SPÖ-Chef Andreas Babler: „Das Problem liegt bei der ÖVP“
Von Iris Bonavida und Max Miller
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Bei Ihrem letzten Gespräch mit profil fragten wir: „Was machen Sie, wenn Sie bei der Wahl nicht Erster werden, treten Sie zurück?“ Wissen Sie noch, was Sie damals geantwortet haben?
Andreas Babler
Ich habe ziemlich sicher mit Nein geantwortet.
Tatsächlich nicht, sondern: „Dann würde ich mit profil ein Interview führen und die Lage bewerten. Aber ich gehe davon aus, dass wir das Match gewinnen.“
Babler
Na dann.
Sie haben das historisch schlechteste Ergebnis der SPÖ eingefahren, die Koalitionsverhandlungen sind gescheitert, ein Kanzler Kickl droht. Was haben Sie erreicht?
Babler
Das Wahlergebnis ist nicht das, was wir uns gewünscht haben. Aber ganz nüchtern gesprochen: Andere haben ein Drittel ihrer Wählerinnen und Wähler verloren.
Ihr Ziel war es, zu gewinnen.
Babler
Dass man eine Wahl gewinnen will, ist keine Überraschung, das tun alle. Wir hätten gerne dazugewonnen, haben aber immerhin das Ergebnis gehalten.
Sie wollten nicht nur stärker werden, Sie wollten regieren. Warum versagt die SPÖ?
Babler
Es ist eine durchwachsene Bilanz. Die ÖVP zerreißt es fundamental, andere Sozialdemokratien in Europa leiden auch unter dem Rechtspopulismus. Wir haben den Abwärtstrend der letzten Jahre gestoppt. Und wir haben in den Städten Wahlerfolge feiern können, nicht nur bei der Nationalratswahl in Wien, sondern auch in Salzburg oder zuletzt in Linz.
Im ländlichen Raum verlieren Sie. Noch mal: Warum versagt die SPÖ?
Babler
Es ist kein Versagen der SPÖ, wenn wir das Ergebnis halten. Spannend ist aber, dass wir immer nach dem Versagen gefragt werden und diejenigen, die ein Drittel der Stimmen verloren haben, nicht.
Wir fragen die ÖVP genauso. Sie hatten das historisch schlechteste Wahlergebnis der SPÖ.
Babler
Ein Minus von 0,04 Prozentpunkten, aber ein Plus in absoluten Stimmen und ein Mandat im Nationalrat mehr. Man kann also darüber diskutieren. Aber klar: Die Sozialdemokratie muss stärker werden.
Sie wollten Kickl als Kanzler verhindern. Wieso setzen Sie sich nicht mit Neos und Grünen zusammen und machen der ÖVP ein Angebot, das sie nicht ausschlagen kann?
Babler
Wir wollten Regierungsverantwortung übernehmen, aber nicht um jeden Preis. Die anderen Parteien sind aufgestanden, nicht wir. Unsere Hand ist weiter ausgestreckt.
Vielleicht sollten Sie nicht nur Ihre Hand ausstrecken, sondern auch ein paar Schritte auf die Volkspartei zugehen?
Babler
Wir sind schon so viele Schritte auf die ÖVP zugegangen. Wir haben zum Beispiel akzeptiert, ausgabenseitig zu sparen. Aber ausgewogen und nicht auf Kosten derjenigen, die so stark unter der Teuerung gelitten haben. Wenn der ÖVP das Njet zur Bankenabgabe wichtiger ist als der Republik einen Kanzler Kickl zu ersparen, muss man sich fragen, wo das Zubewegen auf die Sozialdemokratie war.
War Ihnen die Bankenabgabe wichtiger, als einen Kanzler Kickl zu verhindern?
Babler
Na ja, es ging ja darum, ein Budget zu erstellen. Wir wollten ein Konjunkturpaket für die Wirtschaft, die Teuerung bekämpfen, Maßnahmen für den Bildungs- und Gesundheitsbereich setzen. Die einnahmenseitigen Maßnahmen hätten bei der Budgetkonsolidierung nur einen Bruchteil ausgemacht, von der ÖVP kamen keine Alternativvorschläge.
Was hätte die SPÖ in den Verhandlungen besser machen können?
