Was sie mit uns vorhatten
Von Gernot Bauer, Iris Bonavida, Nina Brnada, Stefan Melichar, Max Miller, Clemens Neuhold, Eva Sager, Alwin Schönberger, Anna Thalhammer und Kevin Yang
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Es ist das Artefakt eines versuchten Brachialumbaus der Republik: Auf 223 Seiten, grob gegliedert in 13 Kapitel, reiht sich Forderung an Forderung. Diskussionspunkte, die von der FPÖ beziehungsweise der ÖVP seit Jänner in die gemeinsamen Regierungsverhandlungen eingebracht worden sind. Ein buntes Sammelsurium – nicht nur inhaltlich, sondern auch optisch: grüne Textfarbe für Passagen, welche man bereits außer Streit gestellt hatte; gelbe für Ideen, bei denen man noch Details klären musste; rote für Punkte, zu denen noch ein grundsätzlicher Dissens vorlag.
Dass dieses Verhandler-Papier überhaupt in Umlauf geraten ist, mag für sich schon als Zeichen gedeutet werden, dass es zuletzt in den blau-schwarzen Koalitionsgesprächen überhaupt nicht mehr rund gelaufen ist. Das geleakte Protokoll spiegelt den Verhandlungsstand von Anfang Februar wider. Es kann wohl schon jetzt als zeitgeschichtliches Dokument angesehen werden. Zeigt es doch deutlich, in welche Richtung Österreich unter der ersten FPÖ-geführten Regierung gesteuert wäre. Und es lässt erahnen, was insbesondere die Blauen planen würden, wenn sie nicht auf einen Koalitionspartner angewiesen wären.
Nur weil die jetzigen Verhandlungen geplatzt sind, heißt das nicht, dass die Ideen und Forderungen für alle Zeiten vom Tisch sind. Was hätte Österreich unter eine Rechts- beziehungsweise Mitte-Rechts-Regierung zu erwarten? Das blau-schwarze Papier gibt die Antwort.
Österreich gegen den Rest der Welt
Wo soll Österreich aus Sicht von FPÖ beziehungsweise ÖVP in der Welt und in Europa stehen? Eine äußerst lange Liste roter – also zumindest Anfang Februar noch strittiger – Punkte findet sich im Kapitel Internationales. Während die ÖVP weiter internationale Kooperationen anstrebte, wollte sich die FPÖ möglichst daraus wegbewegen. Westliche Allianzen wurden eher infrage gestellt – dafür ist eine Neigung gen Russland spürbar.
Die Verhandler zankten sich darüber, inwieweit man im Regierungsprogramm ein Bekenntnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention, zur EU-Grundrechte-Charta sowie zur Rechtssprechung des Verfassungsgerichtshofs und der europäischen Höchstgerichte verankern sollte. Die FPÖ wollte das am liebsten gar nicht. Sie pochte auch auf eine klare Ablehnung einer EU-Armee, wetterte gegen eine angebliche „Zensur- und Überwachungsgesetzgebung“. Anzunehmen ist, dass damit wohl nicht zuletzt Initiativen auf EU-Ebene gemeint sind, die sich unter anderem gegen Hass im Netz, intransparente Finanzströme oder russische Trollfarmen richten.
Die ÖVP forderte ein Bekenntnis zum österreichischen Engagement im Rahmen internationaler friedenserhaltender und humanitärer Auslandseinsätze. Die FPÖ wollte dies insofern einschränken, als derartige Einsätze nur unter UN-Mandaten stattfinden dürften. Die Blauen pochten zudem darauf, Beiträge zu internationalen Organisationen deutlich zu reduzieren. Die ÖVP wünschte sich eine Weiterführung der Beflaggung aller Amtsgebäude mit der EU-Flagge – die FPÖ war dagegen.
