Die Corona-Chroniken: Durchhalten
Ausnahmezustand, Tag 12: Seit zwei Wochen ist nichts mehr so, wie wir es gewöhnt waren und alles anders, als wir es uns je vorstellen konnten. Und doch: man stellt sich darauf ein. Das heißt keineswegs, dass es nicht für die meisten nervig (was tun mit der ganzen Tagesfreizeit?), schwierig (was tun mit den Kindern?) und für viele belastend (was tun mit pflegebedürftigen Angehörigen?) oder gar existenzbedrohend (was tun mit der Aussicht, dass das eigene Ein-Personen-/Klein-/Mittelstands-/Unternehmen pleite- oder der Job verlorengeht?).
Ab und zu hat man als Journalist in Kriegs- oder Krisengebieten zu tun. Und eine der größten Überraschungen, die man dabei erlebt, ist das Ausmaß an Normalität, das selbst in einer schweren Krise herrscht (womit nicht gesagt sein soll, dass die derzeitige Situation in Österreich mit einem Krieg zu vergleichen wäre). Das alltägliche Leben löst sich nicht einfach auf, es verschwindet nur punktuell, wo es verdrängt wird, und taucht sofort wieder auf, wenn der Druck nachlässt.
Diese Erfahrung machen wir jetzt auch. „Man glaubt gar nicht, was man alles aushält“, sagen Leute, die schon etwas ausgehalten haben, und wenn man selbst etwas aushalten muss, dann merkt man: das stimmt. Und das ist zwar keine angenehme Erfahrung, aber eine wichtige, die nicht nur Aus- sondern auch Durchhalten lehrt. Das wird, wenn man den Prognosen glaubt, in den kommenden Tagen auch bitte notwendig sein. Nächste Woche dürften die Infektionszahlen stark steigen, alleine aus mathematischen Gründen. Aber man wird auch abschätzen können, ob die zur Normalität gewordenen Maßnahmen der vergangenen zwei Wochen greifen.
Halten Sie durch! Und bleiben sie gesund!
Michael Nikbakhsh und Martin Staudinger
Sie finden hier: Thomas Migge über Corona im Vatikan und die Angst um zwei Päpste; Michael Nikbakhsh im Gespräch mit einem Immobilienmakler über Wohnungssuche in der Krise; Clemens Neuhold über verbotene und erlaubte Freizeitaktivitäten; Edith Meinhart über das Ende unserer guten alten Bürowelt; Philip Dulles Musiktipp; Wolfang Paternos Trost-Satz.
Zahlen bitte!
Der jüngste zahlenmäßige Gesamtüberblick über die Coronavirus-Erkrankungen in Österreich stammt heute aus dem Innenministerium, wo in der Früh eine Lagebesprechung stattgefunden hat: Mit Stand 09.30 Uhr gab es somit 7040 positive Testergebnisse – zum Vergleich: Gestern am Vormittag waren es 6001 gewesen. Die Zahl der Todesfälle ist von 42 auf 58 gestiegen, die der registrierten Genesenen von 112 auf 225, wobei es hier zuletzt noch Probleme mit dem Meldesystem gegeben hatte. Laut BMI befinden sich 800 Menschen aufgrund des Coronavirus in Krankenhäusern, 128 liegen auf der Intensivstation.
Auf dem amtlichen „Dashboard“ des Gesundheitsministeriums werden auch die Erkrankungsfälle in den einzelnen Bundesländern angeführt: Weiterhin mit Abstand am stärksten betroffen ist Tirol. Hier zählte man – Stand 10:00 Uhr – 1732 positive Testergebnisse. Zwei weitere Bundesländer haben die Tausendergrenze überschritten: Oberösterreich (1181 Fälle), und Niederösterreich (1068 Fälle). Bis Freitag 08:00 Uhr hatten österreichweit 39.552 Testungen stattgefunden.
Nachrichten der vergangenen 24 Stunden
Die guten: + In Rimini ist ein 101-jähriger Mann nach einer Corona-Infektion geheilt aus dem Krankenhaus entlassen worden. Geboren wurde er übrigens 1919 während der Spanischen Grippe + Deutschland meldet Sterbezahlen, die prozentuell niedriger liegen als in andern Ländern. Das liegt laut dem Virologen Christian Droste auch daran, dass mehr getestet wird, dadurch auch Personen mit geringen Symptomen erfasst werden und das Gesamtbild aussagekräftiger ist
Die schlechten: - Gesundheitsminister Rudi Anschober geht davon aus, dass der Höhepunkt der Pandemie in Österreich erst zwischen Mitte April und Mitte Mai erreicht sein wird - Die USA sind inzwischen das Land mit den meisten bestätigten Infektionen (85.000), in New York City steigt die Zahl der Krankenhauspatienten derzeit um 40 Prozent pro Tag - In Afrika breitet sich die Pandemie weiter aus – mittlerweile melden 46 Staaten Infektionen, obwohl kaum getestet wird
Jetzt hilft nur noch beten
Corona-Infektionen im Vatikan lassen um die Gesundheit von Papst Franziskus und Benedikt XVI. bangen, berichtet THOMAS MIGGE aus Rom.
