Corinna Milborn: Der Krieg der Gartenzwerge
Brauchen wir einen gebührenfinanzierten ORF? Die Frage stellt immerhin eine der Regierungsparteien. Ich denke: Ja, unbedingt. Und nein, nicht diesen ORF aus dem vorigen Jahrtausend. Die öffentlich-rechtliche Idee war eine Antwort auf eine große Medienrevolution: Radio und Fernsehen waren technisch so aufwendig und teuer, dass sie natürliche Monopole bildeten. So wurden sie zu Trägermedien für Faschismus und Nationalsozialismus. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden deshalb in Österreich und Deutschland öffentlich-rechtliche Anstalten nach dem Vorbild der BBC. Das Rundfunk-Monopol sollte nicht mehr in der Hand des Staates liegen und auch keinem einzelnen Unternehmer überlassen werden, sondern der Bevölkerung gehören. Deshalb gibt es Rundfunkgebühren. Deshalb haben wir den ORF.
Nun hat sich die Welt seither dramatisch weitergedreht. Es gibt kein Rundfunkmonopol mehr. Seit Langem gibt es Privatfernsehen, jedes Medienhaus macht Video, jede Einzelperson kann live vom Handy senden, bald wird der einzige Distributionsweg das Internet sein. Man könnte also sagen: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat sich überholt.
Wir erleben eine neue Medienrevolution - und die Auswirkungen sind ähnlich wie bei Erfindung von Radio und Fernsehen
Doch das wäre verfrüht: Denn wir erleben eine neue Medienrevolution - und die Auswirkungen sind ähnlich wie bei Erfindung von Radio und Fernsehen. Wieder haben wir wirkmächtige neue Medien, die Monopole bilden: Google hat ein Such-Monopol. Seine Tochter YouTube hat ein Video-Monopol. Facebook hat ein Social-Media-Monopol. In vielen Ländern Europas sind YouTube und Facebook schon jetzt die wichtigsten Nachrichtenquellen. Die Auswirkungen auf die Demokratie sind spürbar: Die algorithmisch getriebenen neuen Medien verbreiten Lügen, Hass und Verschwörungstheorien stärker als differenzierte Information. In den Filterblasen gehen die Erzählungen darüber, was in der Welt passiert, so sehr auseinander, dass der gemeinsame Diskursboden der Demokratie verloren geht. Zugleich stehen europäische Medien mit dem Rücken an der Wand: Über drei Viertel der Online-Werbeerlöse weltweit (außerhalb Chinas) gehen an Google und Facebook. Vom Zuwachs sicherten sich diese zwei Silicon-Valley-Giganten 2017 sogar 99 Prozent. Wenn man das laufen lässt, gibt es in zehn Jahren keinen europäischen Journalismus mehr - und das ist keine düstere Dystopie, sondern realistisch.
Die öffentlich-rechtliche Idee kann - wie schon bei der vorhergehenden Medienrevolution - ein Teil der Antwort darauf sein. Aber der ORF, wie er heute dasteht, ist es leider nicht. Und das liegt an der Konkurrenzsituation: In einem deprimierend provinziellen Kleinkrieg rammen sich die Medienunternehmen die Messer in die Rücken, um sich einen schrumpfenden Kuchen aufzuteilen. Der ORF gibt Millionen an Gebührengeldern aus, um mit Kommerzshows und US-Serien, die in anderen Ländern selbstverständlich im Privatfernsehen laufen, seine Marktanteile gegen andere österreichischen Medien zu verteidigen - obwohl die exzellente Information ohnehin viel höhere Quoten bringt als Kommerz. Zugleich sind ihm im Digitalen die Hände gebunden, weil seine Übermacht alle anderen Online-Angebote verschwinden lassen würde.
In diesem Krieg der Gartenzwerge geht die Diskussion unter, die wir führen müssten: Wie sorgen wir angesichts des rasanten Siegeszuges von amerikanischen und bald chinesischen Medienkonzernen, die sich an keinerlei europäische Regeln halten, dafür, dass die Menschen informiert sind? Wie setzen wir die Hunderten Millionen an öffentlichem Geld, das in Medien fließt, so ein, dass möglichst viel Public Value entsteht - also Qualitätsjournalismus, Recherche, Film, Kultur, Reportagen im Sinne des Gemeinwohls? Wie bringen wir diese Produktionen auf möglichst viele Kanäle, wo doch das Ende des linearen Fernsehens absehbar ist?
Man muss damit aufhören, Medienförderung nach schwindenden Mediengattungen zu verteilen
Die Antwort ist eigentlich einfach: Man muss den Krieg der Gartenzwerge beenden und damit aufhören, Medienförderung nach schwindenden Mediengattungen zu verteilen, sondern - wie Christian Rainer im profil-Leitartikel der Vorwoche forderte - auf den Inhalt schauen. Dafür sorgen, dass Public Value möglichst viel gesehen und von einer möglichst großen Vielfalt von Redaktionen produziert wird. Und man muss in Europa selbst digitale Medien und Plattformen entwickeln, anstatt die Infrastruktur und Macht über das neue Medienzeitalter allein Silicon Valley und China zu überlassen, bis Europa dazwischen zerquetscht wird.
Das wird nur in europaweiten Allianzen funktionieren. Ansätze sind vorhanden. Der ORF könnte dabei eine wichtige Rolle spielen - wenn denn sein Management aufhörte, mit Zähnen und Klauen einen Status quo aus dem 20. Jahrhundert zu verteidigen.
Corinna Milborn ist Informationsdirektorin von Puls 4.