Clemens Neuhold: Kardinalfehler
"Heute vor 333 Jahren ist Wien gerettet worden. Wird es jetzt einen dritten Versuch einer islamischen Eroberung Europas geben? Viele Muslime wünschen sich das und sagen: Dieses Europa ist am Ende.“ Diese Aussage fiel nicht etwa auf der zeitnahen FPÖ-Veranstaltung: "Abendland beschützen - damals wie heute“. Es ist ein Auszug aus der Sonntagspredigt von Wiens Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, im Wiener Stephansdom. Anlass war das Dankesfest für die Rettung Wiens vor den Osmanen am 11. September.
Mit der krachenden Ansage "Viele Muslime wollen Europa erobern“ startete der Kardinal selbst einen Eroberungsfeldzug, und zwar in den Medien. "Österreichischer Kardinal warnt vor muslimischer Eroberung Europas“, schreibt etwa der britische "Telegraph“, und merkt an, es könne sich immerhin um den nächsten Papst handeln. Österreichs Boulevard-Medien feierten Klick-Rekorde.
Die vage Angst vor dem Islam kann Wahlen entscheiden. Die FPÖ wälzt mittlerweile Bürgerkriegsszenarien zwischen Christen und muslimischen Flüchtlingen, um Stimmen zu maximieren. Warum aber warnt nun auch der oberste katholische Würdenträger Österreichs, Christoph Schönborn, vor der unmittelbaren Bedrohung durch "viele Muslime“? In direktem Kontext zur Türkenbelagerung befördert der Kardinal Islam-Ängste damit maximal. Der blaue Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer kann den Sager Schönborns bis zur Wahl genüsslich rauf und runter beten.
Wer sind nun die neuen Kara Mustafas im Bedrohungsszenario des Kardinals? Meint er die Austro-Türken, die mit "Allahu Akbar“-Rufen in Wien für Erdoğan demonstrierten? Muslimbrüder, die den Islamismus still im Westen verankern wollen? Salafisten, die in Wien den Koran verteilen? Oder zielt er doch auf die Dschihadisten des IS? In Österreich leben 600.000 Menschen muslimischen Glaubens. 280 sollen in den Dschihad nach Syrien gezogen sein. Das sind zu viele, aber anteilsmäßig sicher nicht "viele“.
Schönborn hätte die Gefahr konkret benennen müssen, anstatt zu verallgemeinern. "Man darf meine Predigt nicht als Aufruf zur Abwehr der Flüchtlinge verstehen, darum ging es mir überhaupt nicht“, reagiert er auf das mediale Echo. "Aber wir haben das christliche Erbe verschleudert.“
Nicht religiöse Auf-, sondern Abrüstung ist das Gebot der Stunde.
Worum es ihm also wirklich geht: Der Kardinal will im Windschatten des medial dauerpräsenten Islam das Christentum wieder stärken. "Die Antwort ist nicht die Abwehr des Islam, sondern wie können wir wieder Christen werden“, präzisiert sein Sprecher. Es ist kaum anzunehmen, dass die Angst vor einer Dritten Türkenbelagerung verlorene Schafe in die Kirche zurückholt. Und der Neid auf volle Moscheen bei leeren Kirchenbänken reicht dafür wohl auch nicht aus.
Gesellschaftspolitisch wäre es ein Kardinalfehler, im Umgang mit Muslimen auf Religion zu setzen. Parallel zum Dauerthema Islam mehr von "den Christen“ reden? Bitte nicht. Es sollte lieber weniger von "den Muslimen“ die Rede sein. Nicht religiöse Auf-, sondern Abrüstung ist das Gebot der Stunde. Der Kitt, der Christen und Muslime in Zukunft verlässlich zusammenhält, ist ihre gemeinsame weltliche Identität als Staatsbürger. Alte oder neue Österreicher, die ohne Nachteile durch ihre Herkunft etwas erreichen können und sich dafür weder aus kulturellen noch aus religiösen Gründen in Parallelwelten zurückziehen.
Diese Identität abseits der Religion müssten Staat und Gesellschaft anbieten, Aufstiegschancen inklusive, aber auch mit allen Konsequenzen einfordern. Zu einem kulturellen Paradigmenwechsel würde auch gehören, dass etwa die Islamische Glaubensgemeinschaft oder andere religiöse Vereine ihre Rolle als zentrale Sprachrohre für "die Muslime“ verlieren, die ihnen Politiker und Medien seit Jahr und Tag unhinterfragt zubilligen. Mehr Menschen aus den Communities, die ihre Religion nicht demonstrativ vor sich hertragen, täten der Debatte gut. Am meisten litten die Rechtspopulisten unter muslimischen Migranten wie du und ich, weil sie ihre Projektionsflächen verlieren.
Eine Predigt für einen neuen Säkularismus kann Schönborn natürlich nicht halten. Für ihn gibt es nur eine "Chance auf eine christliche Erneuerung Europas, wenn wir uns auf Christus besinnen und mit unseren Mitmenschen, auch den Fremden, so umgehen, wie er es uns ans Herz legt“.
Vor 333 Jahren haben die Polen unter Jan Sobieski an der Spitze Wien und Europa vor den muslimischen Invasoren gerettet. Die Polen leben das Christentum in all seinen Facetten heute wohl am stärksten aus in Europa. Nach Schönborns Logik müsste von dort die Erneuerung ausgehen. In der Flüchtlingskrise war das Gegenteil der Fall. Polen zeigte den Fremden und den überlasteten - christlich gesprochen - "Brüdern“ in Österreich und Deutschland die kalte Schulter. Das zeigt: Mit Religion ist kein Staat zu machen - und auch kein Europa.
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