Carla Amina Baghajati: "FPÖ-Politik im gepflegten Gewand"
INTERVIEW: CLEMENS NEUHOLD
profil: Was ist Ihr profil-Moment?
Baghajati: Ich verbinde viele Momente mit dem profil. Zum Beispiel die Kolumnen von Frau Elfriede Hammerl. Sie hat mir oft aus dem Herzen gesprochen. Umso ärgerlicher war es für mich, wie sie Musliminnen wegen des Kopftuchs automatisch ins konservative Eck gerückt hat. Ein Porträt von mir mit dem Titel "Die Schleierhafte" empfand ich als einseitig und voreingenommen.
profil: Der Titel bezog sich auf den Eindruck der Autorin Rosemarie Schwaiger, wonach sie sehr ausweichend und theoretisch argumentieren, wenn es um Missstände im Islam geht. Damit ist sie nicht allein.
Baghajati: Das Sowohl-als-auch ist gerade beim Islam sehr wichtig. Wenn ich über spezifische Probleme in muslimischen Communities spreche und den sozialen Kontext wie Bildungsschwäche ausblende, komme ich nicht weiter.
profil: Spiegelt Ihr ambivalentes Verhältnis zu profil generell das schwierige Verhältnis zwischen Liberalismus und Islam wider?
Baghajati: Das trifft es sehr gut. Wenn mich die Rechten angreifen, kann ich damit umgehen. Wenn das Medien sind, die ich eigentlich selbst schätze, weil sie so meiner Denkart entsprechen, ist das viel aufwühlender. Aber das reizt mich auch.
„Es gibt auch einen Fundamentalismus der Aufklärung“
profil: Ich fand dazu einen Kommentar von Kollegen Robert Treichler: "Religionskritik, wie profil sie betreibt, nimmt keine besondere Rücksicht auf religiöse Gefühle. Das muss so sein in einem Magazin, das sich als aufklärerisch versteht."
Baghajati: Ohne direkten Bezug: Es gibt auch Aufklärungs-Fundamentalismus mit wenig Gespür und Wissen über Religion.
profil: Wir messen den Islam nicht daran, was genau im Koran steht oder nicht, sondern wie seine Vertreter und Anhänger den Islam im Alltag ausleben.
Baghajati: Nachvollziehbar. Es ist zu leicht, zu sagen: Das hat nichts mit dem Islam zu tun. Wir müssen kritisch hinterfragen, wo die islamische Auslegung negative Verhaltensweisen unterstützt.
profil: Aber sind wir "Aufklärungs-Fundis"?
Baghajati: Dafür ist die Redaktion zu breit aufgestellt.
profil: Es gab einen Versuch, besonders breit aufgestellt zu sein. Wir baten eine muslimische Gastredaktion, ein profil-Heft zu gestalten. Es scheiterte an den Unstimmigkeiten innerhalb der Teilnehmer.
Baghajati: Nicht immer muss etwas rauskommen. Das war ein sehr sympathischer Versuch. Das habe ich als einen der positiven profil-Momente abgespeichert.
profil: Ihre Nachfolgerin als Frauenbeauftragte, Fatma Akay-Türker, trat zurück. Seither ist die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) ein reiner Männerbund.
Baghajati: Ein Grund ist das neue Islamgesetz. Es hat die Macht der großen-männlich dominierten-Verbände zementiert.
profil: Akay-Türker kritisiert auch Ihr Wirken bei der IGGÖ. Es sei Ihnen nicht gelungen, Strukturen gegen diese "institutionalisierte Abwertung von Frauen" aufzubauen.
Baghajati: Ich bin hier die Falsche auf dem Anklagestuhl. Ich setze mich seit zwei Jahrzehnten für muslimische Frauen ein. Frau Akay-Türker war nur ein Jahr lang in ihrer Funktion. Nicht wegen ihrer frauenpolitischen Vergangenheit, sondern auf dem Ticket eines der großen Verbände.
"Kurz und Raab vertreten eine FPÖ-Linie im gepflegten Gewand."
profil: Was halten Sie von Mouhanad Khorchide, einem Berater der neuen Dokumentationsstelle für den politischen Islam?
