Ist das schon die zweite Welle?
Es ist nun mal so: Nicht nur im Leben und der Liebe, auch im schnöden Alltag muss man Prioritäten setzen – besonders in Post-Krisenzeiten. Jetzt will man natürlich wieder zurück in die alte Normalität, auch wenn man sich nicht ganz sicher ist, ob das Leben, an das man sich so gewöhnt hat, womöglich nie wieder so sein wird, wie es ohnehin nie war.
Das aktuelle Paradoxon sagt: Während in Österreich erstmals seit April wieder mehr als 100 Corona-Fälle in 24 Stunden registriert wurden (Gesundheitsminister Anschober twittert mit kleinen Sorgenfalten), in Linz und Wels erneut Schulen und Kindergärten geschlossen werden, traten im ganzen Land weitere Lockerungen in Kraft. Seit 1. Juli sind wieder alle Kontakt- und Teamsportarten wie Fußball und Basketball, aber auch Judo erlaubt. Auch die Maskenpflicht für Kellner ist gefallen. Vom Abstandhalten in den Lokalen und den Schanigärten, das ergab die eigene Feldforschung, kann keine Rede mehr sein.
Und man selbst? Geht wieder sorglos in die öffentlichen Freibäder (um der Hitze des Heimbüros zu entfliehen), stellt sich halbnackt an halbnackt um Eis und Pommes frites an, wagt sich ins Kino (um sich den neuen Petzold mit Paula Beer und Franz Rogowski anzuschauen), sitzt stundenlang (mit Mund-Nasen-Schutz!) im Zug, um einer privaten Geburtstagfeier beizuwohnen, geht für die gute Sache auf die Straße (#blacklivesmatter) und trifft sich mit den lieben Kolleginnen und Kollegen immer öfter wieder im Großraumbüro.
Es ist in diesem Sommer 2020 durchaus schwierig geworden, das Richtige zu tun, wie Kollegin Rosemarie Schwaiger kürzlich so treffend (profil 25/2020) schrieb: „Im Lockdown wussten wenigstens alle, was von ihnen erwartet wurde; als oberste Bürgerpflicht galt das Daheimbleiben. Jetzt sollen wir den Sommer genießen, dabei aber möglichst vorsichtig sein, nach Kräften konsumieren und trotzdem keine Sekunde das Virus vergessen.“
Ist das jetzt schon die zweite Corona-Welle oder nur ein Wellchen – oder, wie aktuell von der Politik kommuniziert wird, eben nur eine regional Cluster-Bildung? Wissenschafts-Kollege Alwin Schönberger spricht in der kommenden profil-Ausgabe, die ab Samstag erhältlich ist, mit dem Wiener Virologen Norbert Nowotny über all diese Fragen, die wir uns die nächsten Monate und Jahre stellen werden müssen. Von mir schon mal eine dringende Kaufempfehlung!
Alles wird gut.
Philip Dulle