Causa Pilnacek: Die Kritik der Kreutner-Kommission – und die Kritik an ihr
Die Justiz hat in der vergangenen Legislaturperiode massiven Reputationsschaden erlitten. Grund dafür waren die tiefen Gräben und Streitereien: Oberbehörden gegen Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen Ministerium gegen schillernde Persönlichkeiten. Für diese rivalisierenden Blöcke standen stellvertretend Personen. Eine der zentralen Figuren dieses Machtkampfs war der ehemalige und langjährige Sektionschef Christian Pilnacek. Justizministerin Alma Zadic suspendierte ihn schließlich, weil Pilnacek mit zahlreichen schwerwiegenden Vorwürfen konfrontiert war, die zu etlichen Ermittlungen führten. Er kämpfte jahrelang dagegen an. Einiges landete vor Gericht – er gewann alle Verfahren. Einiges wurde eingestellt. Restlos geklärt konnten die Vorwürfe aber nicht werden, Pilnacek verstarb vorher auf tragische Weise.
Wenige Wochen nach dem Tod des ehemaligen Justizbeamten Christian Pilnacek tauchte eine heimlich aufgezeichnete Aufnahme auf. Darin hat der langjährige Sektionschef bei einem Treffen mit Bekannten (offenbar nicht mehr nüchtern) gesagt, dass die ÖVP erfolglos von ihm erwartet habe, Ermittlungen einzustellen und Hausdurchsuchungen abzudrehen.
Justizministerin Alma Zadic (Grüne) nahm das zum Anlass, eine Untersuchungskommission einzusetzen. Das Ziel: Ein Befund, ob zwischen 1. Jänner 2010 und 14. Dezember 2023 versucht wurde, politischen Einfluss auf staatsanwaltschaftliche Vorgänge zu nehmen.
Die externe Kommission wurde von Martin Kreutner geleitet und sah sich von Anfang an mit Kritik hinter vorgehaltener Hand konfrontiert – zum Beispiel, weil Personen aus unklaren Gründen einfach aus der Kommission ausgeschieden wurden. Ebenso wurde kritisch gesehen, dass man hier anonym Vorwürfe deponieren konnte, viele betrachteten das innerhalb der Justiz als dankbare Vernaderungsmöglichkeit. Wie die Evaluierung methodisch funktioniert, war ebenfalls unklar. Auch wartete man auf die Befragung so manch wichtigen Entscheidungsträgers und Verantwortlichen durch die Kommission – vergeblich, was innerhalb des Ministeriums doch für Verwunderung sorgt.
Am Montag gab es zu dem 230-Seiten starken Bericht jedenfalls eine Pressekonferenz. Die Vorlage desselbigen blieb die Kommission derweil noch schuldig, versprach aber, man werde in wenigen Tagen damit online gehen. Die Kernbotschaften wurden platziert, man verteilte ein 18-seitiges Papier dazu. Man will im Wesentlichen vermitteln: Es soll nicht nur bei bloßen Versuchen der Beeinflussung geblieben sein, so wie Pilnacek das in dem Gespräch angedeutet hatte. Auffällig: Etliches davon war bereits Gegenstand von Untersuchungsausschüssen und wurde dort insgesamt weniger dramatisch gesehen.
Die wichtigsten Empfehlungen und Erkenntnisse decken sich großteils mit langjährigen Forderungen der WKStA (und der Grünen), sie lauten folgendermaßen:
Justiz funktioniere gut, aber es fehle Distanz zur Politik
Die Kommission kam nach halbjähriger Untersuchung zum Schluss, dass das österreichische Justizsystem insgesamt gut funktioniere. Die „überwältigende Mehrzahl“ des Personals sei hochprofessionell, engagiert und kompetent.
Dennoch scheint es in politisch brisanten (Einzel-)fällen Parteien, die länger an der Macht gewesen sind, möglich, in Strafsachen zu intervenieren. Hierbei fordert die Kommission mehr Professionalität. Interessanterweise ging man auf das Wirken der Grünen Justizministerin und etwaige Beeinflussung eigentlich nicht ein – das sei nicht Gegenstand gewesen.
