Daham beim Islam: FPÖ umgarnt türkischen Moscheeverein
Volkstänze, Reden auf Türkisch, Frauen mit Kopftüchern und das in Wien – es ist nicht lange her, da hätte die FPÖ das Fastenbrechen, das der Moscheevereins Atib am gestrigen Abend in der Wiener Gudrunstraße ausrichtete, noch als „Parallelgesellschaft“ abqualifiziert.
Die Zeiten ändern sich. Denn mittendrin im Festsaal war auch ein Mann, den bei so einem Event niemand erwartet hätte: Leo Lugner, FPÖ-Bezirksparteichef von Wien-Mariahilf und Referent im Landtagsklub der Blauen. War das ein Vorwahlkampftermin, um Stimmen der großen türkischstämmigen Community in Wien zu sammeln?
Lugner ist ein geübter Networker – seinen klingenden Namen nahm der geborene Kohlbauer von seiner Frau an, der Tochter des im Vorjahr verstorbenen Wiener Baumeisters Richard Lugner. Auf seinen Social Media-Profilen inszeniert sich Schwiegersohn Leo als neuer Zampano des Einkaufstempels Lugner City. Zuletzt suchte er am Wiener Opernball das Scheinwerferlicht.
FPÖ und Atib: Plötzlich Freunde?
Obwohl Lugner kaum eine Möglichkeit zur digitalen Selbstinszenierung auslässt, hat er ausgerechnet zu seinem Besuch bei Atib rein gar nichts gepostet. Das ist auch kaum verwunderlich, schließlich markiert der Annäherungsversuch des Freiheitlichen bei den traditionellen türkischen Verbänden eine Zäsur. 2018 wetterte Wiens heutiger FPÖ-Chef Dominik Nepp im Gemeinderat offen gegen Atib, den er als „radikalen islamischen Verein“ bezeichnete, der „in unserer Gesellschaft keinen Platz“ hätte.
Im Nationalratswahlkampf 2024 forderte Bundesparteichef Herbert Kickl ein Verbot von muslimischen Vereinigungen wie Atib, der Islamismus propagieren würde.
Der Türöffner
Ein paar Monate später, am gestrigen Abend, sitzt ein Freiheitlicher am Tisch der Ehrengäste eines Atib-Events – dem größten Moscheeverband Österreichs, der mehrere zehntausend Mitglieder zählt. Als Türöffner zur türkischen Diaspora in Wien dürfte laut profil-Infos K. gedient haben, ein umtriebiger junger Wiener Gastronom mit türkischen Wurzeln, der zwei Restaurants im gehobenen Preissegment führt. Auf Instagram ist K. mit Leo Lugner und Wiens FPÖ-Chef Dominik Nepp vernetzt. Mehrere Fotos zeigen K. bei der Atib-Veranstaltung gemeinsam mit Lugner.
In Sichtweite von Lugner saß am Tisch der Ehrengäste auch Botschafter Gürsel Dönmez. Der hielt seine Festrede auf Türkisch und auf Deutsch.
Lugner traf bei Atib auch mit Mahmut Koç zusammen, dem obersten Vertreter der Union Internationaler Demokraten (UID), einer Lobby-Organisation der türkischen Regierungspartei AKP.
Lugner: Besuch bei Atib war geschäftlich
Zu seinem Besuch bei Atib beteuert Lugner gegenüber profil: „Ich war dort in Vertretung der Lugner-City, weil die bei uns eine Veranstaltung machen wollen.“ Auf Nachfrage ergänzt er: „Natürlich ist man parallel immer Politiker.“
Haben die Freiheitlichen ihre Haltung zu muslimischen Vereinen also überdacht? Lugner: „Wir Freiheitliche haben immer gesagt, dass wir offen für jeden sind, der uns wählen möchte. Auch für Menschen mit türkischen Migrationshintergrund. Das sind Leute, die einen Beitrag leisten, die Unternehmer sind. Und von denen kommt auch die Kritik an der ungeregelten Zuwanderung.“
Ganz so offen waren die Freiheitlichen freilich nicht immer. Ressentiments gegenüber türkischstämmigen Zuwanderern haben bei der Partei eine lange Tradition. Laut einem Lokalmedienbericht soll sich Dominik Nepp als Jugendfunktionär beim RFJ gegen die Aufnahme einer türkischstämmigen Frau aus Floridsdorf ausgesprochen haben, obwohl sie laut ihren Fürsprechern „perfekt Deutsch“ spreche und „assimiliert“ sei. Nepp und die anderen Gegner des Beitritts wollten damals dem „Wunsch der österreichischen Jugendlichen, unter sich zu bleiben“, entsprechen.
Heute dürfte Nepp eine andere Haltung haben. Er selbst traf erst im Oktober mit dem inzwischen abberufenen türkischen Botschafter in Wien zusammen – und kommentierte das Treffen danach öffentlich als „hochinteressanten Gedankenaustausch“.
Strategie vor Wien-Wahl?
Hinter den blauen Annäherungsversuchen Richtung türkischer Diaspora könnte eine Strategie im Vorfeld der Wien-Wahl Ende April stecken. Die FPÖ eilt zwar von Wahlerfolg zu Wahlerfolg, hat aber ein Problem in den großen Städten. Die Wahlberechtigten sind tendenziell jünger, gebildeter und haben häufiger Migrationshintergrund. Insbesondere Österreicher mit türkischer Migrationsgeschichte stimmten laut einer Berechnung des Instituts OGM aus dem Jahr 2020 überdurchschnittlich für die Sozialdemokraten und unterdurchschnittlich für die FPÖ. Bei serbisch-stämmigen Wahlberechtigen hat die FPÖ einen besseren Stand, um diese Zielgruppe bemühen sich die Blauen seit vielen Jahren gezielt. Gut möglich, dass sich die Blauen Chancen ausrechnen, nun auch bei türkischstämmigen Wählern mit traditionalistischen Einstellungen zu punkten.
Vom Fastenbrechen zum Akademikerball
Dass das für die FPÖ ein abenteuerlicher Drahtseilakt zwischen ihren Zielgruppen werden könnte, zeigt nicht zuletzt der Terminkalender von Leo Lugner: Von den türkischen Nationalisten ging es für ihn weiter zu den Deutschnationalen; zum Wiener Akademikerball in der Hofburg, bei dem auch der Rechtsextremist Martin Sellner war.
Dort trat Lugner weniger verschämt auf als zuvor – und teilte ein paar Fotos in seiner Instagram-Story. So wie man es von ihm gewohnt ist.