Babler
Vieles, wie alle Parteien. Vielleicht hätten wir noch schneller auf die Klärung der Budgetfragen drängen müssen.
Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig meinte: „Man hätte Doris Bures stärker einbeziehen sollen, weil sie einfach eine erfahrene Verhandlerin ist.“
Babler
Sie war natürlich eingebunden. Ich war auch mit Bürgermeister Ludwig eng abgestimmt. Unsere Parteigremien waren transparent, wir haben alles gemeinsam festgelegt.
Bei den letzten Runden war sie nicht anwesend.
Babler
Am Schluss war die Budgetgruppe entscheidend, dort saß die Gewerkschaft mit Wolfgang Katzian und Beppo Muchitsch, außerdem Klubobmann Philip Kucher und Bundesgeschäftsführerin Sandra Breiteneder. Alles keine Menschen, die nicht kompromissfähig wären.
Andreas Babler, 51,
ist seit 2023 Bundesparteiobmann der SPÖ. Seit der Nationalratswahl im September 2024 sitzt er im Nationalrat, davor war er zehn Jahre lang Bürgermeister der Stadt Traiskirchen in Niederösterreich.
FPÖ und ÖVP haben sich schon de facto auf ein erstes Paket zur Budgetkonsolidierung geeinigt.
Babler
Wahnsinn, ja, auf 6,3 Milliarden. Das sagt eigentlich eh alles.
Was meinen Sie damit?
Babler
Ich habe in den Medien über die Parallelverhandlungen gelesen, die stattgefunden haben sollen. Zumindest von den wirtschaftsradikalen Teilen der ÖVP.
Die SPÖ lebt Staatsverantwortung auch in Opposition. Wir werden einiges anders machen als im Jahr 2017, als wir uns das erste Mal auf diese Phase der Opposition vorbereitet haben.
In dem Budgetvorschlag ist fast eine Milliarde Euro aus „Anpassungen im Steuersystem“, also Steuererhöhungen, vorgesehen. Warum schafft die FPÖ mit der ÖVP Steuererhöhungen, die SPÖ aber nicht?
Babler
Wir haben uns gegen Massensteuererhöhungen gewehrt, wie die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Dann wäre die Umverteilung in eine falsche Richtung gegangen. Das kann man keiner Pensionistin, keinem Lehrer, keinem Pfleger erklären.
Das heißt: Die FPÖ verhandelt nicht besser, sie besteuert nur mehr Leute.
Babler
Das sind jetzt einmal sechs Milliarden im ersten Jahr. Nötig sind bis 2031 18 Milliarden, da fehlt noch einiges. Das, was wir jetzt gesehen haben, ist ein Weiter wie bisher.
Wir haben nachgezählt: Von Ihren „24 Ideen für Österreich“ aus dem Wahlkampf fanden sich in den geleakten Verhandlungsprotokollen nur sechs wieder. Sind Sie ein bisschen froh, dass die Koalitionsverhandlungen gescheitert sind?
Babler
Da sieht man, wer sich auf wen zubewegt hat. Aber es waren viele Punkte noch gar nicht ausverhandelt.
Wozu stellen Sie vor der Wahl Bedingungen, wenn sie danach nicht mehr gelten?
Babler
Diese Frage muss sich die ÖVP die nächsten Jahre stellen. Wir haben Wort gehalten. Die ÖVP hat ihr Wort gebrochen und ermöglicht einen Kanzler Kickl. Das ist in einer Demokratie nicht gut.
Im Wahlkampf haben Sie Vermögenssteuern versprochen.
Babler
Die ÖVP hat Kickl ein Sicherheitsrisiko und rechtsextrem genannt. Das ist eine andere Liga, als wenn man sich inhaltlich annähert. Steuern auf Vermögenssubstanz waren für ÖVP und Neos ein No-Go. Deshalb mussten wir ausloten, welche anderen vermögensbezogenen Steuern das Steuersystem ausgleichen könnten.
Vermögenssteuern waren nicht Ihr einziges Wahlversprechen. Sie hatten 24 „Ideen für Österreich“, 18 davon wären nicht gekommen.
Babler
Wenn das Budget geklärt worden wäre, wäre vieles möglich gewesen – sogar die Termingarantie im Gesundheitsbereich. In diesen Kernfragen war noch alles in Verhandlung.