Die Blauen forderten ihrerseits, dass EU-Beitrittsgespräche mit Ländern, welche sich im Krieg befinden, nicht geführt werden. Das beträfe aktuell konkret die Ukraine. Die ÖVP sprach sich dafür aus, die Westbalkanstaaten zu unterstützen und deren Beitrittsperspektive zu stärken – die FPÖ war dagegen. Sie wollte lieber Russland stärken und pochte auf eine Prüfung der Russlandsanktionen und das Ausverhandeln österreichspezifischer Ausnahmen bei nächstmöglicher Gelegenheit. Die ÖVP hingegen war dafür, sich aktiv in die Verhandlungen zu den Russlandsanktionen einzubringen und – wie bisher – im Einklang mit den anderen EU-Mitgliedstaaten an gemeinsamen Maßnahmen mitzuwirken. Veto, FPÖ.
Begründet wurde das alles mit der heiß geliebten Neutralität – die im Verhandler-Papier überhaupt ständig als Argumentation herhalten muss. So wurden seitens der FPÖ auch Verfassungsänderungen zur Stärkung der Souveränität Österreichs gefordert, die sicherstellen sollten, dass internationale Entscheidungen nationale Interessen nicht untergraben würden. Ganz prinzipiell sollte internationale Rechtssprechung der nationalen nachgereiht werden. Wäre es nach den Blauen gegangen, sollten Urteile internationaler Gerichtshöfe so restriktiv wie möglich und „zum spätestmöglichen Zeitpunkt umgesetzt werden“. So kann man es auch ausdrücken, dass man diese nicht mehr respektieren will.
Israel und die historische Verantwortung
Die FPÖ bemüht sich seit Jahren, ihre Nazi-Vergangenheit loszuwerden, und sucht Kontakt zur jüdischen Community, die sich bisher nicht beirren ließ und die FPÖ mied. Das wird sie wohl weiterhin tun – spätestens, wenn sie sich das geleakte Verhandlungsprotokoll vor Augen führt. Auf Rot stehen etwa folgende Formulierungen, auf die man sich nicht einigen konnte: „Fortführung der Israel-Politik als Staatsräson“. Oder: „Österreich hat besondere, historische Verantwortung“. Oder: „Bekenntnis zu Israel als jüdischer und demokratischer Staat. Österreich wird in internationalen Organisationen Initiativen und Resolutionen, die diesem Bekenntnis zuwiderlaufen, nicht unterstützen.“
Geeinigt hat man sich darauf, dass sich Österreich für nachhaltige Friedenslösungen in Nahost einsetzt – Ziel: Zweistaatenlösung. Wiederum rot: die Errichtung eines Holocaust-Museums. Dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW), das sich wissenschaftlich mit Österreichs Nazi-Vergangenheit und Rechtsextremismus in der Gegenwart beschäftigt, wollte die FPÖ einen Auftrag der öffentlichen Hand für die Erstellung eines jährlichen Rechtsextremismusberichts entziehen.
Grenzzäune und Push-Backs
Die ÖVP ist im Vergleich zu vor zehn Jahren in ihrem Asylkurs weit nach rechts geschwenkt. Dennoch waren ihr manche FPÖ-Vorschläge in den Verhandlungen dann doch noch zu heftig. Die Blauen wollen zum Beispiel einen Grenzzaun: „Stärkung und Ausbau der österreichischen Grenzsicherung durch technische Sperren. Sensible Grenzabschnitte sind mit Zäunen zu sichern. Schaffung eines Straftatbestandes der Überwindung der technischen Sperren.“ Man wollte aus dem UN-Flüchtlingspakt aussteigen – und den EU-Migrationspakt nachverhandeln, um ihn noch mehr zu verschärfen. Außerdem sprach sich die FPÖ für Migrationszentren in Drittstaaten und die Legalisierung von Push-Backs an EU-Außengrenzen aus. Die ÖVP wollte hingegen lieber die Umsetzung des Migrationspakts forcieren.
