Clans in Schweden und Deutschland: Wie sicher ist Österreich?
Kampf gegen Banden: Regierungschef ruft Militär zur Hilfe.“ Diese Meldung von Ende September stammt nicht aus El Salvador oder Honduras. Es geht um Schweden, ein Vorzeigeland in puncto Sozialstaat, Schulen, Gleichberechtigung, Umweltschutz und Funktions-Möbel. 2022 gab es in dem skandinavischen Land bei zehn Millionen Einwohnern 391 Schusswaffenangriffe mit 62 Toten. Heuer forderten Bandenkriege allein im September 14 Tote, drei davon innerhalb von 24 Stunden. Sogar Bomben wurden gezündet. Der Hilferuf von Ministerpräsidenten Ulf Kristersson ist ein Menetekel für andere EU-Staaten, insbesondere Deutschland. In Städten wie Duisburg, Bremen, Berlin oder Essen ufert die Bandenkriminalität seit Jahren aus. Mitglieder von Clans wie Remmo, Abou-Chacker oder Al-Zein stehen im Zentrum krimineller Machenschaften. Auch in Schweden dominieren arabisch-libanesische Großfamilien, die ab den 1980er Jahren einwanderten, das Clan-Wesen aus Raub, Drogenhandel, Sozialbetrug, Waffenhandel, Prostitution, Geldwäsche.
Und Österreich? Mit Schweden und Deutschland verbindet die Alpenrepublik nicht nur der ausgeprägte Wohlfahrtsstaat. Seit 2015 sind die drei Länder pro Kopf gemessen die Top-Ziele in der EU für Flüchtlinge aus dem arabischen Raum. Wenn ein Teil dieser Migranten in die Bandenkriminalität abrutscht: Droht Österreich eine Entwicklung wie im Norden?
So spezifisch die Hintergründe der Clan-Exzesse im Norden sind, Manche Experten sehen auch Österreich nicht davor gefeit. „Das Potenzial haben wir jedenfalls. Wir müssen insbesondere Syrer, die neu gekommen sind, bestmöglich auffangen und integrieren. Sonst bekommen wir mittelfristig Probleme wie Schweden, Deutschland, aber auch Frankreich“, sagt die 74-jährige Doyenne der heimischen Migrationsforschung, Gudrun Biffl. „Diese Flüchtlinge haben bereits viele Jahre in syrischen, türkischen oder griechischen Lagern verbracht, ohne Schule, Tagesstruktur, dafür mit Gewalt und Kriminalität. In den Lagern herrschen mafiöse Strukturen, mit denen man sich arrangieren muss, um zu überleben.“
Zu lange weggeschaut
In Deutschland stehen arabische Clans bereit, um unter den Neuankömmlingen zu rekrutieren. „Die Libanon-Flüchtlinge haben in den 1980er Jahren lange gebraucht, um ins Drogengeschäft einzusteigen; bei syrischen Flüchtlingen heute dauert es weniger als zwei Wochen.“ So zeichnet der im Libanon geborene Islamwissenschaftler, Ralph Ghadban, in seinem Buch „Arabische Clans“ den Weg in die Drogenkriminalität nach. Österreich hat den Vorteil, dass es derzeit keine verfestigten „Clans“ gibt, die im großen Stil rekrutieren. Diese können sich aber rasch herausbilden, wie ein Blick nach Deutschland zeigt. In mehreren Städten Nordrhein-Westfalens lieferten sich im Sommer libanesische und syrische Familienverbände blutige Kämpfe mit Messern und Macheten. Ein krimineller Hintergrund wird vermutet. „Syrer profitieren von der Aufbauarbeit libanesischer Clans. Sie verdrängen die Libanesen im Bereich Drogen und Schlepperdiensten“, sagt Buchautor Ghadban.