Baghajati: Die ersten medialen Auftritte habe ich ihm vor 20 Jahren vermittelt. Seine theologischen Positionen sind nicht neu, wonach wir einen Islam österreichischer oder europäischer Prägung brauchen, der nicht starr ist, sondern beweglich. Die vertrete ich seit jeher. Mein Problem, das ich mit ihm habe: wie er sich politisch missbrauchen lässt. Seine jüngsten Aussagen in Wien klingen wie vom Pressesprecher des Integrationsministeriums.
profil: Das ressortiert bei der ÖVP. Ist alles, was die Volkspartei zum Thema Integration und Islam macht, automatisch böse?
Baghajati: Die mitunter spannendsten Projekte für muslimische Frauen hatte ich mit dem Integrations-Staatssekretariat, geführt von Sebastian Kurz. Er redete mit den Frauen sehr persönlich, bestärkte sie. Auch die jetzige Integrationsministerin Susanne Raab war neugierig und offen. Heute vertreten beide eine FPÖ-Linie im gepflegteren Gewand. Nach dem Motto: "Schaut her, wie wir Muslime disziplinieren."
profil: Vielleicht muss man disziplinieren. Zum Beispiel, wenn Burschen Mädchen in der Schule vorschreiben, was haram oder halal ist (verboten oder erlaubt).
Baghajati: Mit dieser Autoritätskeule werde ich sicher kein moderneres Islamverständnis befördern. Es sind zwei Paar Schuhe, ob ich etwas von oben verordne oder von innen heraus entwickle. Wenn ein 14-Jähriger in seinem pubertären Imponiergehabe auf dem Schulhof das Haram-Wort benutzt, brauch ich eine pädagogische Lösung und darf ihm nicht unterstellen, er sei ein Vertreter des politischen Islam. Das ist absurd.
profil: Vielleicht sind seine Eltern das Problem.
Baghajati: Und die werden wir dann wie disziplinieren?
profil: Vielleicht kommt durch eine Dokumentationsstelle für den politischen Islam klarer zum Ausdruck, was in Österreich geht und was nicht. Von der IGGÖ wurde sie boykottiert und abgelehnt - auch von Ihnen.
Baghajati: Können Sie das Wort politischer Islam definieren? Das ist eine Worthülse, ein Frame, in den alles hineinprojiziert werden kann. Ich habe mit dem Terminus "politischer Islam" die ärgsten Probleme.
profil: Vorschlag zur Definition: "Der Einsatz des Islam, um politische Macht zu erhalten und zu stärken."
Baghajati: Ich bin gegen jeglichen Missbrauch unserer Religion für politische Zwecke.
profil: Einen dramatischeren Beleg für die Existenz eines politisierten Islam als die Angriffe türkischstämmiger Burschen auf eine kurdische Demo in Wien-Favoriten-begleitet von "Allahu Akbar"-Schlachtrufen-hätte man sich kaum vorstellen können.
Baghajati: Die Unabhängigkeit der österreichischen Muslime von jeglicher Einflussnahme von außen ist für mich oberste Priorität. Das habe ich immer auch intern vertreten. Es wäre in der Tat zu bequem, zu sagen, Favoriten hat nichts mit Religion zu tun. Gleichzeitig kann man nicht alle Muslime verantwortlich machen. Jugendlichen muss man erklären, dass ich "Allahu Akbar" nicht als Kraftausdruck auf Demos verwende und was diese Bilder ausgelöst haben in der Bevölkerung. Türkischstämmige Mädels waren schockiert, was die Burschen angerichtet haben, weil sie wussten, das fällt auf sie zurück. Es gibt lebhafte Debatten nach innen. Dieses gewalttätige Verhalten zum Aufhänger zu machen, dahinter stünde der politische Islam, der den Umsturz plant, das geht mir zu weit. Staatsgefährdende Kräfte zu unterbinden, dafür gibt es den Verfassungsschutz, der hier gute Arbeit leistet.
„Ich bin keine Kopftuchlobbyistin.“
profil: In zwei Jahrzehnten Glaubensgemeinschaft müssen Sie den Einfluss des türkischen Nationalismus auf die tonangebenden Verbände hautnah gespürt haben.
