Grüße aus Virol
Guten Morgen!
Den Landesvertretern Tirols reicht es jetzt, aber endgültig und überhaupscht. Schon wieder wird das heilige Land ungerecht behandelt. Schon wieder spricht ganz Europa über das Infektionsgeschehen im bergigen Westösterreich. Und schon wieder rufen Virologen zu einer Abriegelung des Bundeslandes auf. Grund für die skandalöse Forderung ist die Ausbreitung der südafrikanischen Variante des Coronavirus in Tirol, die nicht nur deutlich ansteckender ist, sondern bei der auch die Impfungen sehr viel weniger wirken könnten.
Wie im Mittelalter werde aus Tirol eine „Lepra-Insel“ gemacht, klagte Arbeiterkammer-Chef Erwin Zangerl am Samstag. Und Wirtschaftskammerpräsident Christoph Walser drohte gar: Sollte „nur ansatzweise irgendetwas aus dem Gesundheitsministerium kommen“, so der mutige Advokat offener Binnengrenzen, „dann werden sie uns richtig kennenlernen“.
Das ganze Wochenende lang habe ich überlegt, welche Art von Vergeltung damit gemeint sein könnte. Planen die Tiroler etwa, ihre Lepra-Kranken Richtung Hauptstadt zu schicken? Wollen sie ein lebenslanges Schiverbot für Wiener? Oder spielen sie gar mit dem Gedanken, sich Italien anzuschließen und Österreich für immer den Rücken zu kehren? Man weiß es nicht. Sicher ist: Die Tiroler Entscheidungsträger denken weniger an die kommenden Monate als an die nächsten Tage – und wollen die Interessen der Wirtschaft um jeden Preis durchboxen.
Kommt Ihnen das bekannt vor? Erinnern Sie sich an den März vergangenen Jahres. Ischgl wurde damals zum Corona-Hotspot; weltweit lassen sich mehr als 11.000 Fälle auf den Tiroler Schiort zurückführen. Doch die Landesbehörden behaupteten eisern – und, wie Jakob Winter und Thomas Hoisl im aktuellen profil belegen, wider besseren Wissens –, dass sich die isländischen Schitouristen, die nach ihrer Heimkehr erkrankten, im Flugzeug angesteckt hatten. Eine Medizinerin der Landessanitätsdirektion ließ sich von der Medienabteilung des Landes sogar mit der aus epidemiologischer Sicht haarsträubenden Aussage zitieren, dass eine Ansteckung in einer Bar (Sie erinnern sich an das „Kitzloch“?) „aus medizinischer Sicht unwahrscheinlich“ sei.
Für diese Desinformation hat sich übrigens bis heute niemand entschuldigt. Und gelernt hat man schon gar nichts aus den Fehlern vom Frühling, im Gegenteil. Die Geschichte droht, sich zu wiederholen.
Das liegt auch am – um es freundlich auszudrücken – außerordentlichen Selbstbewusstsein der Tiroler Landesvertreter. Gerüchteweise waren es Tiroler Hoteliers, die die Corona-Mutante aus dem Golfurlaub von Südafrika einschleppten. Weil auch Michael Ludwig das behauptet hatte, riet Walser dem Wiener Bürgermeister, sich besser nicht einzumischen, denn: „Ich habe auch keine Ahnung, was in Ottakring los ist.“ Die Ausbreitung der südafrikanischen Mutante auf Wiener Migranten zu schieben, dürfte den Türkisen allerdings schwerfallen. Das Virus kommt mit den Schifahrern.
In der ZiB2 am Sonntag holte Walser zu einer wahren Desinformationskampagne aus. Es sei völlig übertrieben, das Land wegen lediglich acht Fällen der Südafrika-Variante abschotten zu wollen, so der Tiroler Wirtschaftskammerpräsident. Wie genau er auf die acht Fälle kam, war nicht sofort klar. Walser meinte wohl, dass acht Menschen aktuell erkrankt wären – eine völlig irreführende Zahl. Das Land Tirol hatte zuvor 165 bestätigte Fällen genannt, in Wahrheit dürften es fast doppelt so viele sein: Die Akademie der Wissenschaften sprach am Montag von 293 durch Sequenzierung bestätigte Fälle der Mutante und weiteren 200 Verdachtsfällen. Eigentlich ist die südafrikanische Variante in Tirol viel weiter verbreitet als anderswo.
Anstatt das Bundesland abzuriegeln, um eine Verbreitung der neuen Variante einzudämmen, gibt es nun eine Reihe von Maßnahmen, darunter eine Reisewarnung für Tirol. Ich habe das zuerst für einen Witz gehalten, aber es ist wirklich so: Nicht notwendige Reisen nach Tirol sollten unterlassen werden, hieß es aus Wien. Tiroler, die in ein anderes Bundesland reisen, sollten sich doch bitte vorher testen lassen.
Kurz hat seinen Parteifreunden aus dem Wilden Westen also nachgegeben. Damit ist klar: Wir haben nichts aus der Geschichte mit Ischgl gelernt. Das kann sich in einigen Wochen rächen – und Österreich in den vierten Lockdown treiben.
Ihre
Siobhán Geets
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