Das Coronavirus macht auch vor den hohen Mauern des Vatikans nicht halt. Fünf Infizierte soll es bereits geben. Einer von ihnen ist ein wichtiger Prälat, der Umgang mit Papst Franziskus gehabt haben könnte. Jetzt gilt höchste Sicherheitsstufe für Franziskus und auch für Benedikt XVI.
"Die Vermieter sitzen im Keller und weinen"
Für den bedauerlichen Fall, dass Sie ausgerechnet jetzt eine neue Wohnung benötigen: Immobilienmakler sind derzeit eher unterbeschäftigt. MICHAEL NIKBAKHSH hat mit einem gesprochen.
Die Vermittlung von Wohnungen und Geschäftslokalen war auch schon einfacher. Das Geschäft der Immobilienmakler ist mit Wirksamkeit der Ausgangsbeschränkungen und Betretungsverbote weitgehend zum Erliegen gekommen. Aber irgendwie muss das Leben ja weitergehen. Das Immobilienportal immobilienscout24.at zum Beispiel ermuntert Makler, „Live Videos“ hochzuladen, um den Kunden virtuelle Begehungen zu ermöglichen (das war bisher mehr dem Luxussegment vorbehalten, aber in der Krise geht plötzlich so manches). Aber was, wenn man nun dringend eine Wohnung und daher eine Besichtigung braucht? Der Wiener Immobilienmakler und -berater Pino Lux („Die Maklerei“) berichtet aus seinem neuen Alltag.
profil: Wie besichtigt man eine Wohnung in Zeiten der Krise? Pino Lux: Das ist neuerdings eine delikate Geschichte, weil wir ja den Kunden nicht zu nahekommen wollen und vice versa. Ich hatte in den vergangenen Tagen einige Besichtigungen, die so ablaufen, dass ich mich mit den Interessenten vor dem Haus treffe, anschließend verneigen wir uns voreinander, das ist ganz lustig und wirkt als Eisbrecher, dann gehe ich allein die Wohnung aufsperren und wieder zurück auf die Straße. Anschließend können die Kunden hinein. Wenn sie Fragen haben, rufen Sie mich an oder schicken eine Textnachricht. Ich hab‘ das auch schon über Skype gemacht. Das ist zwar alles sehr unpersönlich, aber es geht auch.
profil: Wie würde ein Geschäftsabschluss unter diesen Umständen ablaufen? Lux: Etwas umständlicher als sonst, die Vertragsparteien sollen ja keinen physischen Kontakt haben. Ich arbeite derzeit an einem Projekt, wo eine jüngere Dame einem älteren Herrn eine Wohnung abkaufen möchte. Die beiden dürfen einander nicht sehen, ich darf ihn nicht sehen, die Frau zumindest theoretisch, wenn auch unter Wahrung des Sicherheitsabstands, aber derzeit will ja eh niemand mit irgendwelchen Leuten in geschlossenen Räumen sein. Aber wir haben ja Telefon, Mail und die Post. Also irgendwie klappt das schon.
profil: Wie ist die Nachfrage derzeit? Lux: Wir haben wenig überraschend viel weniger Anfragen als sonst. Wer wechselt in diesen Zeiten schon freiwillig die Wohnung? Es beginnt damit, dass der Umzug an sich ein schwieriges Thema ist. Hinzu kommt, dass viele Mieter, deren Verträge jetzt enden, von ihren Vermietern einen Aufschub für ein, zwei, drei Monate bekommen, bis sich die Situation wieder beruhigt hat. Die Vermieter haben jetzt sicher kein Interesse an neuem Leerstand. Es schauen sich also nur Leute um eine Wohnung um, die wirklich dringend eine benötigen.
profil: Und Geschäftslokale? Lux: Machen Sie Witze? Die Vermieter sitzen im Keller und weinen. Die einen haben leere Flächen, die derzeit niemand will, die anderen haben Mieter, die ihre Mieten nicht mehr zahlen. Ob man als Geschäftsmieter wegen der Epidemie eine Mietfreistellung in Anspruch nehmen kann, hängt maßgeblich vom Mietgegenstand und vom Geschäftszweck ab. Bei einem Restaurantbetreiber, der jetzt null Geschäft macht, wird man sich schwer tun zu argumentieren, dass er weiterhin den Zins zahlen muss. Bei einem Architekten, der sein Büro jetzt nicht aufsperren will, aber dennoch seiner Tätigkeit nachgehen kann, wird das schon schwieriger sein. Da kommt wohl einiges auf die Gerichte zu.
Corona-Frischluft-Guide: Wiener verboten?
Ist Niederösterreich Sperrgebiet für Ausflügler, die es ins Grüne zieht? Wie lange dürfen Spaziergänger auf einer Wiese oder Parkbank sitzen? Bleibt der Park Schönbrunn geschlossen? Der Corona-Frischluft-Guide fürs Wochenende.
