Christian Rainer: Michael Ludwig, ein Sieger?
Die banale Frage nach jeder Wahl: Wer sind die Gewinner, wer die Verlierer? So banal muss die Frage aber nicht sein, sie führt bei der Wien-Wahl sogar zu einer überraschenden Antwort, wenn man nur einen geeigneten Blickwinkel einnimmt.
Versuchen wir es so: Durch einen Freak-Accident namens Ibiza-Video – nichts was mit einer Summe politischer Leistung zu tun hätte –, waren in Wien viele Stimmen vogelfrei geworden und neu zu vergeben. Auf Basis von Hochrechnungen Sonntag abends und ohne Wahlkarten waren es fast 20 Prozent der Stimmen, die zur Verschubmasse geworden waren. So viel fehlt der FPÖ nämlich, wenn man die Wähler des Team HC Strache einbezieht, auf das Ergebnis von 2015.
Wer also hat vom balearischen Crash des ehemaligen Parteichefs und seines ehemaligen Statthalters in der Bundeshauptstadt profitiert? Oder unfreundlich gefragt: Wer konnte diese außergewöhnliche Situation nicht nützen? Betrachten wir die Situation mit freiem Auge (und ohne Wählerstromanalysen)! Demnach sind die Grünen und Neos Wahlsieger außerhalb dieses Gedankenspiels: Sie haben gewonnen, obwohl mit großer Sicherheit wenige der ehemaligen Freiheitlichen zu den humanitär, liberal, links konnotierten Kleinparteien übergelaufen sind. In beiden Fällen dürfte die Bundespolitik durchgeschlagen haben – nur eine Vermutung –, jedenfalls sind sie Gewinner aus eigenem Zutun.
Den stärksten absoluten und erst recht relativen Zuwachs konnte die ÖVP verbuchen. Hier liegt der Schluss nahe, dass erstens die Bundespolitik, also Sebastian Kurz aber auch dessen Finanzminister für die neue Stärke verantwortlich sind. Zweitens startete Gernot Blümel von einem absurd niedrigen Ausgangspunkt, was die Sache deutlich leichter machte. Drittens aber konnte die Volkspartei eben ehemalige Strache/Gudenus-Wähler motivieren, was angesichts der an die Grenzen des Anstands getriebenen Aussagen zu Ausländern und Migration schlüssig erscheint. Diese Rechnung hat auch Bestand, wenn wir alle jene Wienerinnen und Wiener einbeziehen, die 2015 FPÖ gewählt hatten, dieses Mal aber zu Hause blieben, also jene 20 Prozentpunkte merkbar reduzieren.
Was uns zu der Frage führt, ob Michael Ludwig wirklich ein Wahlsieger ist. Darüber lässt sich streiten. Die SPÖ konnte – nach ersten Hochrechnungen – nur einen schmalen einstelligen prozentuellen Zuwachs verzeichnen. Dabei wäre die Sozialdemokratie historisch gesehen die erste Anlaufstelle für alle verprellten FPÖ-Wähler gewesen, die sich beim besten Willen nicht für Ibiza auf Video und Viagra auf Spesen einstellen konnten: Schließlich waren die tatsächlich und vermeintlich wenig Privilegierten inklusive der halben Arbeiterschaft ja massenhaft in Richtung FPÖ abgewandert. Warum ist da nicht mehr gelungen? Vielleicht weil der Bürgermeister nicht auf jenen Migrationskurs eingeschwenkt ist, den die Volkspartei so herzhaft herzlos gesteuert ist? Persönliche Anmerkung: Dann wäre Ludwig dennoch ein klarer Sieger.