Herbstschlussverkauf bei Angst & Bang
Ist Angst ein guter Ratgeber? Man möchte diese doch sehr rhetorisch anmutende Frage ist mit einem leise dahingeknurrten „Wohl nicht“ beantworten, aber angesichts der in Österreich herrschenden, seltsam Angst-affinen Viruskrisenpolitik fragt man sich dann doch irritiert, wie es zu dieser eigentlich kommen konnte. Es scheint jedenfalls starke Kräfte in diesem Land zu geben, die fest an die Produktivkräfte der Angst glauben. Und mit der um sich greifenden Furcht verändert die pandemische Gegenwart auch unser Sprechen: Die Verschiebungen im Diskurs analysiert die renommierte Linguistin Ruth Wodak in einem aktuellen profil-Podcast, in einem Gespräch, das Christa Zöchling mit ihr geführt hat. Mit einer Politik der Angst und Strafe hantiert die Truppe um Bundeskanzler Kurz – und fühlt sich den strengen Gesetzen der Logik dabei nicht immer verpflichtet, wie Wodak scharfzüngig erklärt („In Österreich richtet sich die Pandemie offenbar nach den christlichen Feiertagen.“).
Dazu verabreichen wir, bei Bedarf, ein probates literarisches Ergänzungsmittel: Eine Art heiligen Zorn entfesselt Marlene Streeruwitz, Autorin eines Covid-Romans, im profil-Interview gegen die Verordnungspolitik der Bundesregierung. Kurz sei, so die Schriftstellerin, „ein Automat, dessen Regungen und Bewegungen nicht einschätzbar sind. Wir werden von einem Roboter regiert, auf die restriktivste Weise, die möglich ist.” Der Kanzler geriere sich „als Oberprediger“. Dies sei „nicht nur entsetzlich katholisch“, sondern auch derart „antiwissenschaftlich und intellektfeindlich, dass es einem den Atem raubt“. In Österreich klären einen nicht wissenschaftliche Fachkräfte über den Stand der Dinge auf, sondern – „in dieser Plexiglaskabine, die wie ein durchsichtiger Beichtstuhl wirkt“ – stets nur die Kameraden aus der Politik. „Bei uns wird schon ab Dienstagvormittag getrommelt, dass der junge Kaiser Kurz am Samstagnachmittag Neues in Sachen Virus verlautbaren wird.“ Aber ein paar gute Nachrichten aus dem Bereich Soziales hat Streeruwitz auch auf Lager: „Wir sind doch geradezu grandios gemeinsam. Wir passen aufeinander auf. Das große Gegeneinander wird immer nur von obenher befördert.“
Lassen wir den von der Firma Angst & Bang ausgerufenen Herbstschlussverkauf also kurz beiseite. 50 ist die heutige profil-Glückszahl, einfach so, als Maßnahme gegen die Lockdown-Tristesse – wobei man von Glück natürlich nicht sprechen kann, wenn einer der geschätzten Kollegen das Weite sucht: Außenpolitik-Auskenner Martin Staudinger wird ab 2021 beim „Falter“ arbeiten, aber für eine letzte und eben genau 50. Folge des „Super-Tuesday“-Podcasts, den er miterfunden und -betreut hat, nahm er sich noch die Zeit. Ab heute zu hören auf www.profil.at, inklusive Verabschiedungssentimentalitäten, wie sich das gehört.
Nicht 50 Episoden, sondern gleich 50 Jahre hat der sonntägliche „Tatort“ inzwischen auf dem Buckel. Angst jagt er seiner Millionen-Klientel wohl allenfalls in Spurenelementen ein, als wohliger Schauer einer Traditionsveranstaltung, eines altmodischen TV-Rituals mit städtetouristischer Schlagseite. „Tatort“-Aficionada Angelika Hager hat in Zusammenarbeit mit Sebastian Hofer ein Quiz hergestellt, das Ihre Kompetenz testet: Was wissen Sie von dieser Fernsehkrimireihe, deren patinierter Augen-im-Visier-Vorspann jeden Sonntag eine nächtliche Flucht (wovor?) über nassen Asphalt in den Raum stellt? Angesichts der zehn Multiple-Choice-Fragen hat Ihr (zugegeben ein wenig „Tatort“-ignoranter) Chronist in einem Selbstversuch allerdings stark versagt: nur drei von zehn Möglichkeiten zu einem „Richtig!“ genützt, und sogar die Schamhaarfrage versemmelt. Der Tag beginnt mit einer persönlichen Niederlage. In ein paar Jahren werde ich darüber lachen können.
Einen wunderschönen Dienstag wünscht Ihnen die profil-Redaktion!
Stefan Grissemann