CumEx Files 2.0

Cum-Ex: Don‘t do it yourself

Wie funktionieren die Aktiendeals, mit denen die Finanzbehörden in zahlreichen Ländern abgezockt wurden? Ein kurzer Leitfaden – aber machen Sie das bitte nicht zuhause!

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1. Die Lage checken:

Überprüfen Sie, ob in Ihrem Zielland die Kapitalertragsteuer auf Dividendenzahlungen direkt an die Finanz abgeführt wird und ob ausländische Investoren prinzipiell einen Antrag auf Rückerstattung dieser Steuer stellen können. Falls ja, können Sie weitermachen. Erkundigen Sie sich auch, ob Antragsteller viele Nachweise bei der Finanz vorlegen müssen.

Merksatz: je weniger, desto besser. (Tatsächlich werden Sie feststellen, dass Sie in vielen Ländern um ein paar Jahre zu spät dran sind. Dort wurden aus den Verlusten früherer Jahre Konsequenzen gezogen. Aus didaktischen Gründen orientieren wir uns hier jedoch an der Ist-Situation des Jahres 2010.) Überlegen Sie in der Folge auch, welches Doppelbesteuerungsabkommen besonders hohe Erstattungen aus dem Zielland erlaubt. Über eine Briefkastenfirma in diesem Staat ziehen Sie den Aktienhandel dann auf.

2. Zeitplan erstellen:

Als Cum-Ex-Trader müssen Sie in der heißen Phase sehr viel gleichzeitig erledigen. Das Gute ist: Sie wissen genau, wann es passiert. Stichtage sind die Hauptversammlungen großer börsenotierter Unternehmen, auf denen der jeweilige Dividendenbeschluss erfolgt. Machen Sie es wie die Profis, machen Sie sich ein Excel-Sheet: Sie tragen die Unternehmen ein, mit deren Aktien sie den Cum-Ex-Handel aufziehen wollen. Sie legen auch schon jetzt fest, wie groß die Aktienpakete sein sollen, die Sie im Kreis schicken werden.

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Auf diese Weise planen Sie gleich die gesamte „Saison“ durch. (Nein, der Begriff ist nicht von der Redaktion erfunden. Prägen Sie sich ihn ein. Wer dazugehören will, muss auch die richtige Sprache sprechen. Das eröffnet völlig unbeschwert Kontakte und Chancen.) Das Schöne an Excel: Im nächsten Jahr verwenden Sie dasselbe Sheet wieder und passen einfach nur ein paar Daten und Werte an.

3. Geld einsammeln:

Sie brauchen einen dreistelligen Millionenbetrag als Grundkapital. Das ist nicht so schwierig, wie Sie sich das vorstellen. Sie finden sicher problemlos wohlhabende Investoren, die gerne innerhalb von ein paar Monaten 10 bis 15 Prozent Rendite erhalten und trotzdem glauben, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Das Investorengeld ist jedoch nur der Anfang. Es dient als Sicherheit gegenüber einer internationalen Großbank. Von der kommt per Kredit das echte Spielkapital. Bleiben wir nahe an der Realität, sagen wir: zwei Milliarden Euro. Schließlich kriegen Sie ja nur den Steueranteil der Dividende herein – zum Beispiel 25 Prozent. Pro Aktie sind das Peanuts. Sie brauchen ein ordentliches Volumen. (Falls Sie einen besonders guten Freund an der richtigen Stelle in einer Großbank sitzen haben, können Sie ihn vielleicht dazu überreden, kleine Aktienpakete innerhalb eines Tages zehn Mal ohne echte Zahlung durch sein Handelsbuch rotieren zu lassen. Der Finanz erzählen Sie dann, das wären verschiedene Aktien gewesen. Damit sparen Sie sich den lästigen Zirkus mit dem Milliardenkredit. In der Branche nennt sich das „Looping“. Es ist aber nur etwas für die besonders Verwegene. Am Ende des Tages wird der Staatsanwalt Ihnen das übel nehmen.)

4. Absprachen treffen:

Jetzt kommt der heikle Teil, von dem niemand etwas wissen darf. Sie müssen vorher fixieren, von wem Sie die Aktien bekommen, die Sie im Kreis schicken wollen. Rechtlich gesehen dürfen Sie den Verkäufer – der die Aktien übrigens selbst noch gar nicht besitzt – nicht kennen. Technisch gesehen entsteht der Gewinn aber bei ihm, weshalb Sie ihn kennen müssen, um dann die Kohle zu verteilen. Sie müssen geschickt agieren. Wenn Sie das zu plump angehen, fällt es auf. Ja nicht direkt in ein Geschäft eintreten. Ihr geheimer Partner muss ein Aktienpaket in der richtigen Größe und mit dem richtigen Preis auf einer völlig unbeteiligten Handelsplattform anbieten – und zwar zur selben Zeit, zu der Sie dort genau ein solches Aktienpaket suchen. Wie von Zauberhand werden Sie zueinanderfinden. Aber bitte: Nur kein Schriftl! Obwohl es um viele Millionen Euro geht, arbeiten Sie auf Handschlagbasis. „Soft commitment“ nennen die Profis das. Mehr ist auch gar nicht nötig: Wer das Vertrauen missbraucht, fliegt aus dem Markt. Und das riskiert keiner.

