Wie die Casinos Austria den Spielerschutz vernachlässigen

633.800 Euro Minus: Erstmals kann ein Spielsüchtiger seine Verluste auf den Cent genau nachweisen. profil liegt ein Protokoll auf Grundlage der Datenschutzgrundverordnung vor. Die Tabelle verrät, wie lange der teilstaatliche Glücksspielanbieter dem Mann beim Zocken zusah.

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180 Seiten dick ist der Stapel, der ein paar streng vertrauliche Betriebsgeheimnisse der Casinos Austria enthüllt. Ein Spieler gewährte profil einen exklusiven Einblick in das Protokoll seines Spielverhaltens, das er auf Grundlage der Datenschutzgrundverordnung beantragt hatte. Minutiös ist darauf jeder einzelne Tag dokumentiert, den der 34-jährige Oberösterreicher an einem der Glücksspielautomaten verbrachte. Seine Einsätze, seine Gewinne und seine Verluste: In Summe verlor der Mann laut dem Datensatz in vier Jahren exakt 633.829 Euro und sechs Cent an die einarmigen Banditen der Casinos-Tochter WinWin sowie der Casinos selbst.

Schwindelerregende Zockerkarriere

Die Tabelle zeugt nicht nur von einer schwindelerregenden Zockerkarriere mit bis zu fünfstelligen Verlusten pro Tag – sondern belegt, welche immensen Summen der Spieler verlieren musste, bis Mitarbeiter des teilstaatlichen Glücksspielunternehmens mit Spielerschutzmaßnahmen einschritten. Es sind Daten, die von den Casinos bisher stets geheim gehalten wurden: Bis März 2017 hatte der Mann insgesamt 87.600 Euro Verlust angehäuft, als er zum ersten Mal verwarnt wurde. Doch die Strafe fiel milde aus: Die Zahl seiner monatlichen Besuche wurde damals auf acht gedrosselt. Das Walzenspiel ging weiter.

Von März bis August schöpfte der Zocker aus Oberösterreich dieses Volumen voll aus und verspielte an 48 Besuchstagen weitere 15.700 Euro. Sein Gesamtverlust hatte eben die 100.000-Euro-Marke gesprengt, da konnte sich der Abhängige zu einem drastischen Schritt durchringen: Gemeinsam mit einem Freund ging er Ende August zu seinem Stammlokal und füllte das Formular zur Selbstsperre aus.

Spieler will Geld zurückklagen

Doch obwohl er sich bei der Casinos-Tochter WinWin hatte sperren lassen, konnte er an den Automaten der Muttergesellschaft weiterspielen: im Casino Linz. Bis zum Sommer 2019 verspielte er 633.829 Euro und sechs Cent – jetzt will er sich mit einer sogenannten Spielerklage sein Geld zurückholen.

Die Grazer Rechtsanwältin Julia Eckhart vertrat bereits mehrere Spielsüchtige vor Gericht gegen Glücksspielunternehmen. Entscheidend sei, sagt Eckhart, wie stark die Sucht ausgeprägt ist: „Wenn die Spielsucht ein derart großes Ausmaß hat, dass der Spieler zum Spielzeitpunkt nicht in der Lage ist, nach seinem eigenen Willen zu handeln, dann kann er durch ein psychiatrisches Gutachten für partiell geschäftsunfähig erklärt werden – und zwar hinsichtlich des Abschlusses von Spielverträgen. Jedes absolvierte Spiel am Automaten ist damit im Nachhinein nichtig und rückabzuwickeln.“

Wie die Casinos-Tochter WinWin die bei Selbstsperren vorgesehene Mindestsperrdauer von sechs Monaten ignoriert, wie das Finanzministerium Spielerschutzmaßnahmen verschleppt und wie die Neos das Glücksspielgesetz radikal umkrempeln wollen, lesen Sie im aktuellen profil. Gedruckt oder als e-Paper.

Jakob Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.