„Das Kreuz hat im Klassenzimmer nichts verloren“

Cornelius Obonya: „Das Kreuz hat im Klassenzimmer nichts verloren“

Sommergespräch. Cornelius Obonya über Kreuze im Klassenzimmer und seine Schauspielerfamilie

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Interview: Herbert Lackner

profil: Herr Obonya, sehen Sie derzeit viel Fußball im Fernsehen?
Cornelius Obonya: Ja. Die österreichische Meisterschaft schau ich mir ja eher nicht an, deutsche Spiele schon. Und bei großen Turnieren ist sogar meine Frau vor dem Fernseher.

profil: Haben Sie einen Favoriten?
Obonya: Spanien mit einer Titelverteidigung wäre toll gewesen. Oder Deutschland. Oder Holland.

profil: Merkwürdigerweise trauen sich viele Österreicher nicht zu sagen, dass sie zu Deutschland halten.
Obonya: Ich halte das für ziemlich altbackenen Kram. Die Deutschen haben eine verdammt gute Mannschaft, und ich mag die einfach.

profil: Sie hatten im Einpersonenstück „Córdoba“ von Florian Scheuba und Rupert Henning am Rabenhof-Theater gewaltigen Erfolg. Was macht eigentlich den Mythos von Córdoba aus?
Obonya: Das ist schon etwas, wenn man die beste Turniermannschaft aus der WM wirft, wie das Österreich damals mit Deutschland getan hat. Córdoba war 1978 – und 1979 war es schon Legende. Danach haben wir eh kein Leiberl mehr g’rissen.

profil: Man könnte Córdoba ja auch ideologisch überhöht als Teil der Nationswerdung Österreichs sehen.
Obonya: Sicher hat das dazu beigetragen, dass man endgültig sagen konnte: Wir sind wieder wer! Man kann einem Größeren die Stirn bieten.

profil: Demnächst spielen Sie in Salzburg wieder den Jedermann. Sind solche Rollen nicht besonders schwierig, weil das Publikum ja vergleicht: Wie hat der Attila Hörbiger dreingeschaut, als ihn der Tod antraf, oder der Brandauer oder der Simonischek oder der Ofczarek? Und wie macht’s jetzt der Obonya?
Obonya: Das war mir immer egal. Ich hab mir natürlich Videos angeschaut, wie das mein Großvater Attila Hörbiger machte oder der Curd Jürgens oder andere. Blöd wär ich, wenn ich mir von solchen Könnern nicht etwas abschau. Aber dann muss ich mein Jedermann sein.

profil: Der „Jedermann“ ist vom katholischen Schuld-und-Sühne-Gedanken durchwoben. Ist das noch zeitgemäß?
Obonya: Aber man muss wissen, dass das Stück von zwei Juden „gemacht“ wurde – Hugo von Hofmannsthal und Max Reinhardt –, die 1920 sagten: Wir machen für die nach dem Weltkrieg hungernde Stadt Salzburg zur Eröffnung der Festspiele eine einmalige Aufführung eines „Erbauungsstücks“. Es war ja alles weg: der Kaiser, die Fahne, das Land – geblieben war nur die Kirche. Also machten sie das vor dem Dom. Und dann hat die Bevölkerung gesagt: Spielt das bitte noch einmal. So wurde der „Jedermann“ zur Tradition, die nach dem Zweiten Weltkrieg österreichisch wiederbelebt wurde. Natürlich hat das Katholische mit den Jahren einen Bedeutungswandel erfahren.