Die FPÖ verlangte einen Ausbau von Allianzen mit „gleichgesinnten Staaten“, um Druck auf die EU-Kommission auszuüben. Sie forderte ein „aktives Nutzen des Veto-Rechts“ und Junktimierungen „in allen Bereichen, in denen Einstimmigkeitsprinzip besteht“ – Kickl kündigt also bereits Randale in Brüssel an. Die ÖVP wollte das so nicht im Regierungsprogramm stehen haben.
Und dann dachte man offenbar sogar darüber nach, das Asylrecht durch Notgesetze ganz auszusetzen und war der Meinung, dass das in Einklang mit EU-rechtlichen Regelungen stehen würde.
In Bezug auf das Staatsbürgerschaftsrecht forderte die FPÖ eine tiefgreifende Reform: „Anhebung der Anforderungen und Wartefristen auf die Staatsbürgerschaft. (einheitlich lange Dauer von 30 Jahren)“. Für ehemalige Asylwerber sollte es eine Staatsbürgerschaft auf Fünf-Jahre-Probezeit geben. Ihrem Protokoll zufolge hatten sich Blau und Schwarz bereits auf weniger Geld für kinderreiche Familien geeinigt, was in der Regel Zuwandererfamilien betreffen würde.
Politischer Islam: doch kein Verbot
Ein Verbotsgesetz gegen den politischen Islam – nach Vorbild des NS-Verbotsgesetz. Das galt zu Beginn der Verhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP eigentlich als ausgemachte Sache. Doch im vorliegenden Verhandlungsprotokoll wurde das Verbotsgesetz nicht auf Grün (Einigung), sondern auf Rot (keine Einigung) gestellt. Ausgerechnet von der FPÖ. Die Verhandler erkannten offenbar, dass sie ein Verbotsgesetz gegen den politischen Islam genauso in den Verfassungsrang heben müssten wie das Verbot der nationalsozialistischen Wiederbetätigung. Sie rechneten offenbar nicht mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament – oder wollten generell keine Verbotsgesetze im Verfassungsrang.
Stattdessen wurde ein „Sammelgesetz“ paktiert, das 30 Einzelmaßnahmen enthalten hätte. Neu wäre ein „Hassprediger-Register“ gewesen, das Hetzern im Netz nach dänischem Vorbild die Einreise verweigert. Einige der Vorhaben – etwa die Bekämpfung der „ehrenkulturellen Gewalt gegen Frauen“ oder der „Terrorfinanzierung“ – wären wohl bereits durch bestehende Gesetze abgedeckt gewesen.
Was auffällt: Die Grenzen zwischen Islamismus beziehungsweise politischem Islam und anerkanntem Islam verschwimmen in mehreren Passagen des Protokolls. So sollen „Moscheen und islamische Schulen verstärkt überwacht werden, da diese als Rekrutierungsorte für extremistische Strömungen dienen“, wird generalisierend behauptet. Die verstärkte staatliche Kontrolle des Islamunterrichts läuft genauso unter Kampf gegen den politischen Islam wie ein verschärftes Islamgesetz, um „politisch-religiöse Siegeszeichen wie Minarette“ zu verhindern.
Ein Kopftuchverbot für Schülerinnen bis 14 wurde im Verhandlungsprotokoll unter „Sicherheit für Frauen und Mädchen“ subsumiert. Wie es dieses Mal vor dem Höchstgericht halten hätte sollen – es wurde bereits einmal aufgehoben –, ist nicht ausgeführt. Eine Maßnahme, die laut Staatsschützern am wichtigsten wäre zur Abwehr der islamistischen Bedrohung, wurde von der FPÖ hingegen auf Rot gestellt: die Messenger-Überwachung.
Umrühren im Justiz-Bereich
Das Verhandler-Protokoll zeigt: FPÖ und ÖVP wollten Politiker besser vor strafrechtlicher Verfolgung schützen. Für andere sollten hingegen strengere Regeln gelten und sogar Kinder im Gefängnis landen können.
