Christian Rainer
Gespräch

Christian Rainer über 25 Jahre bei profil und die Zukunft des Journalismus

Nach 25 Jahren als Chefredakteur und Herausgeber verlässt Christian Rainer das profil. Zum Abschied: ein Gespräch über Erfolge, Krisen und bunte Stutzen, mögliche Romane und unmögliche Medien – moderiert von Alexander Wrabetz.

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Man kennt einander ziemlich gut und seit ziemlich genau drei Jahrzehnten, man ist befreundet und hat, nicht unbedingt gemeinsam, aber ungefähr zeitgleich, die österreichische Medienlandschaft geprägt: Zum Abschied vom profil, das er seit Juli 1998 als Chefredakteur und Herausgeber leitet, gibt Christian Rainer in diesem Magazin sein spätes Debüt als Interviewter. Die Fragen stellt Alexander Wrabetz, von 2006 bis 2021 Generaldirektor des ORF. Das Gespräch findet in Rainers Wohnung im 9. Wiener Bezirk statt, man blickt auf Universität und Votivkirche und ist selbstverständlich per Du.

Hätte es Waldheim nicht gegeben, wäre ich nicht Journalist geworden. Hätte es Haider nicht gegeben, wäre ich möglicherweise nicht Journalist geblieben.

Wrabetz
Vor Kurzem hatte das profil eine Titelgeschichte über künstliche Intelligenz. Am Cover stand da unter anderem: Kann künstliche Intelligenz besser denken als Einstein? Warum stand da nicht: … besser Leitartikel schreiben als Christian Rainer?
Rainer
Danke, du warst immer ein Freund, aber manchmal auch ein bisschen zynisch.
Wrabetz
Ich formuliere die Frage neu: Ziehst du dich aus dem Magazinjournalismus zurück, weil grundlegende technologische Veränderungen den Journalismus so massiv beeinflussen werden, dass es nicht mehr zu bewältigen sein wird?
Rainer
Ich glaube, dass KI eher im Fernsehjournalismus für Umbrüche sorgen wird als im politischen Nachrichtenmagazin. Die Frage ist trotzdem berechtigt, weil die digitale Disruption den Journalismus in einer Art und Weise verändert hat wie niemals irgendetwas zuvor. Der Unterschied ist der zwischen Pferdefuhrwerk und Dampfmaschine. Das hat zwei Effekte. Einen langsamen: dass kaum neue, junge Printleser:innen nachwachsen. Und einen schnellen: dass Werbeerlöse massiv abwandern. Wir stecken in einer barbarischen Krise, die tatsächlich mit der Digitalisierung zusammenhängt.

 

Das profil ist im Grunde vom ersten bis zum letzten Buchstaben öffentlich-rechtlich.

 