profil: Apropos katholisch: Sie waren im Vorjahr im Prominenten-Komitee für das Anti-Kirchenprivilegien-Volksbegehren. Was hat Sie dazu bewogen?
Obonya: Es stört mich zum Beispiel, dass die katholische Kirche gerade fünf Prozent zum Budget der von mir hoch geschätzten Caritas beiträgt, sich aber ständig damit brüstet, dass es die Caritas gibt. Ich glaube auch, dass das Kreuz weder in einem Klassenzimmer noch in einem Gerichtssaal etwas verloren hat. Und wenn schon das Kreuz, dann auch die anderen religiösen Symbole: der Davidstern, eine Koransure und dazwischen das Bild des Bundespräsidenten. Und wenn es einen buddhistischen Schüler gibt, dann soll dort auch das entsprechende Symbol sein.

profil: Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
Obonya: Manchmal denke ich: Es ist eine unglaublich arrogante Haltung, zu sagen, da muss ja noch etwas kommen, weil wir Menschen sind ja so etwas Besonderes. Und dann hab ich wieder das Gefühl: Schön wär’s eigentlich schon, wenn es da noch etwas gäbe.

profil: Beneiden Sie gläubige Menschen? Die Religion ist ja schließlich auch ein Trostmittel.
Obonya: Ja, ganz sicher. Wenn ich im Fernsehen den Papst beim Segen Urbi et Orbi auf dem Petersplatz sehe, dann wäre ich wahnsinnig gern mit so vollem Herzen dabei, wie die vielen tausend Gläubigen, die dort stehen. Es ist sicher ein Gefühl der Geborgenheit, das die Menschen dort durchflutet.

profil: Es stört Sie also offenbar nicht der liebe Gott, sondern die Kirche.
Obonya: Ich würde mir so sehr wünschen, dass die Missbrauchsfälle aufgeklärt werden und dass es unmissverständliche Zeichen in Richtung der Betroffenen gibt. Auch als ehemaliger Katholik würde ich mir von Papst Franziskus ein neues Vatikanum erwarten. Vielleicht wäre es dann so, dass Priester die Liebe zu den Menschen und zu Gott zur Gänze ausleben dürfen, also auch in ihrer Beziehung zu Frauen. Und auch schwule Priester sollte es dann geben – ganz abgesehen von Priesterinnen.

profil: Sie haben kürzlich bei der jährlichen Gedenkveranstaltung im ehemaligen KZ Ebensee die Rede gehalten und auch über die Mitwirkung Ihrer Großmutter Paula Wessely im Nazi-Propagandafilm „Heimkehr“ gesprochen. Haben Sie mit ihr selbst einmal darüber geredet?
Obonya: Ich hab sie einmal gefragt: „Weißt du, was du da im Film geredet hast – oder wusstest du es damals?“ Und sie hat darauf nur gesagt: „Ja.“ Ich hätte mehr graben müssen oder sie direkter fragen sollen. Ich war aber noch zu jung, um einem solchen Gespräch standhalten zu können. Sie hat diesen Film tief in sich drinnen sicher bedauert, aber sie kam aus jener Generation, die gewisse Dinge nicht aussprechen konnte oder wollte.

profil: Vielleicht haben es Kulturschaffende in autoritären Systemen besonders schwer, weil sie Stellung beziehen müssen. Sie können sich nicht einfach wegducken.
Obonya: Es ist natürlich schwierig. Meine Großeltern hatten ihrem Empfinden nach nicht die Möglichkeit, ins Ausland zu gehen, sie haben zum Beispiel auch nicht Englisch gesprochen. Aber wenn andere, die auch kein Englisch konnten, auch keine Juden waren und noch dazu kein Geld hatten, ins Ausland gegangen sind, dann darf man schon fragen: Warum bist du geblieben?

profil: Aber wissen wir, wie wir gehandelt hätten?
Obonya: Ich habe nicht die geringste Ahnung, ob ich den Mut gehabt hätte, wegzugehen. Der persönliche Mut beginnt erst, wenn es darauf ankommt. Jetzt gescheit daherzureden, ist einfach.