„Syrische Clans dürfen sich nicht verfestigen. Wir dürfen nicht die gleichen Fehler machen wie in den 1980er Jahren mit den Libanesen“, warnte unlängst der Polizeipräsident des deutschen Essen. Er hat eine „Organisationseinheit für Clankriminalität durch Syrer“ gegründet, die nun in die Community hineinleuchtet. Auch Österreich will gewappnet sein. Im Bundeskriminalamt hat sich Robert Klug vor zwei Jahren auf arabische Clan-Kriminalität spezialisiert. „Wir wollen unsere Detektoren ausfahren, um Problemherde wie in Deutschland und Schweden rechtzeitig zu erkennen. Wir sensibilisieren die Polizisten auf der Straße dafür“, sagt der 60-Jährige, der seit den 1990er-Jahren für Bandenkriminalität zuständig ist. Wenn, wie im Juni in Herzogenburg passiert, Dutzende Türken in einer Pizzeria in Herzogenburg auf ein paar Kurden losgehen, schlagen diese Detektoren an. Dann forscht Klug nach, ob kriminelle Clans dahinterstecken könnten oder es „nur“ ein Ehrenhandel war. „Tumulthandlungen“ seien ein Indiz für die Existenz von Clans, sagt er. In Deutschland rotteten sich wiederholt so viele Männer zusammen, dass die Polizei zunächst den Rückzug antreten musste. Als Anlass reichten falsche Blicke zwischen Clan-Mitgliedern. Auch Polizeikontrollen ihrer Mitglieder verunmöglichten Clans gezielt durch Rudel-Bildung.
Eine Spezialität arabisch-libanesischer Clans ist der „falsche Polizistentrick“. Pensionisten werden aus dem Ausland von falschen Polizisten angerufen und gewarnt: Ihr Vermögen sei in Gefahr, weil sich Diebe in der Gegend herumtreiben würden. Sie geben vor, das Vermögen in Sicherheit zu bringen und schicken ihre Handlanger vor Ort aus. Vergangene Woche verlor eine Wienerin (82) so eine Million Euro. Laut Medienberichten wird dahinter ein Clan vermutet, allerdings ein türkischer, rund um den „Paten von Izmir“.
Keine „Mhallami“ in Österreich
Die diversen Clans in Deutschland und Schweden sollen der Gruppe der „Mhallami“ entstammen. Laut dem Politikwissenschafter und Nahost-Experten, Thomas Schmidinger, gibt es sie in Österreich nicht. Deswegen sieht er „akut keine Gefahr für sogenannte Clan-Kriminalität in Österreich“. Mhallami sind arabisierte Stämme aus Kurdistan, die Anfang des 20. Jahrhunderts wegen der „Türkisierung“ ihrer Heimatregion in den Libanon zogen. Nach Ausbruch des Libanon-Krieges 1982 flüchteten sie per Flugzeug in die damalige DDR und dann weiter nach Westdeutschland oder Schweden.
Die „Mhallami“ waren bereits in der Türkei marginalisiert und blieben auch im Libanon am Rande der Gesellschaft. Das drängte die kinderreichen Familien in die informelle Wirtschaft und machte den Clan zur einzigen Bezugsgröße. Viele Mhallami besaßen keine Papiere. Offiziell staatenlos blieben sie in Deutschland zunächst nur „geduldet“ und vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen - was die Hinwendung zur Kriminalität verstärkte.
Die „herausragende Stellung“ von Tschetschenen
Wenn sich kriminelle Strukturen einmal verfestigt haben, ist es ganz schwer, sie wieder aufzubrechen. Verdeckte Ermittler, sogenannte V-Männer in kriminelle Mhallami-Clans einzuschleusen, ist praktisch unmöglich, weil jeder jeden kennt. Ein ähnliches Problem hat die heimische Polizei mit tschetschenischen Banden.
