Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Zum 40.

Zweifel am Bestehen von profil bis zum 100.?

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profil ist 40. Da fragen Freunde gerne, ob profil auch 50 werden wird. Ja, natürlich wird es das. Aber fragt doch besser, ob dieses Magazin 100 Jahre alt wird!

Kein 100. Geburtstag für profil? Das wäre eine schlechte Prognose: Die Welt wäre keine andere, weil es profil nicht mehr gäbe, sondern es gäbe profil nicht mehr, weil die Welt eine andere wäre.

Man erspare sich das „kaum“: Nicht „kaum eine“ andere Branche ist einer ähnlich mächtigen Zahl von Unsicherheitsfaktoren ausgesetzt wie die Medienindustrie, vielmehr ist gar keine andere Verästelung der globalen Ökonomie – nicht die Autoindustrie, nicht die Landwirtschaft, nicht die Energiegewinnung – von derart komplex verknüpften Unbekannten abhängig wie Zeitungen und Zeitschriften, Fernsehen, Radio, Internet.
Das ist zum Teil bekannt und teilweise nicht; das ist einerseits belanglos, aber andererseits fundamental wichtig für das Fortkommen der Welt: Bekannt ist, dass die Medienkonzerne versuchen, das Internet als Renditeobjekt in den Griff zu bekommen; unbekannt ist hingegen, dass die Medien auch aus einer ganz anderen Ecke breite Bedrohung erfahren. Weitgehend belanglos bleiben diese Angriffe, wo sie sich gegen die mediale Unterhaltungsindustrie richten; flächendeckend gefährlich sind sie, wo der Qualitätsjournalismus unter Feuer kommt.

Das Web. Die Diskussion wird von Verlegern wie von Konsumenten seit zwei Jahrzehnten so leidenschaftlich wie ergebnisfrei geführt. Jahre, reich an scheinbar gesichertem Wissen über den richtigen Umgang mit dem gar nicht mehr neuen Phänomenen wechseln mit Phasen, in denen die Entwicklung in eine unerwartete Richtung abbiegt und daher alle Geschäftsmodelle als Industrieruinen hinter sich lässt. Bis heute ist weder klar, ob es sich beim Internet überhaupt um eine Form von Medium handelt oder doch bloß um einen Vertriebskanal, ob Verlage das Netz beherrschen werden oder Suchmaschinen oder Telekoms, ob abseits des Online-Handels irgendwo nachhaltig Geld zu verdienen ist – und in der Folge, wie klassischer Journalismus vom WWW tangiert, verdrängt, gefährdet oder am Ende gar gefördert wird.

Sicher scheint bloß, dass die frei verfügbare Zeit des Menschen durch Online-Aktivität zulasten anderer Tätigkeiten schmäler wird. Bedrohungspotenzial für ein Produkt und eine Marke wie profil? Auf diesem Wege eher nicht.

Doch das Internet hat Kollateralschäden verursacht. Während Blick und Diskurs auf Online fokussiert sind, konnten andere Veränderungen unbemerkt Platz greifen: zum Beispiel eine Verschiebung im Kräfteverhältnis zwischen Journalisten und ihren natürlichen Gegnern.
Ein Phänomen des vergangenen Jahrzehnts: die Abwanderung von Spitzenjournalisten in Richtung PR und Lobbying. Für diese Entwicklung gibt es zwei Gründe. Zum einen führten höhere Rentabilitätserwartungen und dann auch noch die Wirtschaftskrise weltweit zu niedrigeren Gehältern, paralysiertem Jobmarkt und schließlich Massenkündigungen von Journalisten. Zum anderen ließen Unternehmen und staatliche Institutionen jene Abteilungen, die unter dem unschuldigen Namen Öffentlichkeitsarbeit firmieren, stark anwachsen, oft genug mit Verdienstmöglichkeiten, die für gleiche Qualifikation beim Doppelten von Journalisteneinkommen liegen. Darüber hinaus bedienen sich ebenjene Unternehmungen zu schamlos hohen Kosten bei Anbietern von maßgeschneidertem Networking, deren konkrete Tätigkeit oft genug wenig fassbar bleibt. Gegenwehr der Verleger: meist chancenlos, manchmal mit Blick auf die Personalkosten auch nicht gewollt.

Das Ergebnis: Das Gleichgewicht zwischen Recherche und Vernebelungsmaschinerie ist gestört. Dem deutschen Bundespresseamt etwa – wenig überraschend seit Kurzem geführt von einem ehemaligen ZDF-Journalisten – gehören 450 Mitarbeiter an, den diversen Pressestellen der Deutschen Bank – mit einem früheren „WirtschaftsWoche“-Chefredakteur an der Spitze – nicht viel weniger. Ihnen gegenüber stehen selbst bei den größten deutschen Redaktionen Ressorts mit einem Zehntel dieser Manpower.

