ORF-SOMMERGESPRÄCH: KURZ / LORENZ-DITTLBACHER
profil-Morgenpost

Corona-Pläne: Der Kanzler als Prophet

Sebastian Kurz wusste schon vor seinem ORF-Sommergespräch, was er gesagt haben würde. Das scheint bemerkenswert. Aber behält er auch mit seinen längerfristigen Prognosen Recht?

Drucken

Schriftgröße

Eigentlich hätte es ein Interview ja so an sich, dass eine Person Fragen stellt und die andere darauf antwortet. Für den Interviewten – oft genug ein Politiker oder eine Politikerin – birgt diese althergebrachte Praxis naturgemäß einiges Unsicherheitspotenzial: Es könnten ja Fragen sein, die nicht so angenehm zu beantworten sind. Vielleicht geht das Ganze in eine ungewollte Richtung. Und dann machen sich gleich danach auch noch Heerscharen von Analytikern über das Gesagte her und geben ein gutes Stückweit die Richtung vor, wie das Interview inhaltlich gewichtet und politisch eingeordnet wird.

Echte Kommunikationsprofis – und von denen gibt es zum Beispiel im Bundeskanzleramt einige – haben heutzutage offenbar kein Interesse mehr daran, sich derartigen Unwägbarkeiten auszuliefern. Bereits Stunden vor dem ORF-Sommergespräch von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am vergangenen Montagabend verschickten sie die zentralen Aussagen des Regierungschefs an einige Medien. ZiB2-Anchorman Armin Wolf machte die Unterlage auf Twitter öffentlich.

Man merkt die Absicht: Der Corona-Pläne des Kanzlers sollten von vornherein als zentrales Thema gesetzt werden – egal, was im Sommergespräch noch so gefragt werden würde. So merkwürdig das Vorgehen scheint, im Zeitalter der „Message Control“ ist es nur der nächste logische Schritt, Inhalte eines Interviews, das noch gar nicht geführt ist, zu verbreiten – freilich nur jene Inhalte, die man selbst ins Zentrum rücken möchte.

Nicht das beste Händchen

Der Kanzler und sein Umfeld können also, was die Wahrnehmung eines Fernsehinterviews betrifft, einige Stunden in die Zukunft blicken. Das scheint bemerkenswert. Noch wichtiger ist allerdings, ob der Regierungschef auch mit seinen längerfristigen inhaltlichen Prognosen Recht behält. Kurz schloss im Sommergespräch zum Beispiel einen weiteren allgemeinen Corona-Lockdown aus. Bisher hatte der Kanzler in der Pandemie mit seinen Prophezeiungen nicht immer das beste Händchen. Bleibt zu hoffen, dass die nunmehrige Vorhersage auch nach der Landtagswahl in Oberösterreich am 26. September noch Bestand haben wird.

In Oberösterreich regiert ÖVP-Landeshauptmann Thomas Stelzer bisher gemeinsam mit der FPÖ. Sebastian Kurz hat das seit geraumer Zeit hinter sich. Dass die einstige türkis-blaue Bundesregierung von Kurz und Heinz-Christian Strache Mitte 2019 ein jähes Ende fand, hatte bekanntermaßen mit einer Videofalle auf der Ferieninsel Ibiza zu tun.

Ibiza-Video: Prozess und Premiere

Heute startet in St. Pölten das Gerichtsverfahren gegen jenen Detektiv, der maßgeblich an der Erstellung des Ibiza-Videos mitgewirkt hat. Ihm werden in erster Linie mutmaßliche Drogendelikte zur Last gelegt – er hat jegliches Fehlverhalten immer bestritten. Nicht zu einer Anklage geführt hat hingegen der ursprüngliche, besonders schwerwiegende Vorwurf der versuchten Erpressung Straches, obwohl gerade auf dieser Basis die Behörden intensive Fahndungsmaßnahmen gesetzt hatten. Nicht zuletzt erreichten die Ermittler auf diese Weise die Festnahme des Detektivs in Deutschland und dessen Auslieferung nach Österreich. Vor dem Prozess zeigten sich Menschenrechtsorganisationen besorgt über eine „ausufernde Strafverfolgung“. Sie orten ein problematisches Signal: Whistleblower könnten durch das Beispiel abgeschreckt werden.

Das Ibiza-Video spielt eine zentrale Rolle im Film „Hinter den Schlagzeilen“, der hautnah die Arbeit der Investigativjournalisten der „Süddeutschen Zeitung“ dokumentiert und nun auch in Österreich präsentiert wird. Die Premiere findet morgen, Donnerstag 9. September 2021, um 20.15 Uhr im Filmcasino in Wien statt – profil ist Kooperationspartner der Veranstaltung. Die Doku zeigt, dass Investigativjournalismus endgültig im 21. Jahrhundert angekommen ist – mit neuen Methoden, neuen Journalisten-Typen und neuen Bedrohungen.

Gönnen Sie sich dieses spannende Filmerlebnis!

Stefan Melichar

PS: Hat Ihnen die Morgenpost gefallen? Dann melden Sie sich jetzt an, um Ihren Werktag mit aktuellen Themen und Hintergründen aus der profil-Redaktion zu starten:

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.