„Spazieren nur in der unmittelbaren Wohnumgebung und nicht mit dem Auto irgendwo hinfahren!!! Das gilt besonders für die Wiener, die in Scharen unseren Wald heimsuchen.“ Der Mödlinger Bürgermeister Hans Stefan Hintner (ÖVP) macht auf Facebook seinem Ärger Luft. Um die Grünflächen seine Stadt für Wiener „unattraktiver“ zu machen, ließ er 40 Prozent der Parkplätze am Fuße des Wienerwaldes sperren. Die Polizei kontrolliere, „wer von wo kommt“, droht er.
Auf profil-Anfrage hält ein Sprecher der NÖ-Landespolizeidirektion aber dezidiert fest: „Das Anreisen zum Spazierengehen mit einem PKW ist erlaubt.“ Die Entfernung vom Wohnort schränkt er nicht ein. Nicht erlaubt sei hingegen die Anreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Berichte, wonach Fahrer mit Wiener Kennzeichen in niederösterreichischen Umlandgemeinden gezielt ausgesiebt und heimgeschickt würden, dementiert er.
Alle in einem Boot Camp
Unsere gute, alte Bürowelt wird nach der Krise nicht wiederzuerkennen sein, vermutet EDITH MEINHART.
Das neue Normal kommt mit Überschallgeschwindigkeit. Vor Kurzem noch waren die meisten von uns bass erstaunt, wenn jemand von einer Telefonkonferenz mit hunderten Teilnehmern erzählte. „Kann das gut gehen?” Und schon ist es fast das Selbstverständlichste der Welt, dass Symposien und Meetings als moderierte Videochats oder Telkos abgehalten werden. Wir sitzen in unserem Home Office, das eben noch unser Wohnzimmer war, verbinden uns mit Apps, deren Namen wir vor wenigen Wochen noch gar nicht kannten, mit unseren Bürokollegen und kommen kaum damit nach, uns zu wundern, was plötzlich alles möglich ist.
Ein unbekanntes Virus trieb uns in diesen gigantischen Feldversuch. Niemand kann sagen, wie lange er dauert und wie sehr er unsere Lebensart und Arbeitsweise verändert haben wird, wenn er irgendwann zu Ende geht. Wovon man allerdings ausgehen darf, ist, dass es das alte Normal dann nicht mehr geben wird.
Countersound: Die Ärzte spielen „Ein Lied für jetzt“
Philip Dulle findet Musik gegen Corona.
Harte Zeiten erfordern harte Mittel, oder zumindest einen neuen Song von Die Ärzte. Bela B, Farin Urlaub und Rodrigo Gonzalez sollten eigentlich an ihrem Comeback-Album basteln, befinden sich jetzt, wie ein Gutteil der Menschheit, im Stubenhocker-Modus. Ein neues Anti-Krisen-Lied hat die Berliner Band nun aus getrennten Wohnungen aufgenommen. „Die Kanzlerin sagt, Bela bitte bleib zu Haus’ / Es gibt doch jeden Tag jetzt, Die Sendung mit der Maus.“ Ein bisschen Quarantäne, so die Message des Berliner Punkrock-Trios, ist nicht die schlimmste Sache der Welt – und in Krisenzeiten gehe es vor allem um Solidarität. „Ein Lied für Händewaschen. Für anderthalb Meter. Für die Armbeuge. Ein Lied für Krankenschwestern und -brüder. Für den Bereitschaftsdienst. Ein Lied für Johns Hopkins. Für Robert Koch. Für Christian Drosten. Für Max Planck.“ Und weil man im eigenen Home-Office-Krisenmodus gerne auf andere Tragödien vergisst, wird im Song – zwischen Telelernen und Punkrock – auch auf die fatale Situation im griechischen Flüchtlingslager Moria hingewiesen. #savethem
Alles wird gut.
Schöne Grüße aus dem Elfenbeinturm!
Wolfgang Paterno macht sich auf die Suche nach Sätzen, die helfen.
„Wie Vögel auf einer Stange.“
Das Bilderbuch „Freunde – was uns verbindet“ von Illustrator Valerio Vidali mit Texten der „Zeit Magazin“-Autorin Heike Faller ist mitten ins Corona-Desaster hinein erschienen. Für ein Buch wiederum, das die Freundschaft preist, können sämtliche widrige äußere Umstände getrost von untergeordneter Bedeutung bleiben. „Freunde – was uns verbindet“ feiert in Worten und Bildern das Zusammenkommen und -bleiben von Menschen: „Wie Vögel auf einer Stange“ steht über der Illustration einer gefährlich nah beieinanderstehenden und -sitzenden Dreiergruppe im blassen Abendrot, ohne Mindestabstand, fern jeglichen Kontaktverbots. Im Nachwort schreibt Faller, sie habe sich kürzlich eine Gästematratze gekauft, damit ihre Freunde nicht mehr auf dem Sofa schlafen müssen.
Heike Faller, Valerio Vidali: Freunde – was uns verbindet. Kein & Aber 2020, 180 S., EUR 20,60