Österreich

Christopher Drexler: „FPÖ kann sich nicht präventiv ins Schmollwinkerl stellen“

Der steirische Landeshauptmann Christopher Drexler sieht Migration als Grund für das Debakel der ÖVP. Nun soll die FPÖ versuchen, eine Mehrheit zu finden. Scheitert sie, seien ÖVP und SPÖ am Zug. Mit einer Regierung rechnet er nicht vor 2025.

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Hat die ÖVP tatsächlich an Platz 1 geglaubt?

Christopher Drexler

Das Wahlergebnis war natürlich eine Enttäuschung, keine Frage. Wenngleich man Karl Nehammer zubilligen muss, dass ihm eine Aufholjagd gelungen ist. Aber sie hat nicht so weit geführt, dass wir den ersten Platz einnehmen konnten.

Was waren die Gründe für die Erdrutsch-Niederlage?

Drexler

Der entscheidende Grund lautet: 85 bis 90 Prozent der Menschen haben Sorgen in Zusammenhang mit der Migration. Das ist ein Grundrauschen, das in viele Themen hineinspielt, etwa in Sorgen bei Gesundheit oder Bildung. Kombiniert mit Berichten über hohe Mindestsicherungszahlungen in Wien macht das die Menschen zornig.

Gerade in Wien waren die Wahlergebnisse anders, die SPÖ gewann hier dazu.

Drexler

Das Phänomen von hoher Mindestsicherung für Ausländer wird ja nicht nur in Wien wahrgenommen, sondern strahlt ins ganze Land über. Auf das berühmte Wiener Beispiel wurde ich auch in Bad Radkersburg angesprochen. Zugespitzt formuliert hat man für eine derartige Überalimentierung von Sozialleistungen außerhalb Wiens weniger Verständnis als in Wien. Jedenfalls war das Thema Migration in all seinen Facetten das wirklich dominante Wahlmotiv.

Die ÖVP stellt seit über zwei Jahrzehnten, mit der kurzen Unterbrechung durch Herbert Kickl, die Innenminister und alle Integrationsminister. Welche Fehler sind da passiert?

Drexler

Zuletzt sind sehr wenige Fehler passiert. Aber das Grundgefühl und das Grundrauschen ist da. Das kam nicht plötzlich, das hat sich seit Jahrzehnten aufgebaut. Mit diesen Sorgen sind wir in Österreich nicht alleine, sie durchziehen weite Teile des europäischen Kontinents. Insofern ist es wichtig, mit vernünftigen Positionen ein sinnvolles Angebot zu geben – das werden bei der Migration meist restriktive Positionen sein. Ich hoffe noch immer, dass es viele Menschen gibt, die sich beim Thema Migration zurecht Sorgen machen, aber mit den Verschwörungserzählungen und der Putin-Liebe des Herbert Kickl wenig anfangen können. Ein einzelnes Wahlergebnis darf einen dabei nicht entmutigen.

So wie ich die Verhältnisse einschätze, ist die Wahrscheinlichkeit einer Regierungsbildung vor dem 24. November gegen Null.

Es ist mehr als ein einzelnes Ergebnis. Die FPÖ feierte vor der Nationalratswahl schon bei der Europawahl und bei Landtagswahlen Serien-Erfolge.

Drexler

Regieren ist immer ein wenig komplexer als Opposition. Dennoch muss man an der Sprache und an der Kommunikation feilen. Man darf nicht immer weit und kompliziert ausholen, um eine einfache Frage zu beantworten. Das Leben wird komplexer. Da sehnen sich naturgemäß einige nach einfachen Antworten. Denn der Komplex Migration ist seit Jahrzehnten Thema und führt zu Sorgen um die kulturelle Identität dieses Landes.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin