Pannendreieck wird jeden Tag größer

SPÖ-Wahlkampf: Das Pannendreieck wird jeden Tag größer

Das profil-Tagebuch zur Nationalratswahl. Hier geben unsere Redakteure einen persönlichen Einblick in den Wahlkampf. Diese Woche: Sven Gächter über Christian Kern.

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Man muss sich Christian Kern derzeit wohl als unglücklichen Menschen vorstellen. Vor 15 Monaten als strahlender Hoffnungsträger angetreten, sattelfest in Rhetorik, Populärpsychologie und Stilkunde, kann er mittlerweile nur hilflos mitansehen, wie ihm auf dem Weg zur fortgesetzten Kanzlerweihe sämtliche Felle davonschwimmen. Das Pannendreieck vor dem SPÖ-Wahlkampf wird jeden Tag größer, worin, fatalistisch betrachtet, fast wieder etwas Tröstliches liegt: Irgendwann verdeckt es die Unfallstellen vielleicht ganz. Nun ist Kern zu allem Überfluss auch noch sein Kampagnenguru abhandengekommen. Tal Silberstein wurde am Montag in Israel verhaftet - nicht wegen seiner Beratertätigkeit für die SPÖ, sondern wegen des Verdachts auf Korruption und Geldwäsche. Der mit großem klassenkämpferischen Elan lancierte Slogan "Hol Dir, was Dir zusteht" stammt zwar nicht von ihm, wie Kern einigermaßen glaubhaft versicherte ("Entschuldigen Sie, aber der Mann kann kein Wort Deutsch!"), doch die Sozialdemokraten werden sich bis zum Wahltag jedes Mal auf die Lippen beißen, wenn sie den schmerzhaft vieldeutigen Satz in den Mund nehmen.

Das alles wäre mittelfristig nicht weiter alarmierend, hätte die Kanzlerpartei nicht noch ein ganz anderes Problem. Es heißt Sebastian Kurz und sorgt in roten Kreisen für eine zusehends prekäre Gemütslage zwischen Verdruss und Panik. Der gnadenlos smarte ÖVP-Höhenflieger pfeift auf die Banalität konkreter programmatischer Ansagen diesseits von Balkan-oder Mittelmeerrouten und zaubert stattdessen permanent neue, schillernde Halb- und Dreiviertel-Promis aus seinem unerschöpflichen Kandidatenzylinder - Hauptsache, sie werden nur ja nicht dem neuerdings so unpopulären klassischen Politikgeschäft zugeordnet. Kurz macht nicht besonders viel, vor allem aber bisher keine groben Fehler. In den Umfragen wird er dafür seit Wochen mit einer mehr als komfortablen Pole-Position belohnt.

Heinz-Christian Strache, lange Zeit selbst auf den Einzelplatz an der Sonne abonniert, kann sich immerhin damit bei Laune halten, dass Kern inzwischen sogar um Rang zwei bangen muss. Wahlkämpfe sind grausam: Sie nehmen keine Rücksicht auf Verluste und produzieren jede Menge Verlierer. Die sicheren Sieger wiederum sollten sich bekanntlich nie zu früh freuen -sie könnten im Endspurt unverhofft von einem Machtkrampf niedergestreckt werden.

Wahltagebuch - Teil 1: Den Anfang machte Clemens Neuhold, der von zugeschlagenen Türen (Peter Pilz und die Grünen), türkisen Türen (die Liste Kurz auf Tour mit Tür) und versperrten Türen (die Schließung der Mittelmeerroute) berichtete.

Wahltagebuch Teil 2: Edith Meinhart über Facebook-Freunde und ihre Ähnlichkeit mit Kindern: Mal sind sie brav und vorzeigbar, mal echte Bengel.

Sven   Gächter

Sven Gächter