Am 1. Mai 2023, vor Ihrer Wahl zum SPÖ-Chef, sagten sie, Sie würden sich auf das Duell mit Herbert Kickl freuen: „Das wäre in einer halben Stunde erledigt.“
Babler
Zu diesem Duell mit Kickl ist es gar nicht gekommen, nur im TV. Ich überlasse es anderen, wer als Sieger aus diesem Duell hervorgegangen ist.
Was hat sich im Wahlkampf so sehr verändert, dass Sie grundsätzlich aus dem Duell geflogen sind?
Babler
Die Sozialdemokratie hat es nicht geschafft, das Duell auszurufen, weil die ÖVP ihren Apparat genutzt hat, um ein Duell unter falschen Fakten herbeizuschreiben: nämlich dass sie Kanzler Kickl verhindern will. Wir haben dann für die FPÖ-Wähler:innen verhandelt: Gesundheitsversorgung ohne Kreditkarte, gesicherte Pensionen, keine Gehaltseinsparungen, leistbares Leben.
Sie glauben weiter: In einem direkten Duell gegen Kickl gewinnen Sie?
Babler
Wir werden bei der Bürgermeister-Stichwahl in Linz sehen, wie ein rot-blaues Duell ausgehen kann.
Sie sind seit eineinhalb Jahren SPÖ-Chef. Warum haben Sie das Vertrauen in die SPÖ nicht zurückgewonnen?
Babler
Ich bin zu kurz im Amt, dazu kommen die innerparteilichen Querschüsse und eine Partei, die sich in den letzten vier Jahren sehr stark mit sich selbst beschäftigt hat. Aber das ist besser geworden. Unsere Performance in den Regierungsverhandlungen mit ÖVP und Neos war wahnsinnig stark. Die Sozialdemokratie war die stabilste Fraktion, wir sind sehr geschlossen aufgetreten.
Ich kann nicht 2000 Gemeinden abfahren. Dort brauche ich funktionierende Apparate und Kampagnenfähigkeit.
Ganz so geschlossen war die SPÖ nicht: Hans Peter Doskozil, der rote Landeshauptmann mit dem stärksten Rückhalt in seinem Bundesland, wollte nicht, dass Sie verhandeln.
Babler
Genau. Das war einer, der nicht in den Bundesgremien ist und der das anders gesehen hat. Der wollte nicht einmal an den Tisch.
Auch Wiens Bürgermeister Michael Ludwig und der steirische Landesparteichef Max Lercher haben ihren Platz in den Bundesgremien geräumt.
Babler
Die Landesparteivorsitzenden können immer in die Gremien kommen. Und Michael Ludwig war bei den Gremien zu den Regierungsverhandlungen immer eingeladen.
Grundsätzlich bleibt er ihnen lieber fern.
Babler
Ja, gut.
Ein Schritt zurück: Was hätten Sie im Wahlkampf besser machen können?
Babler
Wir haben einen sehr entschlossenen Wahlkampf geführt, mit viel Krafteinsatz und Auftritten. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum wir unser Ergebnis halten konnten – trotz innerparteilicher Turbulenzen. Natürlich kann man immer noch etwas verbessern.
Zum Beispiel?
Babler
Wir hätten als Partei geschlossener auftreten und das Zusammenspiel von Gesundheit und Teuerung besser kommunizieren müssen. Niemand ist ohne Fehler. Es gibt sicher genug aufzuarbeiten. Aber das werde ich nicht im profil tun.
Viele in Ihrer Partei wollen die SPÖ in die Mitte bewegen. Und Sie?
Babler
Das ist gelebte Realität in der SPÖ. In den letzten Landtagswahlkämpfen haben die Landesparteien noch größere Schritte in die vermeintliche Mitte gemacht, und das hat auch nicht vor Verlusten bewahrt.
Sollten sich die Länder stärker an Ihrer Linie im Bund orientieren?
