Christian Kern: "Dann wäre die SPÖ meschugge"

Parteichef Christian Kern über seine Kritiker, notwendige Reformen und die Parolen der Rechten.

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Interview: Eva Linsinger

Dieser Artikel erschien ursprünglich im profil Nr. 34 / 2018 vom 20.08.2018.

profil: Schafft sich die SPÖ mit ihrem neuen Parteiprogramm selbst ab? Kern: Das Gegenteil ist der Fall: Sie bewegt sich weiter. Das ist auch notwendig. Die Basis des Parteiprogramms sind Arbeit und Soziales, das wird immer das Fundament sein, auf dem die SPÖ steht. Wenn wir diese Basis allerdings nicht verbreitern, wird uns das Schicksal anderer sozialdemokratischer Parteien ereilen: die Marginalisierung. Nur ein Stehenbleiben würde bedeuten, die SPÖ abzuschaffen.

profil: Hans Peter Doskozil fürchtet die Abschaffung und warnt vor grün-linker Fundipolitik. Kern: Diese Kritik ist obskur. Wenn die 29-Prozent-Partei SPÖ versuchen würde, eine Drei-Prozent-Partei wie die Grünen zu kopieren, dann wäre sie wohl meschugge. Es gab 15.000 Beiträge zum Parteiprogramm, das auf vier Säulen steht: Arbeit und Sozialstaat sicherstellen, Europa stärken, die Herausforderungen durch Klimawandel und Migration. Das Thema Migration ist alles andere als ausgespart.

profil: Kritiker sagen: Mit Bobos wird die SPÖ keine Mehrheit erreichen. Kern: Ich halte die Diskussion für nicht nachvollziehbar. Bei der Wahl und auch danach konnte die SPÖ unter Jüngeren zulegen, besonders stark in den Städten. Unsere Herausforderung besteht darin, dieses Wählerpotenzial zu festigen und auszubauen. Meine strategische Grundlegung lautet: Wenn wir uns Frankreich, Niederlande, Deutschland anschauen, dann sehen wir, dass die Sozialdemokratie überall dort zur Randgröße wird, wo sie nicht den Führungsanspruch im progressiven Lager behaupten kann.

profil: Wer gehört zum progressiven Lager? Kern: Menschen, denen Menschenrechte wichtig sind, das Zusammenleben in Weltoffenheit und Toleranz, Leistung genauso wie sozialer Zusammenhalt. Und Menschen, die nicht auf Wagenburgen und Abschottung setzen. Dazu gehören auch katholische Verbände.

profil: Gehört Doskozil zu dem Lager? Kern: Na sicher.

Eine Sozialdemokratie darf nie die Parolen der Rechten nachplappern.

profil: Kritiker wenden ein, der Stammklientel, den Arbeitern, sei das Thema Migration wichtiger als Weltoffenheit. Warum wird das im Programm so wenig behandelt? Kern: Der unsinnigste Vorwurf ist, dass wir uns zu wenig mit Migration beschäftigen. Doskozil und Peter Kaiser wurden vor Wochen beauftragt, mit Ländern, Jugend und Pensionisten ein neues Konzept zu erarbeiten. Es gibt keine Zweifel, dass wir die Zuwanderung begrenzen und mehr für die Integration tun müssen. Aber wir würden unsere Seele verkaufen, wenn wir die Politik von ÖVP und FPÖ einfach nachahmen würden. Wir werden niemals die Leute aufeinanderhetzen. Wir müssen wieder mehr Mut haben und eigene Positionen vertreten: Ja, wir wollen die Kontrolle der Grenzen, aber wir sind auch dafür, Menschen im Mittelmeer zu retten. Eine Sozialdemokratie darf nie die Parolen der Rechten nachplappern.

profil: Geht es bei der Diskussion um das Parteiprogramm um einen Rechts-links-Streit in der SPÖ? Kern: Mir scheint, es geht eher um ein Wettrennen um die beste Schlagzeile. Im Ernst: Wir beschäftigen uns im Parteiprogramm mit den Abstiegsängsten von breiten Schichten, mit den Auswirkungen des entgrenzten Kapitalismus, mit den Verlierern der Digitalisierung und damit, wie wir Europa gegen die Bedrohung Donald Trump stärken können. Und auch mit dem Klimawandel, dem zentralen Treiber der Migration, dessen Auswirkungen gerade im Alpenraum besorgniserregend sind. Diese Programmdiskussion ist für die SPÖ eine spannende Übung: Wir können uns den Kopf über Grundlegendes zerbrechen. Daher interessiert mich das taktische Klein-Klein nicht, sondern vielmehr die Frage, wie wir den Wohlstand erhalten und gerechter verteilen können.

Hans Peter Doskozil, Christian Kern, Peter Kaiser

profil: Umstritten ist Ihre Idee, SPÖ-Funktionen auf zehn Jahre zu begrenzen. Wird sie wirklich umgesetzt? Kern: Ja, weil ich denke, dass wir eine Partei sein sollten, die ihre Mitglieder intensiv einbezieht. In den vergangenen zwei Jahren sind viele neue Mitglieder gekommen, und zwar nicht, weil sie eine Wohnung oder einen Job wollten. Denen müssen wir ein Signal geben, dass sie mitbestimmen können. Mehr Einfluss für Mitglieder heißt auch, dass die Funktionäre etwas Macht abgeben müssen. Basisinitiativen werden erleichtert und Abgeordnete brauchen nach zehn Jahren eine Zweidrittelmehrheit, um ihre Position zu behaupten. Ein politisches Mandat ist ein Auftrag der Wähler und keine Erbpacht. Ich will die Partei weiterentwickeln. Da gibt es immer auch Unruhe und gewissen Widerstand.

profil: Wie wollen Sie die verschiedenen Flügel in der SPÖ einen? Kern: Ich kann sie nicht wirklich wahrnehmen. Das neue Parteiprogramm ist mit 85-prozentiger Mehrheit von den Mitgliedern beschlossen worden, im Parteivorstand sogar mit 100 Prozent. Das Ganze war ein Sturm im Wasserglas.

profil: Das sehen Ihre Kritiker anders. Kern: Mir ist es wichtig, dass wir uns neu aufstellen und die Erneuerung vorantreiben. Alle können sich einbringen. Wenn jemand das nicht nützt, dann ist meine Bereitschaft, mich mit Kritik hinter vorgehaltener Hand auseinanderzusetzen, tendenziell gering.

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Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin