Causa Ischgl: Behörden spielten Corona-Gefahr herunter
Diese Geschichte ist eine schlechte Nachricht für den Tiroler Landeshauptmann Günther Platter und seine grüne Vize Ingrid Felipe: Sie müssen eine neue Verteidigungslinie zur Causa Ischgl finden. Das bisherige Wording der beiden wird so nicht mehr verfangen: „Mit dem Wissen von heute hätte man damals sicher einiges anders gemacht“, antworten die Landesspitzen immer dann, wenn sie zum verkorksten Corona-Krisenmanagement im Nobelskiort Ischgl befragt werden. Was die beiden damit sagen wollen: Das Wissen von damals reichte nicht aus, um die Gefahr richtig einzuschätzen. Waren die Infektionen, die sich von Ischgl über halb Europa verteilten, wirklich unvermeidlich?
profil und der ZIB2 liegen nun umfangreiche Dokumente der Tiroler Behörden vor: E-Mail-Korrespondenzen, Krisenstabsprotokolle, WhatsApp-Nachrichten. Sie zeigen: Der Bezirkshauptmann und der Landespressedienst spielten die Verbreitung des Coronavirus in Ischgl herunter und hielten wesentliche Informationen oft tagelang zurück. Medien, die Bevölkerung und Nachbarländer Österreichs sollten im Glauben gelassen werden, die Tiroler Behörden hätten die Lage im Griff. Den Verantwortlichen ging es darum, den Skiort aus den Schlagzeilen zu bringen – oder wie sie es formulieren: „aus dem Schussfeld“.
Die lückenhafte Information der Öffentlichkeit begann am 5. März. An diesem Tag warnten isländische Beamte bekanntlich ihre österreichischen Kollegen – denn in Island wurden 14 Urlauber positiv auf Corona getestet, die kurz zuvor in Ischgl Skifahren gewesen waren.
Wie reagierten die Tiroler Behörden? Der für Ischgl zuständige Bezirkshauptmann von Landeck, Markus Maaß, besprach sich zunächst mit Landeshauptmann Platter, wie er in einer Mail am Nachmittag des 5. März schrieb: „Nach Rücksprache mit HLH (Herr Landeshauptmann, Anm.)“ schlug Maaß vor, die Presseaussendung des Landes Tirol auf zwei Isländer zu fokussieren, die angegeben hätten, sich im Flugzeug nach Island angesteckt zu haben: „Das wäre für eine allfällige Presseaussendung der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit wichtig“, schreibt Maaß. Nachsatz: „Dann hätten wir Ischgl vorerst aus dem Schussfeld.“
"Viele Krankheitsfälle zu erwarten"
Zwar schrieben infizierte Isländer den Tiroler Behörden tatsächlich, dass ein Coronafall in ihrem Flugzeug saß. Die Tiroler wussten am Nachmittag des 5. März allerdings auch, dass die 14 Isländer an zwei unterschiedlichen Tagen in zwei verschiedenen Maschinen zurück nach Island geflogen waren – und bei einigen Urlaubern die Symptome bereits vor der Abreise eingesetzt hatten. Trotzdem verschickte das Land am Abend folgende Pressemitteilung: „Isländische Gäste im Tiroler Oberland dürften sich bei Rückflug im Flugzeug mit Coronavirus angesteckt haben.“
Ein Sprecher des Landes Tirols verweist darauf, dass die Interpretationen von profil und ZIB2 aus dem Mail des Bezirkshauptmannes „nicht zutreffend“ seien.
Die Beschwichtigungen der Presseaussendung wirkten jedenfalls nicht lange. Zwei Tage später schlug der Corona-Test eines Barkeepers der Aprés-Ski-Bar „Kitzloch“ aus: positiv. Die Causa wurde am darauffolgenden Morgen – dem 8. März – im Tiroler Krisenstab besprochen. Eine Mitarbeiterin der Landessanitätsdirektion befürchtete Schlimmes: Sie berichtete davon, dass zehn der 14 positiv getesteten Isländer Ende Februar im „Kitzloch“ gewesen waren. Ihr Fazit laut Protokoll: „Wahrscheinlich viele Krankheitsfälle zu erwarten in Zusammenhang mit der Bar.“
Ein paar Stunden später versendete das Land eine inzwischen berüchtigte Pressemitteilung: „Eine Übertragung des Coronavirus auf Gäste der Bar ist aus medizinischer Sicht eher unwahrscheinlich.“ Immerhin wurde angemerkt: Gäste, die in den vergangenen zwei Wochen in der Bar waren und Symptome zeigten, sollten sich an die Hotline 1450 wenden.
Ein Sprecher des Landes Tirol hält gegenüber ZIB2 und profil fest: „Die Behauptung, dass in der Öffentlichkeit ein anderes Bild gezeichnet wurde, ist unrichtig.“ Und: Das Land habe „den jeweiligen Wissenstand der Behörden in enger Abstimmung mit dem Einsatzstab und den Fachexperten vermittelt“.
Warnungen von Urlaubern ignoriert
Die Corona-Situation in Ischgl spitzte sich schließlich am 9. März dramatisch zu: 14 weitere Mitarbeiter der Bar und ein Gast wurden positiv getestet, das „Kitzloch“ behördlich geschlossen.
Am selben Tag trudelten beim Tourismusverband (TVB) Paznaun insgesamt vier Mails von Urlaubern ein – aus Deutschland, Dänemark und der Schweiz. Sie alle wurden nach ihrem Ischgl-Urlaub zuhause positiv auf Corona getestet. Als diese Infos in der Mailbox des Bezirkshauptmannes landeten, antwortete dieser bloß an den TVB: „Private Meldungen können wir leider nicht mehr beantworten.“ Und zu einer weiteren Warnung eines ausländischen Gastes schrieb Maaß: „Wir können diese E-Mail auch nicht abarbeiten, aber sammeln sie.“
Dabei hätte eine Bezirksbehörde laut Gesundheitsministerium „die Pflicht, unverzüglich die zur Feststellung der Krankheit und der Infektionsquelle erforderlichen Erhebungen und Untersuchungen einzuleiten“.
Das Land Tirol wollte die Sache nicht kommentieren, sondern verwies auf die „Präsentation des Endberichtes der ExpertInnenkommission am kommenden Montag“.
Ermittlungen der Staatsanwaltschaft
Gegen den Bürgermeister der Gemeinde Ischgl, den Landecker Bezirkshauptmann, seinen Stellvertreter und einen weiteren Mitarbeiter der Bezirksbehörde ermittelt nun die Staatsanwaltschaft Innsbruck – der Verdacht: Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.
Der Bürgermeister wäre an sich nicht für die Seuchenbekämpfung zuständig – doch Werner Kurz geriet trotzdem in den Fokus der Ermittler. Denn er wartete zwei Tage zu, bis er eine Verordnung der Bezirkshauptmannschaft zur Seilbahn-Sperre an der Amtstafel der Gemeinde anschlug – so trat die Sperre verspätet in Kraft. Dabei schreibt die Tiroler Gemeindeordnung vor, dass Verordnungen „unverzüglich“ kundzumachen sind. Der Bürgermeister verweist gegenüber profil und ZIB2 auf die Bezirkshauptmannschaft, die ihm gesagt habe, dass die Sperre erst zwei Tage später kundgemacht werden müsse, weil das der Landeshauptmann so angekündigt habe.
Die Verteidigungslinie des Bürgermeisters zieht sich wie ein roter Faden durch die Causa Ischgl: Schuld waren die anderen.