Corona-Impfung: Dürfen Jugendliche selbst entscheiden?

14-Jährige dürfen sich in Österreich ihre Religion aussuchen, Sex haben, ein Bankkonto eröffnen. Aber dürfen sie selbst entscheiden, sich gegen Corona impfen zu lassen – oder legen das ihre Eltern für sie fest?

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von Magdalena Riedl

„Meine Mutter verbietet mir, mich impfen zu lassen.“ Die 17-jährige Wienerin Hannah R. ist planlos. Ginge es nur nach ihr, wäre sie gegen das Coronavirus geimpft. Ihre Schulfreundinnen haben sich bereits dafür entschieden. Hannahs Problem: Ihre Mutter ist Impfgegnerin und setzt die Tochter emotional unter Druck. Darum hat Hannah beschlossen: Sie wird sich impfen lassen – aber ohne ihrer Mutter Bescheid zu geben. Wie sie das anstellt, weiß sie noch nicht.

Die Impfung könnte Hannah nicht nur gegen das Virus schützen, sondern ab Herbst auch Türen öffnen – die Ungeimpften potenziell verschlossen werden. Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker preschte vor, Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein zog nach: Beide diskutieren, nur mehr Geimpften Zutritt zu Lokalen, Veranstaltungen und Sportstätten zu ermöglichen.

Was aber passiert, wenn einem die Entscheidung für oder gegen die Impfung von den Eltern aus der Hand genommen wird? Was passiert, wenn es zu Hause heißt: „Nein, ich lasse mein Kind nicht impfen.“? Oder: „Lass dich impfen!“, und das Kind stellt sich quer? Wie viel haben Jugendliche in Sachen Impfung tatsächlich mitzureden?

Laut österreichischer Rechtsordnung sind Jugendliche ab 14 Jahren mündige Minderjährige und können eigenständig entscheiden, ob sie sich impfen lassen oder nicht. Bisher haben sich 53 Prozent der 15-bis 24-Jährigen zumindest einmal impfen lassen, erkleckliche 46 Prozent bereits zum zweiten Mal, zeigen Daten aus dem Gesundheitsministerium (siehe Grafik). Zum Vergleich: In der Gesamtbevölkerung sind 56 Prozent voll immunisiert. Bei den 12- bis 14-Jährigen fällt die Durchimpfungsrate deutlich geringer aus: Nur rund vier Prozent von ihnen haben zumindest eine Impfung erhalten. Bei den unter 14-Jährigen entscheiden die Eltern.

Das österreichische Impfgremium bewertet die Corona-Schutzimpfung für Jugendliche positiv. Weil die bisher erhobenen Daten zeigen, dass 12- bis 15-Jährige die Impfung gut vertragen, wird sie explizit empfohlen. Jüngere erkranken zwar seltener schwer, leiden aber unter dem Long-Covid-Syndrom. „Aktuelle Daten zeigen, dass auch Kinder von Long Covid betroffen sein können. Diese Erkrankung kann ihr Leben lange Zeit beeinträchtigen“, heißt es aus dem Gesundheitsministerium. Deshalb spricht sich seit 16. August auch die deutsche Ständige Impfkommission für eine Impfung ab dem Alter von zwölf Jahren aus. Zuvor war der Stich in Deutschland nur Risikokindern empfohlen worden.

Rechtlich scheint alles klar, medizinisch ebenso. Für den Klinischen Psychologen Roland Bugram spielen  in der Debatte  noch andere Faktoren eine Rolle: „Angenommen, Eltern sind gegen eine Impfung, aber das Kind will sie trotzdem – oder umgekehrt: Daraus entstehen psychosoziale Probleme und seelische Verwerfungen.“

Schwierigkeiten, die Hannah von zu Hause kennt. Beginnt sie eine Diskussion über die Impfung, kontert die Mutter mit Verschwörungstheorien, und der Vater hält sich raus. „Es hat keinen Sinn, mit ihr darüber zu diskutieren, ihre Meinung ist festgefahren. Irgendwo verstehe ich sie auch. Sie denkt, es sei ungesund, und will mich beschützen. Aber sie soll mir die Entscheidung darüber selbst überlassen“, sagt Hannah. Aus der Diskrepanz ergibt sich für die Schülerin als logische Konsequenz, herauszufinden, wie sie sich impfen lassen kann, ohne dass ihre Eltern davon erfahren und zu Hause „Chaos ausbricht“, wie Hannah es nennt. 

