Das radikal Böse

Titelgeschichte. Was hat ganz normale Männer im Krieg dazu gebracht, zweieinhalb Millionen Menschen zu erschießen?

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Man kennt das Verbrechen von Auschwitz. Man hat vielleicht auch schon vom Massaker von Babij Jar gehört, jener Schlucht bei Kiew, in der 33.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder innert 36 Stunden erschossen wurden. Man weiß von anderen namenlosen Orten, zu denen Deportationszüge fuhren. Man erinnert sich auch an die Empörung der Großväter, als eine Ausstellung erstmals die Verbrechen der Deutschen Wehrmacht in Osteuropa und am Balkan aufzeigte. Doch das wahre Ausmaß des Massenmords durch Erschießungen von Frauen, Kindern und Greisen ist bisher kaum ins Bewusstsein gedrungen. Oscar-Preisträger Stefan Ruzowitzky hat daraus einen Filmessay mit dem Titel „Das radikal Böse“ gemacht. Er bricht ein Tabu. Er spricht über den vergessenen Holocaust, die systematische Ermordung von etwa zweieinhalb Millionen Menschen in Osteuropa, die aus ihren Häusern geholt, auf Lastwagen verladen, zu ausgehobenen Gruben gebracht und an Ort und Stelle in ihr Grab geschossen wurden: Von SS und Waffen-SS, von einfachen Soldaten der Wehrmacht, von Schutzpolizisten, die zu Friedenszeiten noch den Verkehr geregelt hatten, von ganz normalen jungen Männern, die selbst Familienvater waren und Fotos ihrer Frauen und Kinder im Portemonnaie trugen.

Zwei Jahrzehnte nach der Ur-Katastrophe des Ersten Weltkrieges, der auf den Schlachtfeldern grausam wie nie zuvor geführt worden war, wurden nun millionenfach Unschuldige ermordet. „Was machen wir bloß? Was machen wir bloß?“, schrieb einer, der mitgemacht hatte, nach Hause. „Es war grauenhaft, wenn man die Leichen unter den Stiefeln spürte“, gestand ein anderer.

Ruzowitzky stellt die Frage, was Menschen dazu bringt, so zu handeln, dass sie die Werte ihrer Kultur ins Gegenteil pervertieren, warum ein angepasster Bürger zum Mörder wird, der auf wehrlose Menschen schießt, aus nächster Nähe, nicht im Affekt, sondern weil es befohlen wurde und weil auch die anderen es taten. Ruzowitzky hält sich nicht mit historischen Details des Feldzuges der Deutschen im Osten auf, auch nicht mit der genauen Angabe von Schauplätzen und den dazugehörigen Einheiten. Seine Genauigkeit liegt auf einem anderen Feld. Der Film basiert auf Originalzitaten der Täter. Aus dem Off werden Passagen aus Feldpostbriefen, Tagebüchern und Gerichtsprotokollen zitiert. Ruzowitzky möchte zeigen: Das Böse beginnt harmlos.

Lesen Sie die Titelgeschichte von Marianne Enigl und Christa Zöchling in der aktuellen Printausgabe oder als e-Paper (www.profil.at/epaper)!