Cannabis: Gewessler lenkt ein – keine Grenzwerte am Steuer
Vergangenen Samstag berichtete profil exklusiv über den Plan von Verkehrsministerin Leonore Gewessler, im Straßenverkehr Grenzwerte für den Cannabis-Wirkstoff THC einzuführen. Damit wollte das grüne Verkehrsministerium für eine klarere Unterscheidung zwischen nüchternen und beeinträchtigten Cannabis-Konsumenten am Steuer sorgen, ähnlich der Promillegrenze bei Alkohol. Ein paar Tage später bremste ÖVP-Innenminister Gerhard Karner Gewessler ein. „Der Konsum von Cannabis ist illegal, also kann das Fahren mit Cannabis nicht legalisiert werden“, sagte er im „Kurier“. Das grüne Verkehrsministerium lenkt nun ein. Aus ihrem Ministerium heißt es zu profil: „Die Bundesregierung hat im Sinne der Verkehrssicherheit beschlossen, bessere Möglichkeiten zur Kontrolle von akuter Suchtgift-Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit durch die Exekutive zu erarbeiten. Zu diesem Zweck hat das Verkehrsministerium ergänzend objektive Grenzwerte nach internationalem Vorbild vorgeschlagen. Nachdem dieser Vorschlag nun keine Zustimmung des Koalitionspartners erhält und sich damit keine Mehrheit im Parlament findet, wird dieser auch nicht weiterverfolgt.“
Trend zu Legalisierung und Grenzwerten
Das heißt: Die Aktion scharf gegen Drogen am Steuer kommt, aber ohne Grenzwerte. Damit geraten auch jene Kiffer, deren Konsum einige Tage zurückliegen kann, im Straßenverkehr noch stärker ins Visier. Dass die Grünen ihr eigenes Projekt auf Druck der ÖVP ausdämpfen, ist aus Sicht der Koalitionsräson verständlich – immerhin finden sich Grenzwerte nicht im Regierungsprogramm. Und doch sieht das grüne Verkehrsministerium dadurch ein bisschen alt aus. Denn Grenzwerte im Straßenverkehr sind ein internationaler Trend und in vielen EU-Ländern längst Standard – von einem Nanogramm THC im Blut in Deutschland bis 6 Nanogramm in Holland. Deutschland dürfte den Grenzwert bald deutlich erhöhen. Hintergrund: Die Regierung aus SPD, Grünen und FDP will Cannabis legalisieren und braucht plausible Grenzwerte wie bei Alkohol. Grenzwerte gelten allerdings auch in EU-Ländern, die Cannabis nicht freigegeben haben.
Auch im Grundsatzprogramm der heimischen Grünen aus dem Jahr 2001 heißt es: „Daher fordern die Grünen eine Legalisierung von Cannabis, da das Gefährdungspotenzial im Verhältnis zu den Auswirkungen des Verbots gering ist.“ Seit Beginn der Partnerschaft mit der ÖVP spart die Partei das Thema komplett aus. Die Forderung nach Grenzwerten war nun ein kurzes Blinken an die Basis. In Teilen der Stammwählerschaft – und weit darüber hinaus – wird zwischen Cannabis und Alkohol längst nicht mehr groß unterschieden. 40 Prozent der Österreicher haben zumindest einmal gekifft, sieben Prozent der 15-24 Jährigen tun es mindestens einmal pro Monat, geht aus Daten des Sozialministeriums hervor, mit dem Hinweis, dass es sich dabei um eine Untergrenze handle.
Gekifft wird längst im Graubereich
Dass der schwarze Innenminister Gerhard Karner Grenzwerte als „Drogenfreigabefantasien“ der Grünen bezeichnet und Gras näher bei Ecstasy oder Kokain ansiedelt als bei Alkohol, ist politisch wie ideologisch nachvollziehbar. Am Sonntag wählt Tirol, Anfang 2023 Karners Heimatbundesland Niederösterreich. Die ÖVP will bei rechten Wählern punkten, die derzeit wieder verstärkt zur FPÖ tendieren. Und eine Nulltoleranz-Politik bei Drogen zog schon immer in Österreich. Ideologisch ist die einstige Hippie-Droge Cannabis der Antipoden zum Dorffest-Bier und Schnaps. Und so soll es aus Sicht der ÖVP bleiben - auch wenn die Dorfjugend die Rauschgrenze nicht mehr ganz so scharf zieht. Mit THC-Grenzwerten im Straßenverkehr würde man – so die strategischen Bedenken – ein „High“ in der Vergangenheit indirekt tolerieren.
Vor Gericht gilt längst eine Toleranzschwelle. Wer beim Kiffen erwischt wird, geht auf Probezeit straffrei aus. In der politischen Auseinandersetzung haben Graubereiche hingegen weiterhin keinen Platz. Bereits vor 20 Jahren unterstellte die ÖVP den Grünen im Wahlkampf, „Haschtrafiken“ zu planen. Die Debatte um „Hasch-Traffic“ ist die moderne Forstsetzung dieses ideologischen Grabenkampfes.
Vorarlberger Polizei hätte Grenzwerte begrüßt
Doch das reale Konsumverhalten lässt auch diese scheinbar starren Fronten bröckeln. Im Sommer forderte in Vorarlberg der Suchtbeirat der schwarz-grünen Landesregierung einen THC-Grenzwert von 3 Nanogramm. Bei der Vorarlberger Polizei, die Karner untersteht, sah man die Forderung gelassen. „Österreich ist in Europa eines der wenigen Länder, die noch keine Grenzwert-Regelung für Cannabis haben. Wenn es zu einer solchen kommt – eine Grenzwertregelung haben wir ja seit sehr vielen Jahren mit Alkohol auch – dann wird das für uns als Polizei absolut kein Problem darstellen“, sagte Peter Rüscher von der Vorarlberger Verkehrspolizei zum ORF - mit dem Zusatz: „Wir würden das sogar begrüßen.“ Nach Karners Njet sagt er nun: „Das Ganze ist offenbar ein politisches Thema, weshalb ich mich nicht dazu äußern werde.“