Das Gesundheitssystem wankt: Therapie nach Minister Rauch
Auf der Visitenkarte von Johannes Rauch steht zwar "Gesundheitsminister", der Grüne fühlt sich aber mehr wie ein Familientherapeut. Seine Patienten sind jene, die in der Gesundheitspolitik das Sagen haben: die Länder, die über Spitäler und Pflegeheime herrschen. Die Krankenkassen, die für die Hausärzte zuständig sind. Und die Ärztekammer, die immer mit am Tisch sitzt – vor allem, wenn es ums Geld geht.
Rauch kann sich vieles wünschen, aber wenig entscheiden. Denn der Großteil des jährlichen Gesundheitsbudgets, insgesamt knapp 39 Milliarden Euro, wird von den Ländern und den Kassen verwaltet.
Nun bekommt Therapeut Rauch ein Druckmittel in die Hand: Bis Ende des Jahres wird der neue Finanzausgleich verhandelt, der regelt, wie die Steuereinnahmen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden verteilt werden – und zwar für die nächsten fünf Jahre. Alle Player im Gesundheitssystem wollen mehr Geld und haben dafür gute Gründe. Die Bevölkerung altert, die chronisch Kranken werden mehr, es mangelt an Pflegepersonal, und immer öfter finden sich keine Ärzte für Kassenpraxen.
Mehr Geld? Könnt ihr haben, signalisiert Rauch seinen Verhandlungspartnern. Dafür will er aber Gegenleistungen: Reformen. Und mehr Mitspracherechte. Die Gesprächstherapie zwischen Bund, Ländern und Kassen ist gerade angelaufen. Was muss jetzt passieren?
"Wir haben ein reparaturorientiertes System", sagt Thomas Czypionka, Gesundheitsökonom vom Institut für Höhere Studien (IHS). "Die meisten Leistungen kriegen Sie bei uns, wenn schon etwas kaputt ist." So kommt es, dass Österreicher 1,2 Jahre länger leben als durchschnittliche EU-Bürger, aber weniger gesunde Lebensjahre haben.
Die meisten Leistungen kriegen Sie bei uns, wenn schon etwas kaputt ist.
Den Therapieansatz für das Problem formuliert Minister Rauch derzeit in allen Interviews: Prävention. Czypionka erklärt: "Wenn Bluthochdruckpatienten gut eingestellt sind, bekommen sie weder Hirnschlag noch Herzinsuffizienz. Sonst ist das Risiko extrem hoch-vielleicht ist sogar eine Herzklappe notwendig. Wenn wir früh intervenieren, ist das günstiger – gesundheitlich und finanziell."
Prävention kann dem System jede Menge Geld sparen. Dafür braucht es aber zunächst einmal mehr Ressourcen. Denn in der Praxis bedeutet Vorsorge, dass Ärzte nicht mehr auf Patienten warten, sondern Diabetiker und Bluthochdruckkandidaten mit Listensystemen proaktiv zu Untersuchungen einladen.
Wie soll das gehen, wenn Kassenärzte schon jetzt unter der hohen Belastung stöhnen?
In dem Punkt sind sich Krankenkassen, Landespolitiker und Gesundheitsminister einig: Der niedergelassene Bereich muss ausgebaut werden. Zu viele Patienten strömen in die Spitäler, obwohl ihre Leiden auch in einer Ordination geheilt werden könnten. Der Unterschied: Behandlungen in Kliniken sind deutlich teurer, Gesundheitsexperten kritisieren das seit Jahrzehnten.
Das klingt einfacher, als es ist. In den meisten Ländern wird das Gesundheitssystem entweder staatlich gesteuert, wie das britische NHS, oder komplett durch die Kassen finanziert, wie in Deutschland. Das österreichische Mischsystem, in dem Bund, Länder und Kassen mitreden, erschwert Budgetverschiebungen von einem zum anderen Stakeholder.
Es ist unrealistisch, dass sich die Landeshauptleute zu Spitalsschließungen durchringen, um Gelder für den niedergelassenen Bereich lockerzumachen. Wahrscheinlicher ist, dass der Bund noch mehr Geld in das System pumpt, das pro Kopf bereits jetzt das drittteuerste der EU ist. Christian Stöckl, ÖVP-Vizelandeshauptmann aus Salzburg, ist der Routinier unter den Landesgesundheitsreferenten. Zehn Jahre macht er den Job nun schon. Den österreichweiten Mehrbedarf beziffert er grob mit "vier bis fünf Milliarden Euro". Pro Jahr. Dafür wären die Länder zu echten Reformen bereit, sagt Stöckl.
In urbaneren Gebieten sind Primärversorgungszentren ein Lösungsansatz. Mehrere Ärzte, längere Öffnungszeiten und zusätzliche Services wie Diätberatung sollen Patienten auch an Tagesrandzeiten betreuen und damit die Spitäler entlasten. 70 dieser Zentren sollten bis 2020 entstehen, tatsächlich gibt es erst 39. In Tirol und Vorarlberg steht kein einziges.
