profil-Journalistin Christa Zöchling
Concordia-Preis

Dankesrede von Christa Zöchling: Kann ich etwas tun?

Die Dankesrede von Christa Zöchling zur Verleihung des Concordia-Preises.

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Werte Festgäste, werte Jury, liebe Freunde und Freundinnen, liebe Melita Šunjić. 

Als im August 2021 auf profil online die erste Geschichte über eine Richterin erschien, eine Richterin am Verfassungsgericht in Kabul, die sich mit ihren Schwestern, ihrer gebrechlichen Mutter und ihrem halb blinden Bruder in einem Keller versteckt hielt, in Todesangst, hatte ich kaum eine Stunde später ein SMS von Ihnen am Handy: Kann ich etwas tun? Und es waren viele, die fragten: Kann ich etwas tun? Einige von Ihnen sitzen heute hier im Saal. Der Richterin und ihrer Familie gelang die Flucht, und die Geschichte der Rettung erschien als profil-Cover. 

Ich war lang mit mir uneins, ob eine solche Geschichte nicht journalistischer Aktivismus ist, zu wenig Journalismus, zu viel Engagement, ob man so etwas für einen Journalismuspreis einreichen könnte? Wäre das nicht ein zu billiger Triumph? 

Heute freu ich mich über den Preis und seh’ die Geschichte als ein Stück Aufklärung, und das führt mich zu der viel größeren Frage, wie wir den Satz: „Alle Menschen sind an Würde und Rechten gleich geboren“ in unserer Gesellschaft leben, wie wir diese Haltung in unseren Alltag integrieren, wie unsere politischen Vertreter damit umgehen. 

Die Idee der Gleichheit der Menschen an Würde und Rechten geht zurück auf die Französische Revolution. Das ist mehr als 200 Jahre her, und wir tun uns immer noch schwer mit der Ambivalenz der Aufklärung. Machen wir uns nichts vor: Menschenrechte sind universal oder sie sind nicht. 

Hannah Arendt, die leidenschaftliche Gegnerin jedes Totalitarismus, hat nach 1945 bittere Worte gefunden für die Heuchelei bei der Rede von den Menschenrechten. Sie ahnte, dass aus den nie eingehaltenen Idealen der Aufklärung das rechte Denken seine Kraft beziehen wird, eben dadurch, dass die Universalität der Menschenrechte zwar dekretiert, aber nicht verwirklicht wurde. 
Hannah Arendt, die Deutschland im Jahr 1933 verlassen musste, war angesichts des Grauens der Nazi-Herrschaft skeptisch, was den Menschen betrifft: „Je besser die Völker einander kennenlernen, desto mehr scheuen sie begreiflicherweise vor der Idee der Menschheit zurück, weil sie spüren, dass in der Idee der Menschheit, gleich ob sie in religiöser oder humanistischer oder schwärmerisch kosmopolitischer Form auftritt, eine Verpflichtung zu einer Gesamtverantwortung entsteht, die sie nicht zu übernehmen wünschen.“

So schaut’s aus, hätte jetzt Willi Resetarits gesagt, der uns schmerzlich fehlen wird. Vor allem wird er Menschen wie Palwasha fehlen. 

Die Richterin und ihre Familie wurden gerettet. Nach vielerlei vergeblichen Bemühungen hat sie in Luxemburg Asyl bekommen, weil dort Jean Asselborn amtiert, ein Außenminister, der nicht nachrechnet – wie viele Asylwerber haben wir schon aus Afghanistan? –, wenn Frauen in Todesangst wochenlang in einem Keller sitzen.

Die Richterin ist jetzt in Sicherheit. Allein das reicht nicht zum Lebensglück. Alles, was sie gelernt hat, worin sie sich bewährt hat, was sie sich aufgebaut hat in ihrem Leben, gilt nichts mehr. Für solche Menschen wie Palwasha hat Willi Resetarits einst das Wiener Integrationshaus gegründet und uns klargemacht: Das Humane ist ein Anspruch, eine Anstrengung, eine zivilisatorische Leistung. Immer wieder von Neuem.

Umso mehr in einem Krieg, wie wir ihn in europäischer Nachbarschaft in der Ukraine erleben. Ein Land wurde überfallen. Da zählt jede helfende Hand, jede Geste der Freundlichkeit. Ich denke mir, Wolodymyr Selenskyj hätte über eine Videoschaltung doch hier reden sollen, im österreichischen Parlament. 

Ich danke allen, die bei der Rettung geholfen haben. Mirwais Wakil, Maryam Fraidoon, die Präsidentin der europäischen Vereinigung der Verwaltungsrichter, die überhaupt ausschlaggebend war, dass Jean Asselborn davon erfuhr. Ich danke Alice Schwarzer, Joachim Lottmann, Christian Kern, Heinz Fischer, Leopold Specht, Alfred Gusenbauer. Palwasha wird stolz sein auf diese Auszeichnung. Ich bin es auch.