Die parlamentarische Immunität sollte auf die Klubs ausgeweitet werden, schlug die FPÖ vor. Die ÖVP prüfte laut Protokoll diesen Vorschlag noch. Das Ziel scheint klar: weniger Ermittlungen. Diese Motivation dürfte auch hinter der FPÖ-Idee gestanden sein, anonyme Anzeigen zu unterbinden. Die ÖVP war gegen diesen Vorschlag.
Der FPÖ scheint es auch ein Anliegen gewesen zu sein, dass Verhetzung (§ 283 StGB) seltener eine Straftat wird. Sie forderte, dass nur noch Aufrufe zu physischer Gewalt als Verhetzung gelten sollten, die ÖVP legte vorerst ein Veto ein. Auch die komplette Streichung des Straftatbestands der Herabwürdigung religiöser Lehren (§ 188 StGB) lehnte die ÖVP ab. Für den Fall, dass es manchmal doch zu Ermittlungen kommt, wollte Blau-Schwarz die Beschuldigtenrechte stärken und die Berichterstattung über laufende Verfahren bremsen.
Eine bestimmte Gruppe politischer Gegner wollten FPÖ und ÖVP hingegen verstärkt ins Visier der Strafjustiz stellen – obwohl es sie derzeit gar nicht mehr gibt: Gegen „Klimakleber“ sollten eigene Strafbestimmungen geschaffen oder konkretisiert werden. Die Letzte Generation, die mit Klebe-Aktionen Verkehrsadern blockiert hatte, hat sich allerdings im August 2024 aufgelöst.
FPÖ und ÖVP forderten übrigens, dass auch Kinder ins Gefängnis gesteckt werden können. Beide Parteien hatten im Wahlkampf eine Herabsetzung der Strafmündigkeit von 14 auf zwölf Jahre versprochen. Dass ein Kind hinter Gittern landet, sollte aber „als allerletzte Maßnahme vorgesehen sein“, beteuerten die Parteien im Verhandlungsprotokoll.
Keine Einigung hatten FPÖ und ÖVP vorerst bei der wohl grundlegendsten Reform im Justiz-Bereich gefunden: Derzeit unterstehen die Staatsanwaltschaften den Weisungen der Justizministerin und damit der Politik. Eine unabhängige Generalstaatsanwaltschaft würde das ändern. Justizministerin Alma Zadić (Grüne) ließ dafür bereits ein Modell mit Dreier-Senaten ausarbeiten. Doch die FPÖ trat in den Verhandlungen offenbar „entschieden gegen“ eine Generalstaatsanwaltschaft auf. Die ÖVP wollte indes einen Bundesstaatsanwalt. Betonung auf: einen. Eine einzelne, vom Parlament bestimmte Person soll die heikelsten Entscheidungen der Staatsanwaltschaften treffen. „Da ist es besser, wir bleiben bei dem jetzigen System“, meint etwa die Präsidentin der Staatsanwälte-Vereinigung zu diesem Vorschlag.
Angenähert (rot und gelb) hatte man sich bei der Diskussion rund um eine Liberalisierung des Waffenrechts. Und ideologisch offenbar auch wichtig: „Nur zwei Geschlechter. Es ist völlig skurril, dass laut Meldegesetz die Auswahl zwischen sechs Geschlechtsbezeichnungen möglich ist. Biologisch gesehen gibt es zwei Geschlechter“. Gelb. Hier ging es offenbar nur mehr um die Formulierung – gestritten wurde allerdings noch, ob man gendergerechte Rechtschreibung in Schulbüchern abschaffen wollte oder nicht.
Brennpunkt Schule
Auffällig oft findet sich im Kapitel „Bildung, Wissenschaft und Forschung“ die Forderung nach einer Entideologisierung – ohne jedoch zu konkretisieren, was damit im Detail gemeint ist (siehe Kommentar Seite 57). Ebenso regelmäßig stößt man auf das Ziel, alles aus dem Bildungssystem zu eliminieren, was auch nur entfernt nach Gendern riecht.