Niederschwellige Impfangebote gibt es in Wien mittlerweile fast an jeder Ecke. Das sei in Kombination mit Jugendarbeit zentral, um Kinder impfskeptischer Eltern über die Corona-Schutzimpfung zu informieren – und in Folge zu überzeugen, so Mario Dujaković, Mediensprecher des Wiener Gesundheitsstadtrates Peter Hacker. „Wir haben eigene Busse, mit denen wir etwa in Bäder oder an den Donaukanal fahren. Dort informieren wir junge Menschen über die Impfung. Den Impftermin kann man sich gleich vor Ort ausmachen.“ Die Message, die man den Jungen mitgeben möchte: Impfen geht schnell und ohne viel Aufwand. „Man darf Zwölf-, 13-Jährige da nicht unterschätzen. Da wollen einige impfen gehen“, meint Dujaković. Zusätzlich versuche man, impfskeptischere Eltern und unmündige Minderjährige über eine Eltern-Kind-Impfaktion zu erreichen.

Buchen Eltern einen Termin für ihr Kind, können sie sich gleich mitimpfen lassen. Ab 23. August wird das Impfangebot ausgeweitet. 30 Impfbusse werden Sommerschulen im ganzen Land anfahren. Mit Schulbeginn sollen schulinterne Impfzentren und mobile Teams den Impffortschritt bei Jüngeren vorantreiben. Selbst vor Discos oder im Wiener Wurstelprater stehen Impfboxen.

Psychologe Bugram begrüßt derartige Impfangebote – unter einer Prämisse: Um Jugendlichen eine selbstständige Entscheidung zu ermöglichen, brauche es psychologische beziehungsweise medizinische Beratung: „Eine Impfstraße aufzustellen und dann zu sagen: Geh rein, geh impfen und geh raus – das halte ich für problematisch. Wenn Impfstraßen vor Schulen aufgestellt werden, sollen sich Kinder und Jugendliche bei Schulärztinnen und Schulpsychologen  informieren können. Damit wird ihnen die Angst genommen und gleichzeitig die Freiheit eingeräumt, zu entscheiden, ob sie diese Information annehmen oder nicht.“

Am Vorplatz des Wiener Westbahnhofs steht ein zur Impfstation umfunktionierter Bus. Der Motor läuft, damit die Kühlung funktioniert. In den hinteren Busreihen nehmenFrischgeimpfte die Plätze ein und warten die 20 Minuten nach der Impfung ab. Sichtlich erleichtert hüpft Lara aus dem lilafarbenen Impfbus. Gemeinsam mit ihrer elfjährigen Schwester nimmt sich die 14-Jährige einige Minuten, um in der Vormittagssonne zu verschnaufen. Ein paar Tränen sind geflossen, aber im Nachhinein war es nur halb so schlimm. Lara hat sich gerade gegen das Coronavirus impfen lassen. „Weil mich mein Papa gezwungen hat“, schildert sie. Die Angst vor Nadeln ist groß und die vor Corona zu gering; darum wollte sie auf den Stich verzichten. Der Vater setzte sie emotional unter Druck. Und die väterliche Autorität setzte sich schließlich durch.

In Sachen Überzeugungsarbeit ist für Psychologen Bugram eines klar: Informieren – ja. Sozialen Druck aufbauen – auf keinen Fall. „Kinder und Jugendliche sind nicht schuld daran, dass es Corona gibt. Ich glaube, vor allem jetzt am Schulbeginn ist es wichtig, den Kindern kein schlechtes Gewissen einzureden“, so Bugram. Das wäre nämlich kontraproduktiv für das Kindeswohl und die Impfbereitschaft.

„Das ist ein Punkt, auf den ich mich gar nicht freue, was das Thema Schule angeht“, seufzt Hannah. Schon vor den Sommerferien war es unangenehm, keine Impfung zu haben. „Und jedes Mal erklären zu müssen: Das ist nicht meine Einstellung, sondern die meiner Mama.“ Hannah kennt die Blicke, kennt den Druck. „Die Leute stempeln dich als Egoistin ab.“ Dabei ist der Grund, aus dem sie sich impfen lassen möchte, Solidarität zu Älteren und Kranken. Angst vor Corona hatte sie keine. Bekommen hat sie es vergangenen Monat dann trotzdem. Der Gedanke, jemanden anzustecken, der dadurch in große Schwierigkeiten kommen könnte, macht ihr Angst. Darum lautet Hannahs Plan auch weiterhin: impfen lassen. Vier Wochen nach ihrer Infektion ist das möglich. Zumindest theoretisch. Und am besten ohne, dass ihre Mutter davon erfährt.