Diese Verhältnisse, das massive Ungleichgewicht, die diffusen Strategien der anderen Seite im Umgang mit Journalisten sind auf Österreich übertragbar, auf die Printmedien, auf den ORF, auf private elektronische Anbieter.

Immerhin bisweilen mit skurrilen Auswüchsen. So wurde die profil-Redaktion unter der schwarz-blauen Koalition von Lobbyisten, Öffentlichkeitsarbeitern und Pressesprechern jeder Art drangsaliert wie kaum je zuvor in ihrer Geschichte. Das Blatt hat sich allerdings unerwartet gewendet: Nun stehen ausgerechnet jene Schöpfer künstlicher Nachrichten im Mittelpunkt des journalistischen und bisweilen auch strafrechtlichen Interesses: Hochegger, Meischberger, Petritz, Petzner, Rumpold. Ausgleichende Gerechtigkeit.

Eigenartig auch das Schicksal von Andrew Gowers. Der charismatische Gründungschefredakteur der „Financial Times Deutschland“ stieg zunächst zum Chefredakteur des Mutterblattes in London auf. Dann nahm sein Schicksal einen überraschenden Lauf. Der mächtigste Wirtschaftsjournalist Europas wechselte von der „FT“ zur Investmentbank Lehman Brothers – und wurde deren Totengräber. Seinen nächsten Job fand Gowers ausgerechnet bei BP – und sich im Öl-Desaster.

Was heißt das alles für den Journalismus? Wenig Gutes. Abseits der Internet-Diskussionen und so unbemerkt wie brisant droht ein rapider Niedergang des Qualitätsjournalismus und seiner Möglichkeiten, ausgelöst durch Sparmaßnahmen der Verlage und zeitgleiche Investitionen von Staat und Konzernen in so genannte Public Relations.

Die Frage, die daraus folgt: Ist eine Welt ohne Qualitätsjournalismus vorstellbar? Die Antwort: Ja, aber nicht diese Welt.

Denn Medien wie profil produzieren ihre Inhalte nicht zum Selbstzweck. Was abstrakt als vierte Gewalt im Staat bezeichnet wird, ist konkret der wichtigste Stabilisator der Demokratie. In jedem journalistischen Beitrag liegt der Versuch, Fehlentwicklungen zu korrigieren, indem man ihnen Öffentlichkeit verleiht. Dabei kann es sich um rechtlich relevante Sachverhalte handeln, deren Aufdeckung erst den Staat zum Einschreiten zwingt. Oft genug geht es auch bloß um moralisch bedenkliches Geschehen, dessen Publikwerden als solches bereits zu Korrekturen führt.
Ständiges Gegenhalten durch öffentliche Darstellung. Ein permanenter Abwehrkampf gegen Versuche, unsere Recherchemöglichkeiten und unsere Meinungsfreiheit einzuschränken. Fehlte das, würde die Welt eine andere.

Doch Qualitätsmedien sind zäh und daher beständig. profil hat sich über 40 Jahre stets fortentwickelt, blieb sich dabei jedoch in nachgerade gespenstisch akkurater Weise treu.

Wenn profil zu Beginn dieses Jahrtausends von FPÖ-, BZÖ- und ÖVP-Vertretern des Wenderegimes spöttisch als „Zentralorgan des Antifaschismus“ bezeichnet wurde, haben wir das nicht als Diffamierung empfunden, sondern als Kompliment. Denn mit ebendieser Ausrichtung war das Magazin 1970 gegründet worden – zu einer Zeit, als die SPÖ sich anschickte, ehemalige Nazis in die Regierung zu nehmen. Kontinuität auf beiden Seiten auch im investigativen Journalismus. Wenn unsere Arbeit und die vieler Kollegen in diesen Monaten einmal mehr als „Schmuddelkampagne“ bezeichnet wird, so erinnert das an wortgleiche Anwürfe bei der Aufdeckung des AKH-Skandals in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

Diese Kontinuität spannt ihren Bogen mittlerweile über mehrere Journalistengenerationen. Sie wurde von einer langen Reihe an Chefredakteuren und Herausgebern bis zum letzten Komma jedes einzelnen Textes respektiert und notfalls verteidigt. Sie wurde von wechselnden Eigentümern akzeptiert, manchmal wider Willen, oft genug mit reinem Herzen. Diese Haltung findet sich im Wesen aller profil-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter, die keine ausdrückliche Erklärung der Wertewelt von profil brauchen, um sich ihr verpflichtet zu fühlen.

profil. Das ist Journalismus als Berufung, nicht als Beruf.

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