Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Wahlweise

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In Vorbereitung auf den Sonntag und die schnelle Produktion vieler aktueller Seiten machte sich die profil-Redaktion Gedanken über mögliche Szenarien, die über den Tag nach der Wahl und über das platte Reportieren von Zahlen und damit verbundene Koalitionsvarianten hinausreichen würden. Was wird bleiben, wenn der Lärmpegel gesunken ist, wenn das Staunen über Stronachs beutelosen Beutezug verfliegt, wenn das Schicksal von BZÖ und NEOS entschieden ist? Wie also würde diese Wahl nach Jahren in Erinnerung bleiben, wenn der kanadische Milliardär und sein Team längst Geschichte sind und sein österreichischer Widerpart mit dem manchesterlinksradikalen Anspruch wieder um den Platz im Parlament kämpfen muss? Würde es die erstmalige Teilhabe einer grünen Partei an der Regierung sein, weil die beiden historisch verfeindeten und bis in die Gegenwart fremden Lager in ihrer Summe auf eine gesellschaftliche und damit politische Minderheitsmenge geschrumpft sind? Oder würde es Werner Faymann doch gelungen sein, mit in Erfahrung gebackener Beharrlichkeit einen Merkel-Effekt zu erzeugen, um sich als relativer Sieger unter vielen Zukurzkommern feiern lassen zu können?

Die Gedanken in der Redaktion liefen recht parallel in folgende Richtung: Die Große Koalition verliert massiv, muss um ihren Überhang an Mandaten zittern, wird die Mehrheit letztlich aber halten. Und die FPÖ wird in den nächsten fünf Jahren auf Augenhöhe mit einer sich in die Verlängerung schleppenden Koalition Oppositionspolitik betreiben.

Diese Gedanken entsprechen dem Wahlergebnis, und dieses Wahlergebnis ist ein beschämendes. Zum wiederholten Mal hat eine radikal rechte Partei bei nationalen Wahlen ähnlich viele Stimmen erreicht wie die etablierten demokratischen Kräfte im Land. Das war schon 1999 so, als profil „Sieger Haider. Kanzler Schüssel?“ titelte, und auch 2008, als wir FPÖ und BZÖ addierten und am Cover zum Schluss „Radikale Rechte wird entscheidende Kraft in Österreich“ kamen.

Doch das Augenfällige ist nicht bloß ein Déjà-vu. Vielmehr ist die Gefechtslage dramatisch schlechter geworden.

Denn erstens müssen die Stabilität gebenden Parteien der Republik das mieseste Ergebnis ihrer Geschichte verbuchen. Das gilt für SPÖ und ÖVP individuell und damit natürlich auch gemeinsam: Jene Politiker also, denen man auf Basis von Erfahrungswerten eine desasterfreie Führung des Landes zutraut, sind bei der ersten im Parlamentsklub wogenden Grippewelle nicht in der Lage, Gesetze erfolgreich zur Abstimmung zu bringen.

Zweitens: Wenn wir in einem wenig gewagten Experiment die BZÖ-Stimmen und einen guten Teil der Stronach-Wähler der FPÖ zuschlagen, sind die Freiheitlichen Kopf an Kopf mit der SPÖ die größte Partei im Land. Diese Rechnung macht Sinn, weil mit einer Erholung der Haider-Abspaltung BZÖ ebenso wenig zu rechnen ist wie mit einer segensreichen Zukunft der kanadischen Konzerntochter jenes Mannes, der auf die Schnelle Kanzler werden wollte.

Drittens:
Mit guter oder einigermaßen brauchbarer Politik ist der FPÖ nicht beizukommen. Die Performance der Bundesregierung ist nicht so desaströs, dass sie den massiven Zulauf zu einer radikalen (und den mäßigen zu einer skurrilen) Gruppierung verständlich machte, die Wirtschaftsdaten sind es schon gar nicht. (Und wenn die hervorragende Arbeit der SP-VP-Koalition in der Steiermark nur dazu führt, dass die FPÖ auf Platz eins katapultiert wird, ist ohnehin Hopfen und Malz verloren.)

Viertens:
Alle Kleinredner der Freiheitlichen hatten Unrecht. Weder das trotzig postulierte Niederringen durch Wolfgang Schüssel noch der wenig ruhmreiche Tod Jörg Haiders noch blau-orange Korruptionskumulation konnten dem rechten Lager irgendetwas anhaben. Man darf befürchten: im Gegenteil – je lauter, desto stark.

Heinz-Christian Strache ist in Schlagdistanz zum Kanzleramt, und das Wegreden dieser – vor allem von profil – regelmäßig vorgetragenen Behauptung hat sie erwartungsgemäß nicht unrichtiger gemacht. Vielmehr sind seit vergangenem Sonntag neben Körperschlägen auch Kopfschläge möglich. Mit der Regierungsbeteiligung im Jahr 2000 waren den Österreichern die moralischen Bedenken genommen worden, man dürfe eine derartige Partei nicht wählen, geschweige denn sie sich in eine Regierung wünschen. Mittlerweile verfestigen sich die arithmetischen Schwankungen des rechten Lagers zu einer Konstanten hart an der Spitze des Wählerwillens. Damals war der Menschenfänger Haider für die spektakulären Ergebnisse verantwortlich gemacht worden, inzwischen kann das auch sein grobschlächtiger Epigone.

Zusammenfassend heißt das:
Das Wahlergebnis des 29. September ist nur scheinbar unspektakulär.
Die relative Stärke einer radikal rechten Partei mit xenophoben Inhalten und Personal aus dem Neonazi- und deutschnationalen Milieu mag in Österreich Gewohnheit geworden sein, im westlichen Europa bleibt sie einzigartig.

Durch die weitere Schwächung von SPÖ und ÖVP wird eine Regierung unter Führung dieser Partei zu einer greifbaren Möglichkeit.

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