandal der jüngeren deutschen Geschichte derzeit die ganze Welt sucht. Er befindet sich mutmaßlich in Moskau unter dem Schutz von russischen Geheimdiensten.
Darunter fiel etwa die Überprüfung von Personen. Offenbar nützte W. dafür sogar alte Kontakte mit Zugang zu Polizeicomputern. Das belegen einige, profil vorliegende Chats. Gegen W. wird deswegen (unter anderem) wegen Spionage ermittelt. Die Ermittler interessieren sich aktuell auch dafür, ob W. nicht bereits als BVT-Mitarbeiter für fremde Mächte tätig war.
Martin W. soll auch den erwähnten Generalsdeal mit dem Mossad eingefädelt haben, wofür am Ende auch P. vor Gericht stand. W. war als Chef der zuständigen Abteilung zwar angeklagt, doch zog er es vor, dem Prozess einfach fernzubleiben. W. lebt heute in Dubai. Nachdem er zwischenzeitlich in Österreich bereits kurz in U-Haft gelandet war und er behördlich gesucht wird, wagt er es nicht mehr einzureisen.
Zu viele Zufälle
Ist es Zufall, dass man ausgerechnet auf P. losging, der im BVT für Russlandspionage zuständig war? Ist es Zufall, dass in den sichergestellten Daten nach Verbindungen der FPÖ, Russland und Ukraine gesucht wurde, wie aus dem Akt hervorgeht? Wollte die damals neue, politische Führung im Innenministerium vielleicht einfach nur zu gern wissen, was der Staatsschutz weiß? Weder P. noch sein Anwalt glauben noch an Zufälle. Dafür haben sie in den vergangenen Jahren zu viel gesehen.
Interessant ist auch, auf welchen Pfaden Martin W. dazu kam, sich als Zeuge bei der WKStA anzudienen. Laut Aktenlage begann alles mit einem Anruf eines berüchtigten, russlandfreundlichen Wiener Anwalts bei Staatsanwältin Schmudermayer.
Kickls neues Amt
Es vergingen zwischen Angelobung von Herbert Kickl als Innenminister und Razzia nur wenige Wochen.
Sein Begehr: Peter Goldgruber, frischgebackener Generalsekretär im neuen, blauen Innenministerium, wolle sie sprechen. Die Staatsanwältin willigte ein, und ließ sogar ihre Telefonnummer weitergeben, wie mittlerweile aktenkundig ist. Es kam zu einem Treffen. In Schmudermayers Tagebuch findet sich dazu folgende Notiz: „Goldgruber: Er habe vom Minister den Auftrag, das BMI aufzuräumen. Er ist der Meinung, das BMI ist derzeit so korrupt wie noch nie.“ Beweise legte Goldgruber freilich keine vor. Das Innenressort diente der Staatsanwaltschaft als Belastungszeugen Kickls Kabinettsmitarbeiter an und begleitete diese sogar zu ihren Einvernahmen bei der WKStA.
Die politische Intrige
„Es muss eine politische Intrige sein“, das war einer der ersten Gedanken, die P. an diesem ominösen 28. Februar 2018 durch den Kopf schossen. Auch damit behielt er teils recht. Zumindest spielten Justiz und Innenministerium auf gefährliche und schmutzige Art und Weise zusammen. Das Innenministerium wollte Druck auf die Justiz machen, und ein „angeblich korruptes System“ aushebeln – und diese wehrte sich nicht, sondern glaubte blind, was ihr erzählt wurde. Am Ende saßen sogar Ermittler des Innenministeriums bei der WKStA, schrieben auf Briefpapier der Justiz und benutzten ihre Mailadressen.
Die Gewaltenteilung eines demokratischen, liberalen Rechtsstaats war dadurch bis zu einem gewissen Grad schlicht abgeschafft – und niemand interessierte sich dafür. „Die staatliche Macht ist aus guten Gründen auf verschiedene Institutionen verteilt und begrenzt. Sie sollten sich gegenseitig kontrollieren. Hier kam man sich viel zu nahe“, sagt Anwalt Dietrich.
Immerhin: Die damaligen Übergangsminister Clemens Jabloner (Justiz) und Wolfgang Peschorn (Innenministerium) erkannten den Missstand, und drehten die selbsterrichtete Justizpolizei ab.
Die staatliche Macht ist aus guten Gründen auf verschiedene Institutionen verteilt und begrenzt. Sie sollten sich gegenseitig kontrollieren. Hier kam man sich viel zu nahe.