Wrabetz
Ist denn ein Journalismus, bei dem einmal pro Woche ein Stück Papier ausgeliefert wird, in dem sehr lange Texte abgedruckt sind, überhaupt noch zeitgemäß?
Rainer
Die Länge der Texte ist nicht das Thema. Long Reads funktionieren auch online sehr gut. Aber natürlich reicht es nicht mehr, einmal pro Woche zu publizieren. Du musst viele verschiedene Berührungspunkte offerieren. Die Schwierigkeit besteht darin, in einer Art Parallelaktion digitale Vertriebserlöse zu erzeugen und gleichzeitig die Print-Erlöse nicht zu beschädigen. Das profil wird das gut hinbekommen.
Wrabetz
Obwohl du weg bist?
Rainer
Man könnte auch sagen: weil ich weg bin und meine Nachfolgerin Mitte 30 ist.
Wrabetz
Wie wirst du deinen ungeborenen Enkeln einmal erklären, was du früher so gemacht hast? Die „Arbeiter-Zeitung“ gibt es nicht mehr, die „Wirtschaftswoche“ auch nicht; wer weiß, welche Printprodukte es in zehn Jahren noch geben wird: Wie willst du deinen Enkeln diese Zeit beschreiben?
Rainer
Das Gute an der Digitalisierung ist, dass die Werke abrufbar bleiben, und man muss dafür nicht einmal in eine Bibliothek gehen. Das sind bei profil ungefähr 1000 Leitartikel und 1300 Titelseiten, die ich verantwortet habe. Übrigens: Wir haben uns kennengelernt, als du Generalsekretär der Austrian Industries warst, die es heute auch nicht mehr gibt. Du wolltest mich damals abwerben.
Wrabetz
Du hattest ein sehr lukratives Angebot von mir. Was wäre gewesen, wenn du auf die Industrieseite gewechselt wärst? Hast du es nie bereut, beim Journalismus geblieben zu sein?
Rainer
Ich wäre reich und traurig, und so bin ich nicht arm, und es hat jeden Tag Freude gemacht.
Wrabetz
Was ist für dich der große Reiz am Journalismus?
Rainer
Am Anfang waren es sicher auch die beiden schnell zu stillenden Eitelkeiten des öffentlichen Auftritts und der Möglichkeit, Dinge bewegen zu können. Der erste Teil hat über die Jahre abgenommen, der zweite etwas langsamer. Dafür wurde das Privileg immer wichtiger, jeden Tag mit einigen Dutzend hochintelligenten und hochintegren Menschen arbeiten zu dürfen. Ich meine die profil-Redaktion. Darin liegt meine einzige Angst im Moment: wie sehr mir das fehlen wird.
Wrabetz
Aber die Eitelkeit ist nicht ganz verschwunden, oder? Du warst lange fast täglich präsent in den elektronischen Medien – im ORF, auf Ö3, eigentlich überall. Das beflügelt den Narzissmus doch ungemein.
Rainer
Mein erster Auftritt im elektronischen Medium war auf Blue Danube Radio, und ich war sehr nervös. Aber derzeit schwimmen einem da eher die Felle davon. Weil jede Influencerin, jeder Influencer bekannter und mit mehr Wirkungsmacht ausgestattet ist als viele von uns Journalisten. Damit ist mein elektronischer Fußabdruck auch immer kleiner geworden.
Wrabetz
Aber du warst immerhin jahrelang auch Testimonial der profil-Werbekampagne, oft am Rande der Legalität, weil der ORF ein sehr strenges Inhaltswerbeverbot hatte.
Rainer
Mein Text war damals: „Ich darf Ihnen leider nicht sagen, was im neuen profil steht. Sie müssen es selber lesen.“ Das war unsere Rache an eurem depperten Gesetz, für das ihr nichts konntet.
Wrabetz
Trotzdem wurden immer wieder Strafen fällig, die der ORF bezahlen musste.
Rainer
Schick mir die Rechnung, ich schick sie dir dann zurück!
Wrabetz
Hast du dir in puncto Selbstdarstellung gar nichts vorzuwerfen?
Rainer
Da wären wir bei der beliebten Frage, ob meine öffentlichen Auftritte in diesen 25 Jahren dem profil mehr geschadet als genützt haben, also etwa die Buntheit meiner Stutzen und mein gelegentlich in die Öffentlichkeit getragenes Privatleben. Wobei ich doch immer noch überzeugt bin, dass das Teil meines Außenminister-Daseins für das profil war und mehr Interesse erzeugt hat, als es Menschen abgeschreckt hat, das profil zu lesen. Inhaltlich hat es ohnehin nie eine Rolle gespielt.

 

Wrabetz
Ich höre hier eine gewisse Rationalisierung deiner Eitelkeit durch, aber ich würde dir auch zugestehen, dass du etwas vorweggenommen hast: dass Personalisierung in den Medien immer wichtiger geworden ist.
Rainer
Ich habe bei diesen Fragen auch den Eindruck, dass sie in der Twitter-Blase wichtiger genommen werden als beim größeren Publikum. Zu meinen, dass durch mein Interesse an der Funktionsweise von Sebastian Kurz das profil plötzlich in ein konservatives, bürgerliches Eck gerückt worden wäre, dazu gehört schon ein besonderes Maß an Blindheit. Die Verortung des profil ist nicht nur von der ÖVP aus gesehen immer noch auf der, nennen wir es so, liberalen Seite.
Wrabetz
Wird sich das nun ändern?
Rainer
Die profil-Redaktion ist in einem Maße stabil, das sich durch meinen Abgang nichts ändern wird.
Wrabetz
Du hast Jahrzehnte im Journalismus verbracht. Was hast du jetzt vor? Ein anderes Medium, ein Buch? Vielleicht über das Verhältnis von Medien und Politik und über deinen Umgang mit der Message Control?
Rainer
Das könnte ich machen, aber der Giftschrank bleibt zu. Das Redaktionsgeheimnis gilt über den beruflichen Tod hinaus.
Wrabetz
Hast du denn jemals ein Buch geschrieben?
Rainer
Ich war einmal Ghostredigator für Alexander Maculan. Aber darüber hinaus nicht. Das liegt auch daran, dass du bei jeder Ausgabe des profil 300.000 bis 400.000 Leserinnen und Leser hast, früher noch mehr, und ein gut verkauftes Buch vielleicht 20.000 Stück absetzt. Das erschien mir wie verlorene Liebesmüh. Außerdem bin ich Perfektionist und weiß, dass ich nicht gut genug bin, um den „Zauberberg“ zu schreiben.

