Innenminister Gerald Karner muss die Rechtslage respektieren und den Familiennachzug exekutieren – zusammen mit den Botschaften unter ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg. Mit Susanne Raab stellt die Volkspartei die Familien-, Integrations- und Frauenministerin. Raab will „kulturfremde“ Zuwanderer in eine „Leitkultur“ integrieren. Das ginge bei Schulkindern viel leichter als bei Erwachsenen. Frauen gelobte Raab in der Vergangenheit aus islamisch-patriarchalen Strukturen rauszuholen. Emanzipierte Frauen und westlich geprägte Kinder statt arabischer Parallelgesellschaften: Warum ist das gerade jetzt nicht ihr Leitthema?
Magnet Wien
Weil im September Nationalratswahl ist. Deswegen ließ Raab ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker den Vortritt. Er kündigte ein de facto Ende des Familiennachzugs für Flüchtlinge an, die noch Sozialhilfe beziehen. Eine harte Ansage. Davor müssten alle EU-Länder jedoch die EU-Richtline über den Familiennachzug ändern - was auf absehbare unrealistisch ist. Deswegen ist die Forderung des ÖVP-Generals als Beitrag zum Wahlkampf zu werten, aber nicht zur besseren Integration von Kindern und Frauen in der nächsten Zeit.
Auch Raab läutete lieber die nächste Runde des alten Matches ÖVP gegen rotes Wien ein. Dorthin zieht es den Großteil der syrischen Zuwanderer. Für die ÖVP ist die Stadt selbst schuld an den wachsenden Integrationsproblemen, weil sie Flüchtlinge durch höhere Sozialleistungen anlocke. Die Strategie dahinter: Die ÖVP will durch Härte vermeiden, dass bis zur Wahl im September noch mehr Wähler zur FPÖ abwandern. Doch sie kann Asyl und Zuwanderung nicht so einfach nach Wien abschieben. Bei der Ankunft Zigtausender Syrer in Österreich 2015 war die heutige Landeshauptfrau von Niederösterreich, Johanna Mikl-Leitner, Innenministerin. Als 2020 und 2021 jene Männer kamen, die nun ihre Frauen und Kinder nachholen, hieß der Innenminister Karl Nehammer.
800 Euro Unterschied bei Sozialhilfe
Die meisten Syrer gehen nach Wien, weil dort bereits Landsleute leben. Doch auch Sozialleistungen spielen eine Rolle. Mindestsicherung bekommen Asylberechtigte zwar in ganz Österreich in ähnlicher Höhe. Subsidiär Schutzberechtigte (eine Art „Asyl light“) beziehen sie nur in Wien und Tirol. Im Rest Österreichs ist der Bezug pro Monat bis zu 800 Euro niedriger. Allerdings machen Subsidiär Schutzberechtigte den kleineren Teil der Flüchtlinge aus. Bei monatlich nur 300 Euro drohe ihnen verstärkte Armut oder sie könnten in die Beschaffungskriminalität abrutschen, warnt Sozialstadtrat Peter Hacker.
Vergangene Woche hat AMS-Chef Johannes Kopf im profil eine Debatte über die bessere Verteilung von Flüchtlingen angestoßen, damit nicht alle nach Wien gehen. Denn bei der Arbeitslosigkeit von Flüchtlingen ist die Schieflage mittlerweile extrem. Mindestsicherung soll es nur noch im ersten Bundesland geben. Wer in Tirol Asyl und Mindestsicherung erhielt, bekäme beim Umzug nach Wien kein Geld mehr.
Pragmatischer Kocher schert aus
Hacker (SPÖ) verwehrte sich zu Beginn noch gegen jegliche Einmischung. Nach dem Motto: Wien schafft das. Dann sprach sich aber Bürgermeister Michael Ludwig offensiv für eine Residenzpflicht aus, um Wien zu entlasten. In die Gegenrichtung marschiert das Burgenland unter dem roten Landeshauptmann Hans Peter Doskozil. Es will gar keine Asylwerber mehr aufnehmen – das Gegenteil einer Entlastung Wiens. Beim Familiennachzug brechen alte Gräben in der SPÖ wieder auf.
In der ÖVP blockte Raab den Vorstoß des AMS-Chefs nach Tagen des Schweigens ab. Wien solle zuerst mit den Sozialleistungen runter - was Wien ablehnt. Doch zuvor hatte sich bereits der ÖVP-Minister für Arbeit und Wirtschaft, Martin Kocher, dafür ausgesprochen, das Kopf-Modell „zu diskutieren“. Die ÖVP sieht sich nicht nur als Familien-, sondern auch als Wirtschaftspartei. Und als solches hat sie ein Interesse daran, dass Menschen – egal woher sie kommen – dort leben, wo die Arbeitslosigkeit niedrig und der Arbeitskräftebedarf hoch ist. Und das trifft auf Wien so gar nicht zu.
Der Familiennachzug bleibt im Wahlkampfjahr ein Dilemma für alle Parteien – außer für die FPÖ.