Das beginnt bereits im ersten Abschnitt, der sich mit Elementarpädagogik befasst (manche Passagen waren zwischen ÖVP und FPÖ umstritten, andere nicht): „Unsere Kinderbetreuungseinrichtungen müssen ideologiefrei sein“, heißt es dort. Woraus offenbar zu folgern sei: „Sexualpädagogik und Genderideologie haben im Kindergarten keinen Platz.“ Stattdessen gelte es, die psychische und soziale Entwicklung der Jüngsten zu fördern, und zwar mit einem Fokus auf deutsche Sprache und Familie sowie durch Vermittlung österreichischer Werte, Kultur und Traditionen.
Auf die Elementarpädagogik folgen Pflichtschulen, Gymnasien, höhere Schulen, und da wird es wieder eher schwammig: „Wir wollen ideologische Einflüsse an allen Bildungseinrichtungen minimieren und den Fokus auf eine faktenbasierte Bildung legen.“ Gleich der nächste Satz lässt erahnen, was man sich unter faktenbasierter Bildung vorstellen könnte: „Förderung traditioneller Werte. Die Vermittlung der österreichischen Lebensart (heimatliche Traditionen und Feste im Jahreskreis) in der Schule wird forciert.“
Wirtschaft vor Klima
Im Wirtschaftsbereich stechen mehrere geplante Maßnahmen ins Auge. Unter anderem: eine Senkung der Lohnnebenkosten. Weitere Ideen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mehr Geld bescheren sollten: eine deutliche Erhöhung der Werbungskostenpauschale (132 auf 300 Euro) und des Veranlagungsfreibetrags (730 auf 1500 Euro). Auch bei einer jährlichen Erhöhung der Pendlerpauschale, einer Steuerbefreiung auf Überstunden und einer „Glättung“ der Grenzsteuersätze waren sich die Parteien einig. Wie diese Maßnahmen gegenfinanziert werden sollten, steht allerdings nicht im Papier.
Auch sonst wirken die geplanten Sparpläne eher vage: von Verwaltungsvereinfachung ist die Rede oder davon, „3,5–24,5 Mrd. bei Subventionen“ einzusparen. Was konkret gemeint ist, bleibt unklar. Ein Detail: Die Parteien planten offenbar eine „Zentralstelle für Deregulierung und Entbürokratisierung“. Das klingt wohl nicht zufällig nach dem heftig in der Kritik stehenden „Department of Government Efficiency“ (DOGE) von US-Präsident Donald Trump, das der Milliardär Elon Musk leitet.
Verschärfungen waren offenbar in der Arbeitsmarktpolitik angedacht: Diesbezüglich hatten sich FPÖ und ÖVP laut Protokoll auf den „Einsatz der Bezahlkarte von arbeitsfähigen Personen, die keiner Arbeit nachgehen“ geeinigt. Ob damit nur noch Sachleistungen bezogen werden sollten, wird in den Protokollen nicht ausgeführt.
Dissens zeigte sich beim Punkt „Pensionen“: Die FPÖ wünschte sich eine „Solidarabgabe für Beamtenpensionen“, was die ÖVP ihrer Kernklientel naturgemäß nicht zumuten wollte. Den FPÖ-Vorschlag, unabhängig vom Lebensalter nach 45 Beitragsjahren abschlagsfrei in Pension gehen zu können, lehnt die ÖVP ebenso ab. Eher kurios: Im Lehrlingsbereich forderte die FPÖ unter anderem eine „Wiedereinführung der traditionellen Handwerker-Walz als Imagekampagne (+Förderungen)“.
Im Verhandlungsprotokoll zeigt sich klar, dass eine FPÖ-ÖVP-Regierung der Wirtschaft deutlich den Vorzug gegenüber dem Klimaschutz gegeben hätte. Auf den 223 Seiten findet sich das Wort „Klimaschutz“ nur drei Mal. „Klimaschutzmaßnahmen“ werden nur zweimal erwähnt – und das ausschließlich als Gefahr für den Wirtschaftsstandort.