 

Die Wirtshausrauferei ist digital geworden und erreicht Millionen von Menschen.

Wrabetz
Das klappt mit den modernen Chatbots aber heute schon ganz gut: ChatGPT, schreib einen Roman im Stil von Christian Rainer!
Rainer
Ich würde wirklich wahnsinnig gerne einen großen Roman verfassen, aber ich glaube nicht, dass ich es kann. Meine Demut ist diesbezüglich groß genug.
Wrabetz
Und wenn, wo würdest du schreiben? Mit Blick auf den Traunsee?
Rainer
Am Laptop, in Bewegung. Einer meiner Pläne für die nächste Zeit ist übrigens, ein zweites Mal Interrail zu machen, nach 46 Jahren.
Wrabetz
Gibt es dafür denn schon Seniorenkarten?
Rainer
Danke, ganz lieb.
Wrabetz
Also kein Buch. Was dann?
Rainer
Ich habe viele Ehrenämter: im Vorstand der Ludwig Boltzmann Gesellschaft, in der Nationalbibliothek, beim M100 Sanssouci Colloquium, dem BA Kunstforum, als Präsident der European Business Press. Aber ich hätte schon auch Kraft und Ideen für etwas Zentrales. Zum Beispiel fehlt in Österreich der große außen- und gesellschaftspolitische Thinktank nach dem Vorbild der Bertelsmann Stiftung. Das wäre eine Idee. Es gibt noch andere. Keine Chefredaktion vermutlich. profil kann man nicht toppen. Du kennst das vielleicht als ehemaliger ORF-Intendant.

 