5. Kaufen, kaufen!

Im entscheidenden Moment wird es dann doch einigermaßen komplex: Sie kaufen die Aktien vor dem Dividendenbeschluss, in der Fachsprache: „cum Dividende“, also mit Dividendenanspruch. Geliefert werden sie aber erst später: „ex Dividende“, also ohne Dividendenanspruch. Die Anteilsscheine sind dann weniger wert. Der Verkäufer (mit dem Sie sich geheim abgesprochen haben) legt deshalb zu den Aktien eine Ausgleichszahlung dazu, die – und das ist der springende Punkt – gleich aussieht wie die echte Dividende, von der bereits die Kapitalertragsteuer abgezogen wurde. Der Verkäufer hat aber selber diese Dividende gar nie erhalten. Er hat sich die Aktien selbst erst nach dem Dividendenstichtag („ex Dividende“) organisiert und gibt Ihnen lediglich einen Teil Ihres Kaufpreises wieder zurück. Folglich wurde auch die Steuer nie abgeführt. Der Anteil, der der Steuer entsprechen würde, bleibt beim Verkäufer. Sie wiederum holen sich auf Basis der Ausgleichszahlung die Steuer, die nie abführt wurde, von der Finanz zurück, wodurch dieser Betrag ein zweites Mal in Ihre ausgefeilte Handelsstruktur fließt. Dann müssen Sie nur noch dafür sorgen, dass die Aktien zu ihrem ursprünglichen Besitzer zurück wandern und die Beute verteilt wird.

6. Opinion-Shopping

Natürlich gehen Sie fest davon aus, dass alles mit rechten Dingen zugeht, und der Gesetzgeber – aus welchen Gründen auch immer – einfach eine Lücke im Steuersystem offengelassen hat. Spätestens wenn die Finanz bei den Rückzahlungen aufmuckt, sollten Sie aber schauen, dass Sie ein, zwei Fachgutachten von renommierten Wirtschaftskanzleien in der Hand halten, die Ihre Ansicht stützen. (Old-School wäre es, ein solches Gutachten schon vorab einzuholen. Aber manchmal bleibt dafür keine Zeit. Die Saison ist schließlich eng durchgetaktet und am Markt herrscht viel Gedränge.) Um unliebsame Überraschungen zu vermeiden, sollten Sie gut darauf achten, welche Parameter Sie den Gutachtern vorgeben. Zum Beispiel das mit den abgesprochenen Leerverkäufen (so heißt das, wenn der Verkäufer Ihnen Aktien verkauft, die er selbst noch gar nicht hat) muss so ein Experte ja vielleicht gar nicht wissen. Es würde ihn unnötig irritieren.

7. Hören Sie rechtzeitig auf

Sie haben innerhalb von ein paar Wochen einen zweistelligen Millionenbetrag eingesackt. Alles lief problemlos, niemand hat Verdacht geschöpft. Hören Sie jetzt auf und setzen Sie sich zur Ruhe! Genau das werden Sie aber nicht tun. Sie haben Lunte gerochen. Es war so easy. Und eigentlich reicht Ihnen nicht ein Privatjet, Sie brauchen noch einen zweiten. Deshalb kramen Sie auch in der nächsten Saison ihr Excel-Sheet hervor und in der übernächsten wieder. Da aber selbst die schläfrigsten Behörden irgendwann einmal munter werden, führt Ihre ungebremste Gier unweigerlich zu Punkt 8.

8. Packen Sie für‘s Gefängnis

Erkundigen Sie sich bei einem Strafverteidiger Ihres Vertrauens, wie man am besten damit umgeht, wenn um sechs Uhr in der Früh die Polizei vor der Tür steht. Vielleicht packen Sie auch schon vorab für die Untersuchungshaft, damit es dann nicht zu stressig wird. Ein kleines Täschchen reicht: frische Unterwäsche, Zahnputzzeug – vielleicht ein bisschen Lesestoff, wobei Sie die nächsten Jahre ohnehin nur noch mit Ermittlungsakten zubringen werden. Wenn Sie schnell sind, können Sie sich vielleicht als Kronzeuge anbieten und steigen mit ein paar Wochen Fernsehverbot (aber ohne Ihr ergaunertes Geld) aus der Affäre aus. Wenn Sie Pech haben, war einer Ihrer ehemals ach so guten Geschäftspartner schneller. Dann verbringen Sie die nächsten paar Saisonen hinter schwedischen Gardinen.

(Falls Sie besonders aufgeweckt sind und meinen, das alles ließe sich mit einer rechtzeitigen Übersiedlung nach Dubai vermeiden: Stimmt, vielleicht werden Sie von dort nicht ausgeliefert. Reisen können Sie aber auch nicht mehr. Wirtschaftlich sind Sie erledigt. Da nützen Ihnen dann auch zwei Privatjets nichts mehr. Die müssen Sie aber ohnehin verkaufen, um Ihre Anwaltskosten zu decken.)

Recherche: Stefan Melichar, Produktion: Lena Leibetseder

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).