profil: Zu Beginn des Ersten Weltkrieges stimmten fast alle Künstler und Intellektuellen in das Kriegsgeheul ein. Lassen sich Künstler leichter als andere von Massenstimmungen mitreißen?
Obonya: Das kann schon passieren, nicht, weil sie so viel emotionaler sind als die anderen, sondern weil auch sie manchmal politisch beeinflussbar sind. Aber die Zeiten haben sich geändert. Ich will das nicht vergleichen, aber ich war kurz vor der Jugoslawien-Krise noch beim Bundesheer, als man Präsenzdiener an die Grenze abkommandierte. Meiner Mutter wäre es nicht eingefallen, mir ein Blümchen in den Gewehrlauf zu stecken und mich jubelnd aufzufordern, dort freiwillig hinzugehen.

profil: Ihre Großeltern, Ihr Großonkel, Ihre Tanten und Ihre Eltern waren und sind berühmte Schauspieler. Ich stelle mir das Leben in Schauspielerfamilien schwierig vor.
Obonya: Schauspielerfamilien sind wie eine Flotte, die aus lauter über das Meer verstreuten Flaggschiffen besteht. Man sieht sich ja nicht so oft. Wenn ich dieses Wort vom „Hörbiger-Clan“ schon höre – das klingt ja wie eine Mafia, die ständig zusammenpickt und etwas ausheckt. Es ist in Wahrheit nicht viel anders, als wenn die Söhne von Juristen wieder Juristen werden.

profil: Wird da auch im Privatleben geschauspielert, womöglich in Burgtheaterdeutsch?
Obonya: Um Himmels willen, nein! Wir wären ja alle auch Profi genug, um das sofort zu bemerken.

profil: Politiker müssen auch immer ein wenig schauspielern. Können die das?
Obonya: Das hat nichts mehr mit Schauspiel zu tun, da muss ich jetzt ein wenig meinen Beruf schützen. Das ist im Grunde gar nichts, leider. Manchmal fragt man sich, warum es nicht schon 3000 Demonstrationen im Monat gibt. Was wir alle so aushalten, ist schon enorm. Dabei stimmt die Grundstruktur ja. Das Werkl rennt, wenn auch nicht mehr sehr gut. Aufgrund des Fleißes und einer positiven Arbeitseinstellung der Österreicher läuft das noch. Aber alle wissen: Wenn nicht bald Reformen kommen, dann bleibt das nicht so. Wir verlangsamen zu sehr, so ist der Status quo nicht mehr zu halten.

profil: Sie meinen die Arbeitslosenzahlen?
Obonya: Arbeitslosigkeit ist sowieso die Hölle auf Erden. Wenn ein Unternehmen 3000 Menschen abbaut, bekommen vielleicht 1500 Leute nach Umschulungen wieder einen Job. Und was ist mit den anderen?

profil: Daran ist aber nicht nur die Regierung schuld.
Obonya: An den Mängeln in der Bildungspolitik zum Beispiel schon. Darum bin ich mit vielen anderen bei der Bildungsinitiative von Hannes Androsch dabei.

profil: Die Popularitätswerte der Politiker sind im Keller. Hat die Politik insgesamt an Ansehen verloren, oder ist daran die gegenwärtige Politikergeneration schuld?
Obonya: Die Politik hat insgesamt an Ansehen verloren, aber es kommt immer auf die handelnden Personen an. Wenn ich einen Politiker habe, der glaubwürdig versucht, etwas zu verändern, dann wird die Politik geachtet werden und erfolgreich sein. Das war bei Bruno Kreisky so, und das hätte in Wien auch bei Erhard Busek so sein können, wäre er damals nicht gegen eine rote Übermacht angerannt. Der Politiküberdruss wird sich in Grenzen halten, wenn es Politiker gibt, die auch unangenehme Wahrheiten aussprechen und keine Worthülsen daherplappern, bei denen ich schon 15 Spin-Doktoren im Hintergrund höre, bevor überhaupt noch der Mund aufgeht.

