Was meinen Sie damit konkret?
Drexler
Das fängt mit Diskussionen über Nikolo-Feiern in Kindergärten an und hört bei Straßenzügen auf, wo man sich eher im Ausland denn im Inland wähnt. Das beunruhigt viele Menschen. Daher muss bessere Integrationspolitik gemacht werden, etwa beim Thema Staatsbürgerschafts: Das westliche Wertegerüst muss die Grundlage für unser gesellschaftliches Zusammenleben sein. Deshalb sollte für den Erhalt der Staatsbürgerschaft nicht nur ein Multiple-Choice-Test ausgefüllt werden müssen, sondern auch in einem Gespräch glaubhaft gemacht werden müssen, dass man Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit internalisiert hat.
Würde Herbert Kickl diesen Test bestehen?
Drexler
Das hoffe ich wohl.
Hat die Koalition mit den Grünen der ÖVP geschadet?
Drexler
Die Grünen haben leider insbesondere in der Person von Leonore Gewessler eine sehr ideologiebasierte Politik betrieben. Wir sind in der Steiermark selbst Leidtragende, auch den Lückenschluss der S 36 im Murtal wollte sie boykottieren. Bei Gewessler hatte man den Eindruck, dass sich eine NGO-Aktivistin in eine Regierung verirrt hat. Die Haltung zur Renaturierung war der krönende Abschluss dieser Aktivismus-Politik.
Sie haben immer wieder die Koste-es-was-es-wolle Politik und den Versand von Hilfspaketen aus dem Kanzleramt kritisiert. Das kam teuer, das Budgetdefizit ist hoch. Das spricht nicht für die Wirtschaftskompetenz der ÖVP.
Drexler
Um die Wirtschaftskompetenz der ÖVP muss man sich keine Sorgen machen, im Gegenteil. Aber all diese Hilfs-Pakete haben abseits der Frage der nachhaltigen Wirksamkeit einzelner Maßnahmen auch am Wählermarkt nicht viel gebracht. Nun muss die Budgetdisziplin wieder in den Fokus rücken, das wird uns in den nächsten Jahren mit Sicherheit beschäftigen.
Also ein Sparpaket, das die ÖVP im Wahlkampf dementiert hat?
Drexler
Wir haben sehr herausfordernde Jahre mit vielen Krisen erlebt und aktuell eine schwierige wirtschaftspolitische Situation, besonders in der Industrie. Es wird eine der wichtigsten Aufgaben für die neue Regierung sein, an der Wettbewerbsfähigkeit Österreichs zu arbeiten. Das wäre bei der ÖVP in guten Händen.
Die FPÖ ist die klare Nummer 1. Ist es legitim, sie von der Regierung auszuschließen?
Drexler
Es liegt zuallererst an der FPÖ. Der erste Platz bringt auch Verantwortung mit sich. Wer Erster wird, muss sich um eine Mehrheit bemühen. Der Ball liegt bei der FPÖ. Sie kann sich nicht präventiv ins Schmollwinkerl stellen. Sie muss Gespräche führen und versuchen, sich eine Mehrheit zu organisieren. Wenn ihr das nicht gelingt, dann werden andere Gespräche zu führen sein.
Wäre die ÖVP für eine Mehrheit mit der FPÖ zu haben?
Drexler
Was Karl Nehammer vor der Wahl gesagt hat, gilt auch nach der Wahl: Für die ÖVP kommt eine Zusammenarbeit mit einer Kickl-geführten FPÖ nicht in Frage.
Wird Österreich 2025 einen Kanzler Kickl haben?
Drexler
Das glaube ich nicht.
Dann bleibt eine Koalition aus ÖVP und SPÖ.
Drexler
Ich wünsche mir eine Regierung, die stabil und eine Achse der Vernunft ist. Zuallererst liegt es an der FPÖ, eine Mehrheit zu finden. Wenn das nicht gelingt, gilt es Gespräche über andere Formen der Zusammenarbeit zu führen. Ich bin grundsätzlich ein Freund der Zusammenarbeit zwischen ÖVP und SPÖ, das ist dadurch dokumentiert, dass wir in der Steiermark sehr vertrauensvoll zusammenarbeiten.
Reicht ein kleiner Mandats-Überhang für eine stabile Mehrheit oder braucht es die Neos als dritten Regierungspartner?
Drexler
Das wird man besprechen. Das werden die nächsten Monate zeigen, wie wir am besten zu einer stabilen Regierung kommen. Ich halte sowohl die Variante mit den Neos als auch die Variante ohne Neos für möglich. Jetzt ist aber einmal der Bundespräsident am Wort. Dann haben die Erstplatzieren eine Verantwortung, also die FPÖ.