Versteht man unter Clan-Kriminalität das „Begehen von Straftaten durch Angehörige abgeschotteter Subkulturen gemeinsamer Herkunft“, kommt die organisierte Kriminalität unter Angehörigen des Volkes aus dem Nordkaukasus dem nahe. „Tschetschenische Tätergruppen haben sich weiter verfestigt. Sie haben bereits eine derartig herausragende Stellung innerhalb der Organisierten Kriminalität erlangt, dass auch Gruppierungen anderer Ethnien sich mit ihnen arrangieren müssen“, kommt das Bundeskriminalamt zu einem beunruhigenden Befund. Die tschetschenischen Tätergruppen seien international vernetzt und deutlich stärker im Drogenhandel aktiv als noch vor wenigen Jahren. Dazu komme Handel mit Waffen, geschmuggelten Zigaretten, illegales Glücksspiel, Erpressung, Geldwäsche, Cyber-Kriminalität oder das Betreiben illegaler Shisha-Bars.
Tschetschenen, die als Flüchtlinge in zwei Wellen um 1999 und 2004 nach Österreich flüchteten, sind Großteils natürlich nicht kriminell. Das Integrationsversagen ist bei dieser Gruppe jedoch evident. Nicht nur wegen der überproportionalen Kriminalität. Jeder zweite Dschihadist aus Österreich, der nach Syrien ausreiste, um dort für den sogenannten Islamischen Staat oder für Al-Nusra (ein Al-Qaida-Ableger) zu kämpfen, war Tschetschene. In Wien sorgten zuletzt wieder islamische Sittenwächter für Schlagzeilen, die das Image der Community massiv belasten. Verloren zwischen einem archaischen Ehrenkodex und der westlichen Leistungsgesellschaft driften tschetschenische Burschen zu schnell in strafbare Handlungen ab, wenn sich beleidigt fühlen oder glauben, „ihre“ Frauen beschützen zu müssen. Folgen daraus Vorstrafen, Jobverlust oder Schulverweis, kann das der Einstieg in die organisierte Kriminalität sein.
Menschenhandel als „Einstiegsdroge“
Eine weiteres Einstiegsdelikt in die organisierte Kriminalität ist das hoch profitable Schlepperwesen. Es wird von internationalen Banden organisiert, die auch mit Drogen oder Waffen handeln. Mit TikTok-Videos werben sie Menschen wie Taxi-Fahrer für „einfache, gut bezahlte Fahrten“ an. Für Menschenhandel ist Österreich ein Hotspot. Wie profil im Sommer auf Basis dutzender Gerichtsverfahren nachzeichnete, stellen Flüchtlinge, die ab 2015 selbst nach Europa geschleust wurden, mittlerweile die Mehrheit unter den Schleppern. Viele werden auf der der sogenannten Balkanroute an der burgenländischen Grenze aufgegriffen und im Landesgericht Eisenstadt im Akkord verurteilt. Diese Flüchtlinge syrischer, aber auch afghanischer oder nordafrikanischer Herkunft, lebten davor in Schweden, Deutschland, Frankreich oder Italien. „Es machen auch Syrer mit, die in Österreich leben“, sagt der oberste Schlepperbekämpfer im Bundeskriminalamt, Gerald Tatzgern.
Wie man es bei neuen Flüchtlingen besser macht
Einen Weg, um es bei „neuen“ Flüchtlingen besser zu machen, sieht Migrationsexpertin Biffl in der Express-Integration am Arbeitsmarkt. Der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) bringt Flüchtlinge über eine Karriereplattform direkt mit Konzernen wie Post, Ikea, Lidl, Rewe, McDonalds oder Spar zusammen, selbst wenn sie nur rudimentär Deutsch sprechen. Biffl ruft noch mehr Firmen auf, dem Beispiel zu folgen. Denn begleitet von einfachen Tätigkeiten im Betrieb fällt einerseits das Deutschlernen leichter. Außerdem docken Zuwanderer dann viel früher an die Mehrheitsgesellschaft an. Wozu dann noch ein Clan?