Babler
Die SPÖ ist die SPÖ. Das ist der Schirm. Aber bei Gemeinderats- und Landtagswahlen entscheidet jede Gemeinde, jede Stadt und jedes Land selbst, wie die Strategie aussieht und auf welche Themen gesetzt wird. Seit Mitte der 1980er-Jahre hat die Sozialdemokratie bei den klassischen Arbeitern nicht mehr die Nase vorn. Das schmerzt. Ich arbeite daran, dieses Vertrauen zurückzugewinnen. Das geht nicht mit einem Fingerschnippen. Aber ich glaube als jemand, der jahrelang in einer Fabrik gearbeitet hat, und mit meinem Politikverständnis bringe ich die notwendige Glaubwürdigkeit mit.
Warum setzen die Landesparteien dann nicht auf Sie?
Babler
Es ist die Entscheidung der Landesparteien, wie sie ihren Wahlkampf machen. Natürlich war ich im letzten Jahr stark präsent, vor allem in der Steiermark. Ich glaube, ich hatte keinen unwesentlichen Anteil daran, dass es für uns in Graz bei der Nationalratswahl so gut gelaufen ist. In der Fläche ist das komplizierter. Ich kann nicht 2000 Gemeinden abfahren. Dort brauche ich funktionierende Apparate und Kampagnenfähigkeit. Aufgrund von finanziellen Entwicklungen sind wir strukturell für den ländlichen Raum nicht optimal aufgestellt. Wir arbeiten daran, das zu ändern.
Die SPÖ hatte einen Masterplan für den ländlichen Raum ausgearbeitet und hat dort trotzdem massiv verloren. Warum?
Babler
Es hat kaum jemand darüber geschrieben. Das ist ein Problem. Es ist nicht angekommen.
Das liegt ja nicht nur daran, ob darüber berichtet wurde oder nicht.
Babler
Wir wissen aus den Nachwahlbefragungen, dass andere Themen die Debatte dominiert haben. Ganz ehrlich: Die Grundstimmung kann ich mir nicht aussuchen.
Die SPÖ befindet sich in ihrer längsten Oppositionsphase. Wie verändert das die Partei?
Babler
Die SPÖ lebt Staatsverantwortung auch in Opposition. Wir werden einiges anders machen als im Jahr 2017, als wir uns das erste Mal auf diese Phase der Opposition vorbereitet haben.
Was wird anders?
Babler
Das werde ich nicht in diesem Interview verraten. Aber ich habe bereits in den Parteigremien eine Richtung vorgeschlagen.
Sie müssen auch anders agieren: Die FPÖ sitzt nun in mehr Landesregierungen als die SPÖ, nun fällt womöglich mit dem Burgenland das nächste rote Bundesland. Hat die SPÖ das Regieren verlernt?
Babler
Das ist unfair gegenüber allen Genossinnen und Genossen in den Ländern. Das Problem liegt bei der ÖVP. Ich erinnere an Niederösterreich, wo sich ÖVP und FPÖ im Wahlkampf beschimpft und danach koaliert haben. Dasselbe in Oberösterreich, Salzburg, Vorarlberg, der Steiermark und im Bund.
In der Steiermark hätte auch die SPÖ mit der FPÖ koaliert – die wollte nur nicht.
Babler
Die Tendenz ist: Die ÖVP warnt vor der Wahl vor der FPÖ und koaliert danach mit ihr. Das finde ich nicht gut.
Ist es unglaubwürdig, dass die SPÖ im Bund nicht mit der FPÖ koalieren will, in den Bundesländern aber schon?
Babler
Das ist eine klare Beschlusslage im Bund. Wir sagen: Mit der FPÖ ist kein Staat zu machen.
Was unterscheidet die Kickl-FPÖ im Bund von der Kunasek-FPÖ in der Steiermark?
Babler
Meine Meinung dazu ist bekannt. Als Bundesparteivorsitzender bewerte ich die FPÖ im Bund. Landesbeschlüsse fällen die Landesorganisationen.
Erwarten Sie, dass Hans Peter Doskozil im Burgenland nach der Landtagswahl mit der FPÖ koaliert?
Babler
Ich warte einmal das Wahlergebnis ab.
Was wünschen Sie einem Kanzler Herbert Kickl?
Babler
Das will ich so nicht beantworten. Ich wünsche dem Land, dass man zur Vernunft kommt und nicht auf Kosten jener spart, die in der Teuerung schon für die Krise gezahlt haben.
Fotos: Alexandra Unger
Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.
Max Miller
ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.