Die Schuld dafür sieht Rauch bei der Ärztekammer, die ein Vetorecht hat und nach Ansicht des Ministeriums immer dann davon Gebrauch macht, wenn die Zentren anderen Kassenärzten die Patienten abgraben würden. Rauch droht inzwischen öffentlich damit, der Kammer ihre Blockademöglichkeit zu entziehen.
In Kleingemeinden bleiben Hausärzte alleinige Primärversorger. Wenn sich welche finden. 99 Praxen für Allgemeinmedizin und 72 Facharztordinationen stehen leer. Damit sind zwar nur drei Prozent der Kassenplanstellen unbesetzt, allerdings steigt die Zahl, während die Bevölkerung wächst. Mediziner gäbe es genug, doch immer mehr von ihnen lassen sich als private Wahlärzte nieder. Sie sind an keine verpflichtenden Öffnungszeiten gebunden, können sich ihre Patienten aussuchen und die Honorare selbst festlegen. Das überlastete öffentliche System beschert ihnen genug Kundschaft. Was für die Ärzte attraktiv ist, verschärft die Lage bei den Kassenkollegen, von denen sich viele wie Fließbandarbeiter fühlen.
Die Lösungsansätze pendeln zwischen Härte und Anreizen.
Burgenlands SPÖ-Landeshauptmann Hans Peter Doskozil forderte kürzlich, dass alle, die an einer öffentlichen Uni Medizin studieren, auch im öffentlichen Gesundheitssystem arbeiten müssen. Das ist derzeit nicht mehrheitsfähig.
Die ÖGK setzt auf einen Klassiker: mehr Geld. Und zwar für Studenten. Sie bekommen monatlich etwas mehr als 900 Euro, wenn sie sich verpflichten, nach dem Studium für fünf Jahre als Kassenärzte zu arbeiten. Die Hoffnung ist, dass sie dann für immer bleiben. Insgesamt 50 dieser Stipendien werden im Februar vergeben, weitere 20 hat das Land Niederösterreich bereits im September verteilt.
Längst mangelt es aber nicht nur an Kassenärzten, auch in Spitälern gibt es zu wenige Mediziner und Pflegekräfte. Kliniken wie Tamsweg (Salzburg) setzen in ihrer Not auf Bundesländer – Egoismus: Patienten aus der angrenzenden Steiermark werden nicht mehr behandelt. Die Konkurrenz wächst, das Burgenland will die Gehälter für Spitalsärzte deutlich anheben.
Die Landesgesundheitsreferenten sehen sich nicht als Rauchs Patienten, sondern selbst als Heiler. Ihr elfseitiges Forderungspapier für die Verhandlungen über den Finanzausgleich haben sie am vergangenen Montag ans Ministerium gemailt.
Ein Punkt wird Rauch freuen: "Bessere Verhandlungsposition gegenüber Lieferanten (zentraler Einkauf)". Aktuell beschaffen die neun Länder und die Krankenkassen medizinischen Bedarf in Eigenregie: Medikamente, Atemmasken oder Silikonhandschuhe. Ein gemeinsamer Einkauf könnte Effizienzgewinne bringen, ohne dass irgendjemand Macht abgeben muss.
Weniger Freude wird Rauch damit haben, dass es die Länder auf seine wichtigste Planungseinheit abgesehen haben: Die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) entwickelt als Tochter des Gesundheitsministeriums die Zukunftspläne für das System und analysiert die Budgetentwicklung. Die Länder streben nun eine Miteigentümerschaft der GÖG an, steht in dem Papier, das profil vorliegt.
Ungeklärt ist auch die Frage, wer die zusätzlichen Gelder für den niedergelassenen Bereich verwalten soll. Die Länder wollen, dass neben den Spitälern und den niedergelassenen Ärzten eine dritte Säule eingezogen wird: die ambulante Versorgung. Sie soll Primärversorgung und Spitalsambulanzen bündeln und damit Patientenströme besser steuern. Gesundheitsökonomin Maria Hofmarcher unterstützt das Vorhaben: "Jedes Land soll einen Teil des Budgets für die Spitalsambulanzen in einen Pool einbringen – und die Krankenkassen auch. Und dann plant man gemeinsam für jede Region das Angebot-und nicht wie bisher jeder Player für sich." Es ist selbsterklärend, dass die Länder bei dieser Säule mitentscheiden wollen und damit in die Einflusssphäre der Sozialversicherung drängen. Der oberste Arbeitgebervertreter in der Sozialversicherung, Peter Lehner, schoss scharf zurück: Er könne sich die Kontrolle über die Spitäler vorstellen.
Rauch stehen langwierige Therapiesitzungen bevor. Wie die Heilungschancen stehen? Der Minister ist Realist. In Interviews mit Ö1 und der "ZIB 2" gab er zu: "Die Wahrscheinlichkeit, zu scheitern, ist auch bei mir hoch, weil das System gewisse Resistenz hat."