Baghajati: Jetzt fühl ich mich wieder wie auf den Anklagestuhl gesetzt. Mir sind all diese Gruppierungen natürlich bekannt. Aber wer mich kennt, weiß, dass ich an ihnen nicht anstreifte.
profil: Ihr Ansatz einer unabhängigeren und weiblicheren IGGÖ ist sichtbar gescheitert.
Baghajati: Nein. Ich habe schon das Gefühl, dass es etwas bewegt, wenn eine unabhängige Frau so lange in der Islampolitik mitmischt.
profil: Sie waren Role Model fürs Kopftuch. Das könnte man als Machtinstrument des Islam sehen, weil es ihn sichtbar hält.
Baghajati: Ich bin keine Kopftuchlobbyistin. Mir ist klar, dass durch die Sichtbarkeit die Versuchung groß ist, Frauen mit Kopftuch zu Litfaßsäulen für ein ideologisches, patriarchales Islamverständnis zu machen. Das reflektieren wir sehr kritisch.
profil: Auf Ihrem Buch "Muslimin sein" sind zwei Frauen abgebildet, beide mit Kopftuch.
Baghajati: Auf meinem Wunschcover trug eine von beiden keines. Ich habe im Islamunterricht mehr Schülerinnen ohne Kopftuch. Das darf keine Rolle spielen.
profil: Wenn es keine Rolle spielt, warum grenzen sich dann so viele Frauen optisch vom Rest der österreichischen Gesellschaft ab und tragen damit ihre Religion auf die Straße?
Baghajati: Von Abgrenzung sprechen jetzt Sie. In dieser Logik müsste man jegliche religiöse Sichtbarkeit verbieten. Wollen wir eine Gleichschaltung der Gesellschaft? Das ist doch dystopisch.
profil: Man kann auch das Kopftuch als Gleichschaltung sehen, mit Blick auf Länder, in denen der Islam Staatsreligion ist.
Baghajati: Es geht uns doch um Österreich. Und hier hat niemand einer Frau, die es tragen will, etwas dreinzureden oder sie für Fehlentwicklungen von außen verantwortlich zu machen.
profil: Unter Tschetschenen, Afghanen, Syrern oder Somalis ist wohl auch in Österreich ein direkter oder indirekter Druck vorherrschend, Kopftuch zu tragen.
Baghajati: In diesen Communitys suchen wir gezielt nach Multiplikatorinnen, um dort das Selbstbestimmungsrecht der Frauen zu stärken.
„Entspannt miteinander umgehen.“
profil: Ihr Engagement in Ehren, aber darauf kann sich eine Gesellschaft nicht verlassen, die sich einen Islam wünschen würde, der ähnlich entspannt gelebt wird wie das heimische Christentum.
Baghajati: Entspannt miteinander umgehen. Das wollen muslimische Frauen, ob sie jetzt ein Kopftuch tragen oder nicht. Nachzulesen in der Deklaration "Musliminnen am Wort".
profil: Das Projekt stammt aus einer islamisch-akademischen Blase.
Baghajati: Bei der Deklaration haben Tausende Frauen aus allen Schichten mitgemacht. Wir erreichen auch viele Jugendliche in weniger gebildeten Schichten. Im Islamunterricht ist es uns sehr wichtig, dass sie die Quellen religiöser Aussagen zu hinterfragen lernen; dass sie ein zeitgemäßes Islamverständnis entwickeln, das mit ihren Lebenswirklichkeiten in Einklang zu bringen ist. Das ist ein Ansatz, mit dem man sich innermuslimisch nicht nur Freunde macht. Das können Sie mir glauben.
profil: Frauen mit Kopftuch sind durch die Maskenpflicht nun praktisch vollverschleiert-trotz Burka-Verbots.
Baghajati: Das ist schon unfreiwillig komisch. So wie ich das Kopftuch trage, böte sich an, einfach das Untertuch über die Nase zu ziehen. Aber auf diese Art vollverschleiert zu sein, fühlte sich gar nicht gut an. Deswegen trage ich Maske.
Carla Amina Baghajati, 54,
war mit Unterbrechungen von 2000 bis Ende 2018 Mediensprecherin und Frauenbeauftragte der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ).Sie ist Schulamtsleiterin der Glaubensgemeinschaft und damit für die Qualitätssicherung und das Curriculum des Islamunterrichts in Österreich mitverantwortlich. Die gebürtige Deutsche konvertierte 1989 zum Islam.