Bei einer Abschaffung der CO2-Steuer stand die Volkspartei auf der Bremse. Auch dass die FPÖ einen „Schutz vor EU-Klimaverboten“ forderte, bekam offenbar kein grünes Licht der ÖVP. Das „Nein zum Verbrennerverbot“ hätte es aber wohl in ein mögliches blau-schwarzes Regierungsprogramm geschafft. Den erst im Sommer von ÖVP und Grünen beschlossenen Plan zum Erreichen der EU-Klimaziele bis 2030 (NEKP) wollten FPÖ und ÖVP aufschnüren. Was sich dabei ändern sollte, hielten die Verhandler nicht fest.
Corona-Forderungen
Herbert Kickl führte als FPÖ-Chef Corona-Demos an, hielt dort Hassreden und empfahl ein Pferdeentwurmungsmittel als Therapie. Das brachte ihm die Stimmen der Corona-Leugner bei dieser Wahl, und für die wollte er etwas erreichen. Laut Verhandler-Protokoll schlug die FPÖ vor: „Aufarbeitung von Corona-Maßnahmen innerhalb aller Bereiche der Justiz“. „Entschädigungszahlungen in Form von Schmerzensgeld und Schadenersatz an Bürger und Unternehmen, die durch die Covid-Gesetzgebung geschädigt wurden.“ Und: „Entschädigungsleistungen in Form von Schmerzensgeld und Schadenersatz für Bürger, die unter Impfschäden durch die Covid-19-Impfungen leiden.“ Einen Fonds für Opfer von Impfschäden gibt es übrigens schon. Ebenfalls auf der roten Liste mit umstrittenen Forderungen: „Kein Missbrauch der Polizei wie es unter ,Corona’ passierte. Unsere Polizisten sind für die Aufrechterhaltung der Sicherheit in unserem Land zuständig und nicht für politische Zwecke.“
Das kurze Frauen-Kapitel
Mit Frauenpolitik hielten sich ÖVP und FPÖ in ihren Verhandlungen offenbar nicht allzu lange auf: Das Kapitel füllt nur eineinhalb von 223 Protokoll-Seiten. Einig war man sich beim Verbot der Leihmutterschaft im Ausland, Frauen in Aufsichtsräten wollte man nicht fördern.
Sonst wurde Frauen- gerne mit Familienpolitik verknüpft. In diesem Bereich lauerte jedoch einiges an Sprengkraft. Offenbar forderte die FPÖ ein Gesetz zur Pseudodiagnose „Parental Alienation Syndrome“. Dieses „Eltern-Entfremdungssyndrom“, von dem in Zusammenhang mit Trennungen und Scheidungen die Rede ist, ist wissenschaftlich nicht anerkannt, hat aber das Potenzial, den Kinderschutz auszuhebeln, warnen Fachleute.
Längerer Wehr- und Zivildienst
FPÖ und ÖVP wollen beide eine Raketenabwehr. Auch auf Kooperationen mit anderen Ländern einigte man sich – aber nicht auf „Sky Shield“. Im Verhandlungspapier rot markiert steht im Kapitel Landesverteidigung und Sport recht banal: „Geht um die Frage, ob das Wort ,Sky Shield’ im Regierungsprogramm steht.“ Prinzipiell haben sich die Verhandler zu einem „Grundsatzbekenntnis zu Luftraumüberwachung, Luftraumverteidigung und Systemlückenschlüsse“ geeinigt. Aber was bedeutet das konkret? Die FPÖ blieb, wie in dem Dokument nachzulesen ist, bei ihrem Nein zu Sky Shield. Die bisherigen (rechtlich nicht bindenden) Vereinbarungen sollten aufgekündigt werden. „Der Generalstab wird beauftragt, neutralitätskonforme Alternativen auszuarbeiten“, heißt es. Die Zeilen sind allerdings rot markiert. Und das bedeutet: keine Einigung. Sowohl Juristen als auch Militärexperten haben stets betont, dass Sky Shield mit der Neutralität sehr wohl vereinbar ist.