profil: Konkret: Zu welchen Themen wollen Sie Klartext hören?
Obonya: Etwa zum Thema: Was bedeutet heute noch die Neutralität? Oder zum Thema Bundesheer. Die Volksbefragung zur Abschaffung der Wehrpflicht ging deshalb so grauenhaft aus, weil niemand im Klartext gesagt hat: Ein Berufsheer wird am Anfang mehr kosten, es wird aber nachhaltiger sein – und ja, es kann bei Auslandseinsätzen Tote geben. Dass die allgemeine Wehrpflicht jetzt erhalten bleibt, ist völlig sinnlos: Sie stimmt mit den technischen Erfordernissen einer Armee nicht mehr überein, und für die jungen Männer hat diese Art von Disziplinierung keinen Wert. Was soll das also?

profil: Man stellt sich den Beruf des Schauspielers glamourös vor. Aber ist das nicht meist ein eher einsamer Job, den man mit Rollenlernen im stillen Kämmerchen ausübt?
Obonya: Den Text zu lernen und die Rolle zu erarbeiten, ist tatsächlich ein einsamer Job. Manchmal muss man sich echt wegsperren – auch vor der Familie. Bei mir ist das meist die Nacht, das war schon immer so.

profil: Eine Spezialität des Berufs ist die Altersgebundenheit. Sie sind mit 45 im idealen Jedermann-Alter, in dem schon einmal der Tod vorbeikommt. Der jugendliche Liebhaber ginge nicht mehr. Ist das nicht ein wenig deprimierend?
Obonya: Für den klassischen jugendlichen Liebhaber war ich ohnehin nie der Typ. Jetzt wird es langsam kongruent. Für den männlichen Schauspieler sind das die goldenen Jahre. Es macht jetzt auch mehr Spaß. Man weiß, was man nicht mehr will, man weiß aber auch, was noch zu erreichen ist.

profil: Was kommt denn noch? Was sind Ihre Wunsch-Altersrollen?
Obonya: Es gibt ein paar Klassiker. Für jeden Schauspieler ist ab einem gewissen Alter der King Lear eine Rolle, die man gerne machen würde. Aber den kann man in vielen Lebensaltern spielen. Laurence Olivier war einmal mit 39 King Lear und einmal mit 83. Er hat dann gesagt: „Das Fatale an dieser Rolle ist, dass man mit 39 die Kraft hat, den zu spielen, aber nicht die Erfahrung. Jetzt hab ich jede Menge Erfahrung, aber nicht mehr die Kraft.“

profil: Eine Altersrolle wäre ja auch jene des Theaterdirektors.
Obonya: Auf der Bühne oder in echt?

profil: In echt.
Obonya: Nein, das wär nichts für mich. Ich wäre nicht einmal ein guter Regisseur. Ich könnte aufgrund meiner Erfahrung vielleicht drei Leute auf der Bühne von links nach rechts verschieben, aber ich hätte wahrscheinlich nicht den Blick für das große Ganze.

profil: Von der Statur her wären Sie eine Figur für ein erdiges Brecht-Lehrstück.
Obonya: Auch, aber ich weiß nicht, ob Brecht wirklich noch zeitgemäß ist. Was mir mit Sicherheit liegen würde, ist der Typ „fröhlicher Bösewicht“.

profil: Brechts Puntilla wär so einer. Der ist fröhlich, wenn er besoffen ist, und nüchtern überaus böse.
Obonya: Das Schöne ist, dass das alles auch ohne ­Alkohol geht.

Zur Person
Cornelius Obonya, 45, Seit vergangenem Jahr ist der gebürtige Wiener Salzburgs Jedermann – eine Rolle, die schon sein Großvater Attila Hörbiger verkörpert hat. Auch seine Eltern Hanns Obonya und ­Elisabeth Orth waren bzw. sind Burgschauspieler. Auf­sehen ­erregte Obonya im Einpersonenstück
„Córdoba“ im Wiener Rabenhof.

Foto: Walter Wobrazek