Christian Rainer und Alexander Wrabetz
Wrabetz
Franz Vranitzky hat einmal gesagt: Man kann auf der Leiter auch einmal nach unten klettern, aber nie auf derselben. Du könntest in die Politik gehen.
Rainer
Damit wir uns dort wiederbegegnen? Wenn du in die Politik gehst, überleg ich es mir. Aber nein. Natürlich gab und gibt es einschlägige Anfragen. Aber zumindest die Bundespolitik birgt eine Brutalität, gegen die die Chefredaktion des profil eine Sandkiste ist.
Wrabetz
Du hast dich im politischen Biotop immer wohlgefühlt und keine Berührungsängste gezeigt. Man muss anerkennend sagen, dass sich das nie in deiner Arbeit niedergeschlagen hat.
Rainer
Zur Enttäuschung vieler. Aber gerade wenn man sich im politischen Milieu bewegt, kennt man die emotionalen und physischen Belastungen eines Politikers, einer Politikerin sehr gut. Und wie gesagt: Die Eitelkeit ist kein Motiv mehr.
Wrabetz
Die Härte im politischen Geschäft hat sich durch die sozialen Medien noch einmal verstärkt. Auf der einen Seite arbeitet sich der klassische Journalismus noch einmal viel härter an der Politik ab, um seine Unabhängigkeit zu beweisen. Auf der anderen Seite debattiert die Twitteria, und dazwischen agieren Trollfabriken, die die öffentliche Meinung sabotieren. Haben sich in dieser Gemengelage die Standards verschoben?
Rainer
Ich würde dir nicht zustimmen bei der These, dass der klassische Journalismus härter geworden ist. Wir haben im Jänner 2000 ein Cover zur Regierungsbildung von Schwarz-Blau publiziert, darauf stand: „Schande Europas“. Die Veränderung auf unserer Seite manifestiert sich anders: Wir predigen heute weniger von oben herab, wir haben Fragezeichen und Personalpronomen am Titelblatt, was vor 20 Jahren undenkbar war. Was mich bedrückt: dass sich die Deutungsmacht, die wir hatten, in Richtung jener verschoben hat, die sich vielleicht auf Twitter als Journalist:innen gerieren, aber nicht unsere Standards pflegen. Da wird nicht gecheckt, nicht gegengecheckt. Es ist furchtbar, was wir auf Social Media gerade verlieren, und es ist gefährlich für die Demokratie.
Wrabetz
Es geht dabei aber nicht nur um die Fakten, sondern auch um die Tonalität. Du kannst im Netz jeden beschimpfen, wie du willst. Und über den Weg des Shitstorms wird das dann zu einer kollektiven inhaltlichen Stellungnahme.
Rainer
Die Wirtshausrauferei ist digital geworden und erreicht Millionen von Menschen. Und das Strafrecht scheint im Digitalen nicht die Geltung zu haben, die es sonst im öffentlichen Raum hat. Das ist mehr als bedenklich. Die Demokratisierung des Diskurses ist der Demokratie nicht automatisch zuträglich.
Wrabetz
Aber klassische Medien passen sich zum Teil an und greifen auf, was gerade im Netz passiert …
Rainer
Gleichzeitig entstehen Medien, die nur an der Oberfläche wie Medien aussehen und sich in ihrem Wahrheitsgehalt nicht so sehr von der Propagandamaschinerie des Wladimir Putin unterscheiden. Weil ich das jetzt gesagt habe, nenne ich keine Namen.

 

Wrabetz
Ist das Rezept, wie eine moderne Demokratie damit umgehen sollte, schon erfunden?
Rainer
Nein, und es wird auch nicht mehr erfunden werden. Ich bin sehr pessimistisch, was die vierte Säule betrifft. Das macht mich traurig und, wenn ich an meine Kinder denke, auch besorgt.
Wrabetz
War das nicht schon immer eine Selbstüberhöhung: die Presse als vierte Säule?
Rainer
Wir sind Teil der demokratischen Checks and Balances, auch wenn wir in der Bundesverfassung nur in Bezug auf unsere Freiheiten verankert sind. Dort steht nicht, dass es uns geben muss. Das ist gefährlich.
Wrabetz
Ein Verfassungsanspruch auf Qualitätspresse könnte aber nur in Form einer Staatsfinanzierung garantiert werden, also wenn es staatliche Interventionen gegen eine allfällige negative Marktentwicklung gäbe.
Rainer

 

Du weißt, was ich seit Jahren sage: dass das profil vom ersten bis zum letzten Buchstaben öffentlich-rechtlich ist. Dass wir auch das letzte Tal in Tirol, teils mit hohen Verlusten, beliefern, dass wir auch einen Bildungsauftrag erfüllen. Dennoch bekommen wir nichts, was mit den ORF-Gebühren vergleichbar wäre. Das verstehe ich nicht. Andererseits: Verstehst du die Medienministerin, wenn es um die Frage der ORF-Finanzierung geht?
Wrabetz
Sie hat den schwierigsten Weg gewählt, um die zukünftige Finanzierung zu gestalten. Das noch von mir angestrebte VfGH-Erkenntnis besagt, dass TV-Empfang via WIFI jenem über Antenne, Kabel oder Satellit gleichzusetzen ist. Das hätte man auch mit einem Satz umsetzen können. Die Einführung einer Haushaltsabgabe hat in Deutschland drei Jahre gedauert. So etwas in ein paar Monaten durchzupeitschen, ist brandgefährlich für den ORF und sein Publikum und wichtige gesellschaftliche Bereiche wie Kultur, Film oder Sport. Wieso die ÖVP mit dem Motto „der ORF muss bluten“ ein Thema für die FPÖ hochspielt, ist mir nicht erklärbar. Aber das hat jetzt mit deinem Lebenswerk nichts zu tun. Ich glaube auch, dass Qualitätsmedien generell nur mit einer starken öffentlichen Komponente finanzierbar sind. Damit kommst du aber in eine Situation, über die ich viel erzählen kann, nämlich dass du natürlich nahe an der Politik und deren Einflussbegehren agierst.
Rainer
Ich habe vor politischen Begehrlichkeiten weniger Angst als vor einem Verschwinden des Qualitätsjournalismus. Mein Eindruck ist freilich, dass die Politik wenig Interesse daran hat, Medien zu stärken, die sie nicht beeinflussen kann. Kritik und offenes Denken werden von vielen Spitzenpolitikern leider als negative Zuwendung gewertet. Sebastian Kurz war ein gutes Beispiel dafür, aber auch viele Sozialdemokraten haben so empfunden.
Wrabetz
Medien müssen sich wohl auch unabhängig von der Frage der Finanzierung verändern. Oder glaubst du, dass in zehn Jahren ein profil-Leitartikel so aussehen wird wie heute?
Rainer
Es kommt auf die Aufbereitung an. Long Read funktioniert digital, Meinung funktioniert digital, zum Beispiel als Podcast. Die Frage ist, ob jemand bereit ist, dafür zu bezahlen.