Zu spät für P. Der ehemalige Chef der Spionageabwehr im BVT empfand die Ermittlungen als extrem belastend: „Ich habe oft versucht, aus der Praxis und der Erfahrung zu erklären, wie die nachrichtendienstliche Tätigkeit funktioniert. Die WKStA hatte offensichtlich keine Ahnung davon. Die teils skurrilen Fragen waren für mich nur mit dem Gedanken ,viel Feind viel Ehr’ bewältigbar.“ Er habe das Gefühl, entlastende Beweise seien nicht gewürdigt worden. Stattdessen habe man Nadeln im Heuhaufen gesucht.
Einen ähnlichen Vorwurf musste sich die WKStA zuletzt auch in einem anderen Verfahren gefallen lassen. Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) wurde oberinstanzlich freigesprochen. Das Urteil ging mit einer Schelte einher: Die vorgelegten Chats seien selektiv verwendet worden, sagte die Richterin. „Belastende Chats wurden offenbar reingenommen. Doch es gab auch entlastende Chats (...), die die WKStA nicht vorgebracht hat“, sagt sie. Viele Medien sahen in dem Urteil eine Niederlage der Antikorruptionsjäger. Dietrich sieht es mit Blick auf die Freisprüche seines Mandanten P. anders:
Verwunderung beim Strafverteidiger
über das Vorgehen der Staatsanwaltschaft in diesem Fall. Er sieht die Gewaltenteilung in Gefahr.
„Es ist keine Niederlage, weil das kein Sportwettbewerb ist. Aber es zeigt, dass die Kontrollinstanzen und die WKStA nicht funktioniert haben. Der Fall meines Mandaten hätte nie angeklagt und schon gar nicht hätte ein Gericht damit bemüht werden dürfen.“
Keine Verantwortung, keine Konsequenzen
In Österreich tut man sich prinzipiell schwer, Fehler zuzugeben und daraus zu lernen. „Weder der U-Ausschuss, noch das Justizministerium haben aufgeklärt, wie es sein kann, dass politische Kräfte die Staatsanwaltschaft benutzen. Das Justizministerium hat nie aufgeklärt, warum man sich benützen hat lassen. Weil niemand die Verantwortung übernimmt, gibt es keine Konsequenzen“, resümiert Dietrich.
Die Verantwortung wurde so lange hin und her geschoben, bis ausreichend Verwirrung gestiftet war und die Causa sanft entschlafen ist. Aber P. hat Recht: Sie war und ist ein Staatsskandal, mit schweren Folgen für die Republik und Einzelne. P. selbst zog für sich die bittere Lehre, „dass die Augenhöhe im Verhältnis Beschuldigter und Staat eine Lüge ist. Es ist einfach David gegen Goliath.“
Am Ende hat auch P. vor Gericht Recht bekommen. Aber was sind die Konsequenzen? Keine. Das Innenministerium hat mit einer Reform des Amtes und neuem Namen (Direktion für Staatssicherheit und Nachrichtendienst) versucht, die Vergangenheit zu beseitigen.
Der damals zuständige Minister, Herbert Kickl, träumt davon „Volkskanzler“ zu werden. Er liegt in allen Umfragen derzeit auf Platz eins. So beliebt ist er und so wenig hat ihm die Causa geschadet.
Die Augenhöhe im Verhältnis Beschuldigter und Staat ist eine Lüge. Es ist einfach David gegen Goliath.
Als P. sich vor wenigen Wochen seinen jüngsten Freispruch abholte, war Staatsanwältin Schmudermayer nicht im Gerichtssaal, sondern schon auf dem Weg in ihr neues Leben: Sie wurde für ihre Leistungen nämlich belohnt und befördert. Am 29. Juli nahm sie ihre Arbeit als europäische Staatsanwältin in Luxemburg auf. Ihr Gruppenleiter stieg ebenfalls auf: Er ist jetzt stellvertretender Leiter der WKStA.
Und P.? Auf dem Papier ist seine Reputation mit den Freisprüchen wieder hergestellt. Beruflich aber muss er völlig neu anfangen. Mit der Vergangenheit ist er noch nicht ganz fertig: „Ich will nur mehr eines: Dass die Hintergründe restlos aufgeklärt und die Verantwortlichen endlich zur Rechenschaft gezogen werden.“ Dass so etwas in einer idealen Welt möglich ist, zumindest daran will P. noch glauben.
Fotos: Nikolaus Ostermann