Der Bericht basiert auf Aktenstudien, vertraulichen Gesprächen mit mehr als 60 Auskunftspersonen und Vergleichen mit internationalen Standards. Die Kommission sah davon ab, Einzelfälle abschließend zu erörtern. Dennoch spricht sie im Bericht davon, dass diese auf eine „Zwei-Klassen-Justiz“ und „fehlende Distanz zwischen Politik und Justiz“ hindeuten würden. Wie die Evaluierung stattgefunden hat, ist fraglich.
Die Stärkung der WKStA sei nicht langfristig gesichert
Die Kommission kritisiert, dass es „parteipolitische Bestrebungen“ zur Schwächung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegeben habe. Derzeit ist die Oberbehörde der WKStA die Oberstaatsanwaltschaft Wien, mache Verfahren betreut die Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck. Hintergrund dessen ist die Suspendierung Pilnaceks als Generalsekretär im Justizministerium. Ein noch immer aufrechter Vorwurf gegen den einst mächtigsten Justizbeamten: Pilnacek soll 2019 eine Hausdurchsuchung bei dem Investor Michael Tojner an dessen Anwalt, den früheren Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP), verraten haben – Tatsache ist aber auch, dass der Bericht dazu erst nach der Durchsuchung im Ministerium aufgelegen ist, ergo man dort vorher nichts wusste – und eine Journalistin bei Tojner Tage vorher angefragt hatte, ob es eine Durchsuchung gegeben habe.
Die Kommission empfiehlt, die WKStA aus dem „Bundes-Nadelöhr" der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien herauszulösen. In der Praxis soll also eine andere Institution die Arbeit der Korruptionsjäger überwachen. Die WKStA wünscht sich dies schon länger – immerhin krachten die Korruptionsjäger immer wieder mit ihren Vorgesetzten wie Pilnacek und dessen Vertrauten Johann Fuchs zusammen. Tatsache ist aber auch, dass die WKStA viele, große Verfahren wie jene um Stadterweiterungsfonds oder BVT verloren hat, die Art der Ermittlungen massiv kritisiert wurde, und das umso mehr zeigt, dass eine starke Dienst- und Fachaufsicht als Gegenspieler wohl doch notwendig ist.
Justizministerin Zadic übertrug daher 2021 die Fachaufsicht der WKStA in politnahen Fällen an einen Oberstaatsanwalt der OStA Innsbruck, der dafür der OStA Wien zugeteilt wurde. Er wies etwa an, dass die WKStA aufgrund einer möglichen Inseraten-Affäre gegen die FPÖ-Spitze rund um Herbert Kickl ermitteln müsse.
Die Kreutner-Kommission fordert nun, diese Sonderstellung der WKStA zu institutionalisieren und dadurch dauerhaft zu machen. Das würde die WKStA stärken. Denn die derzeitige Lösung könnte ein:e neue Justizminister:in jederzeit wieder zurücknehmen und alte Konflikte neu aufflammen lassen.
Bericht bestärkt Forderungen nach Generalstaatsanwaltschaft
Die Kommission empfiehlt, eine unabhängige Generalstaatsanwaltschaft (nach dem institutionellen Vorbild der Europäischen Staatsanwaltschaft EPPO) als Weisungsspitze zu schaffen.
Damit wird Justizministerin Zadics Hoffnung auf eine Einigung in der Regierung bestärkt. Sowohl SPÖ als auch Neos stimmen der Forderung zu. Die Chancen auf die Umsetzung sind dennoch gering. Über eine Bundesstaatsanwaltschaft wird zwischen den Koalitionsparteien ÖVP und Grüne seit Langem verhandelt. Zwischen den Regierungsparteien spießt es sich vor allem daran, wer die Letztentscheidungen über die Bestellung jener Generalstaatsanwaltschaft treffen soll. Die ÖVP will eine Person an der Spitze, in deren Bestellung das Parlament eingebunden werden soll – die Grünen schlagen einen Dreiersenat vor. An der Umsetzung dieser Causa hängt auch die seit Jahren forcierte und dringend notwendige Umsetzung der Strafprozessordnung.
Inwiefern diese Empfehlungen umgesetzt werden – oder nicht –, fällt wohl in die Verantwortung jener Person, die nach der Nationalratswahl das Ressort führen wird.