 

Wrabetz
Warum hat profil unter deiner Leitung so wenig auf Digitalisierung gesetzt?
Rainer
Das hängt damit zusammen, dass wir in diesen 25 Jahren gefühlt zehn Managing Directors, vier Eigentümerwechsel und ich weiß nicht wie viele Übersiedlungen erlebt haben – und dass profil online bis vor Kurzem noch einmal eine andere Eigentümerstruktur hatte als das ohnehin schon komplex strukturierte Printmedium. Da hatte niemand viel Lust, in Online zu investieren. Ja, wir waren spät dran. Und ja: In absehbarer Zeit wird nur die Monetarisierung von digitalen Inhalten das Überleben sichern. Aber wir haben gerade in den vergangenen drei Jahren viel weitergebracht – großes tägliches Angebot, zeitgemäße Darstellung, viele neue Formate und Kanäle.
Wrabetz
Zum Schluss würde ich dir gern noch eine Frage stellen, die mir der Chatbot empfohlen hat.
Rainer
Schieß los.
Wrabetz
Was war das prägendste Erlebnis in Ihrer Journalistenlaufbahn und wie hat es Ihr Leben verändert?
Rainer
Es war immer die Auseinandersetzung mit dem rechtsextremen Populismus, mit der FPÖ, mit Jörg Haider, davor mit Kurt Waldheim. Ich wurde durch die Waldheim-Affäre politisiert und bin damals zum „Falter“ gelaufen, um darüber zu schreiben. Das war sicherlich prägend. Hätte es Waldheim nicht gegeben, wäre ich nicht Journalist geworden, hätte es Haider nicht gegeben, wäre ich möglicherweise nicht Journalist geblieben.
Wrabetz
Hat das auch mit deiner Familiengeschichte zu tun?
Rainer
Ich glaube nicht. Jörg Haider hat mir mehrfach nachgerade flehentlich vorgehalten, ich käme doch aus einem deutschnationalen Umfeld. Für meine Kärntner Verwandten mag das zutreffen, für meine Eltern überhaupt nicht. Aber die Frage ist trotzdem richtig: Wir sind in unserer Generation alle davon betroffen, wir hatten alle Großeltern oder Eltern, die darüber geschwiegen haben oder geleugnet haben, dass sie Mitläufer, Mittäter oder Traumatisierte waren. Das ist die Familiengeschichte von uns allen, die in Wahrheit Millionen von Journalistinnen und Journalisten erzeugen hätte sollen: das große Schweigen.

Protokoll: Sebastian Hofer
Fotos: Philipp Horak

Mit 1. März übernimmt Anna Thalhammer, 37, die Chefredaktion des profil. Vor seiner Tätigkeit beim profil war Christian Rainer (geboren 1961) von 1988 bis 1990 Wirtschaftsredakteur und dann stellvertretender Chefredakteur der „Arbeiter-Zeitung“, von 1990 bis 1996 Wirtschafts-Ressortleiter und Chefredakteur der „Wochenpresse“, die dann zur „Wirtschaftswoche“ wurde.