ÖVP und SPÖ liegen inhaltlich weit auseinander. Leicht wäre diese Regierungsbildung nicht.
Drexler
Ein drängendes Projekt ist die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Damit ist klar: Eine Arbeitszeitverkürzung auf 32 Stunden ist kein Projekt für einen attraktiveren Standort. Aber es gibt in der SPÖ genügend vernünftige Kräfte, denen der Standort auch wichtig ist. Da könnte man schon zu Lösungen kommen. Etwa den Dauerbrenner Bürokratie angehen: eine neue Regierung könnte zur Deregulierung etwas beitragen.
Das wurde oft versprochen, ist aber nie passiert.
Drexler
Meine Zuversicht ist grenzenlos. Die neue Regierung könnte das beherzt angehen.
Eine andere SPÖ-Forderung sind Erbschafts-Vermögenssteuern.
Drexler
Bei Vermögens- und Erbschaftssteuern bin ich nicht gesprächsbereit. Denn diese Vermögen wurden schon mehrmals besteuert.
Irgendwo wird auch die ÖVP nachgeben müssen.
Drexler
Das liegt in der Natur von Verhandlungen. Aber die Kompromisse wird man nicht vorwegnehmen.
Die Große Koalition galt als Stillstands- und Streitregierung. Ist es möglich, das grundsätzlich zu verändern?
Drexler
Das hoffe ich sehr. Man sieht an den Koalitionen in der Steiermark, in Kärnten oder in Tirol, dass gute Zusammenarbeit möglich ist. Auf Bundesebene war die SPÖ-ÖVP-Regierung natürlich zwischen 2006 und 2017 von gegenseitiger Abneigung geprägt. Da glaubte man immer, der größte Gegner ist der eigene Regierungspartner und hat auf Auseinandersetzung mit der Opposition vergessen. Das muss sich ändern. Ich kann eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, wie wir sie in der Steiermark haben, natürlich nicht per Koalitionsabkommen verordnen. Das muss entstehen, das muss man sich erarbeiten. Aber man kann es sich gemeinsam vornehmen.
Man hatte im Wahlkampf nicht den Eindruck, dass Karl Nehammer und Andreas Babler auf dem Weg zu ziemlich besten Freunden sind.
Drexler
In der Politik kann sich so etwas ändern. Wenn irgendjemand vorausgesagt hätte, dass Franz Voves heute zu meinen Freunden zählt, hätte es auch niemand geglaubt.
Würde bei einer Anti-Kickl-Koalition die FPÖ nicht noch stärker?
Drexler
Jede Regierung hat die Chance, die Wähler für sich einzunehmen und positiv zu überraschen. Wenn eine Regierung ohne diese Zuversicht an den Start geht, dann soll sie lieber gleich zuhause bleiben.
Es heißt, dass Sie darauf bestehen, dass vor der Landtagswahl in der Steiermark am 24. November keine Koalition gegen die FPÖ gebildet wird.
Drexler
Ganz ehrlich gesagt: Da brauche ich gar nichts sagen. So wie ich die Verhältnisse einschätze, ist die Wahrscheinlichkeit einer Regierungsbildung vor dem 24. November gegen Null.
Bei der Nationalratswahl war die Steiermark tiefblau.
Drexler
Die Steiermark hat die flexibelste Wählerschaft der Republik. Graz ist die Hochburg der Mobilität, in den letzten 20 Jahren waren bei wechselnden Wahlgängen 5 Parteien auf der Nummer-1-Position. Schon 2013 hatte die FPÖ bei der Nationalratswahl Platz 1 in der Steiermark, bei Landtagswahlen entschieden die Wähler anders. Das gibt mir die Zuversicht, der Bevölkerung die gute steirische Regierungsarbeit der letzten Jahre und das steirische Klima der Zusammenarbeit kommunizieren zu können. Insofern bin ich zuversichtlich für Platz 1. Und lade alle dazu ein, die eine blaue Mehrheit verhindern wollen, die steirische Volkspartei zu wählen - oder ihre Stimme zu leihen.
Die Korruptionsaffären schaden der steirischen FPÖ offenbar nicht.
Drexler
Nachdem erwiesenermaßen in der Grazer FPÖ Geld verschwunden ist, hoffe ich, dass die Staatsanwaltschaft in die Gänge kommt und bald Licht ins Dunkel kommt. Ich hoffe, das wird von der sensiblen Justiz nicht schon als Kritik gewertet.
Zurück zum Bund: Wann rechnen Sie mit der Angelobung der neuen Regierung?
Drexler
Ich hoffe, dass es bis Anfang 2025 eine neue Regierung gibt.