Auch in anderen Punkten beim Thema Landesverteidigung hätten ÖVP und FPÖ noch Gesprächsbedarf gehabt: Laut Verhandler-Papier plädierten die Freiheitlichen dafür, den Grundwehrdienst von sechs auf zehn Monate zu verlängern: „Parallel dazu wird mit Beginn des Jahres 2027 die Dauer des Zivildienstes auf 13 Monate angehoben und zusätzlich eine 1-monatige ,Übungsverpflichtung’ für Zivildiener eingeführt.“
Kunst und Kultur: rot-weiß-rot
Ob ein Bekenntnis zu Gipfelkreuzen oder Maßnahmen für ein positives „Österreich-Bewusstsein“, im Verhandlungsprotokoll von FPÖ und ÖVP ist Kunst und Kultur vor allem rot-weiß-rot. Gerade einmal vier Seiten – in einem 223-seitigen Dokument wohlgemerkt – widmeten die blau-schwarzen Regierungsverhandler der Kultur.
„Kunst und Kultur sind zentrale Grundlagen unserer österreichischen Identität und tragen zum Bild und Ansehen Österreichs in der Welt bei“, heißt es gleich zu Beginn. Dementsprechend gelte es, die Identität Österreichs zu „stärken“. Dafür benötige man unter anderem „fördernde Maßnahmen für ein positives ,Österreich-Bewusstsein’, etwa durch nationale Symbole, Gedenkfeiern und den Außenauftritt der Republik“.
Man einigte sich auf die Absicherung von kulturellen Institutionen wie den Wiener Sängerknaben und den Wiener Chormädchen oder dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien (RSO). Außerdem wollte man „österreichischer Kunst und Kultur“ einen größeren Stellenwert in den öffentlich-rechtlichen Medien einräumen und eine „Österreich-Quote“ prüfen, durch die „zu reichweitenstarken Zeiten, insbesondere auf Ö3“, speziell österreichische Kunstschaffende und Produktionen gefördert werden sollten.
Bewahren wollte man neben der österreichischen Kunst auch das österreichische „alpine Kulturerbe“. Eine blau-schwarze Regierung würde wohl die „bessere Absicherung alpiner Infrastruktur“ prüfen, also Almhütten, Gipfelkreuze, Bildstöcke.
Ein Thema abseits der österreichischen Identitätspolitik: die „wirtschaftliche Wertschöpfung“. In bundeseigenen Kultureinrichtungen wollte eine blau-schwarze Regierung offenbar „einfache Strukturen, klare Kompetenzen und weniger Bürokratie“ schaffen. Wenn Kulturschaffende von Effizienz hören, sind sie tendenziell alarmiert. Schließlich können selbst große Häuser nur mit Subventionen überleben. Erst im Jänner unterzeichneten 150 Künstlerinnen und Künstler einen offenen Brief an die ÖVP und forderten das sofortige Ende der Koalitionsverhandlungen. Sie befürchteten, dass die kulturelle Infrastruktur zerschlagen und auf gefällige Programme reduziert werden könnte.
Ihr Wunsch sollte sich mit dem Platzen der Gespräche vorerst erfüllen. Was aber nicht heißt, dass die Ideen aus dem 223-Seiten-Papier – und die darin zum Ausdruck kommende Grundhaltung – für alle Zeiten vom Tisch sind.

Gernot Bauer
ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.

Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.

Nina Brnada
Redakteurin im Österreich-Ressort. Davor Falter Wochenzeitung.

Stefan Melichar
ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.

Max Miller
ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.

Clemens Neuhold
Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.

Eva Sager
seit November 2023 im Digitalteam. Schreibt über Kultur, Gesellschaft und Gegenwart.

Alwin Schönberger
Ressortleitung Wissenschaft

Anna Thalhammer
ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.

Kevin Yang
seit November 2024 im profil Digitalressort.