Jahresrückblick

Das war 2024: Am Würstelstand kommt frischer Wind in die FPÖ-Finanzaffäre

Die prägenden Stunden des Jahres. Montag, 15. April, 21.30 Uhr: Ein Ex-Freiheitlicher will kurzzeitig doch nicht im Alleingang über 700.000 Euro veruntreut haben.

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Der steirische Frühling 2024 verläuft überdurchschnittlich warm – bis zum 15. April. Kalter Wind kündigt an diesem Montag einen harten Temperatursturz an: Von fast 30 Grad Celsius am Sonntag auf knapp über null Grad am Dienstag. 

Gleichzeitig wirbelt dieser 15. April auch die Ermittlungen gegen die FPÖ Graz durcheinander, in denen der neue steirische Landeshauptmann Mario Kunasek (FPÖ) als Beschuldigter geführt wird. Denn an einem Würstelstand direkt vor dem Grazer Rathaus nimmt ab 21.30 Uhr der selbst erklärte Einzeltäter in einem der größten Parteifinanzierungsskandale der Republik sein Geständnis zurück. Und wird dabei heimlich aufgenommen.

Rund 1,8 Millionen Euro an Steuergeld sind über die Jahre bei den Grazer Freiheitlichen verschwunden. Die Frage ist nur: Wohin? Durch einen Whistleblower wurden im Herbst 2021 eigenartige Geldflüsse von der Partei in Richtung des ehemaligen Grazer Vizebürgermeisters und Ex-Finanzreferenten der blauen Bundespartei, Mario Eustacchio, bekannt. Nach Berichterstattung der „Kleinen Zeitung“ gestand der damalige Finanzreferent der FPÖ Graz, Matthias Eder, zwischen 2014 und 2021 710.000 Euro an Parteigeldern veruntreut zu haben – im Alleingang. Er zahlte das Geld zurück und hoffte, damit tätige Reue gezeigt zu haben.

Doch die Staatsanwaltschaft Klagenfurt glaubt nicht an diese „Einzeltäter-Theorie“. Allein schon weil für Behebungen von diversen Konten der Partei immer zwei Personen unterschreiben mussten. Neben Eustacchio und Eder ermittelt sie gegen vier Vereine im Umfeld der FPÖ, vier Burschenschaften und sechs weitere (Ex-)Freiheitliche, die sich bereichert haben sollen. Darunter: der steirische FPÖ-Chef und Neo-Landeshauptmann Mario Kunasek. Die Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Die Ermittlungen verliefen lange Zeit schleppend. So sehr, dass eine Gruppe von Ex-Freiheitlichen beschloss, selbst Licht ins Dunkel zu bringen – oder den Ermittlern zumindest unter die Arme zu greifen. Einer von ihnen ist Alexis Pascuttini. Der frühere Grazer FPÖ-Klubchef wurde aufgrund seiner Aufklärungsbemühungen aus der FPÖ ausgeschlossen. Pascuttini behielt jedoch sein Mandat im Gemeinderat – und gründete den (Korruptions-)Freien Gemeinderatsklub (KFG), der Akteneinsicht ins Strafverfahren hat. Außerdem produzierte Pascuttini auf seine ganz eigene Art und Weise neues Material für den Ermittlungsakt.

Alexis Pascuttini am Dienstag, 7. Mai 2024, anl. einer Sitzung des U-Ausschusses zum "Rot-Blauen Machtmissbrauch" im Parlament in Wien.

Lange Nacht am Würstelstand

Am 15. April verlassen Pascuttini und drei seiner Mitstreiter das Grazer Rathaus gegen 21.30 Uhr. Da die meisten Lokale bereits geschlossen sind, steuert die Gruppe einen Würstelstand direkt am Grazer Hauptplatz, nur wenige Schritte vom Rathaus entfernt, an.

Sie sind nicht die einzigen Gäste: Ein Mann mit längerem Haar, das Gesicht hinter einem Vollbart versteckt, spricht sie von der Seite an. Obwohl Pascuttini für Eder gearbeitet hat und sein „Korpsbruder“ in der Burschenschaft war, erkennt er Matthias Eder nicht auf den ersten Blick. Das enge Verhältnis der beiden Männer endete mit der Finanzaffäre: Eder will allein für die Untreue verantwortlich sein und mit der Sache abschließen, Pascuttini hält seinen früheren Chef für ein Bauernopfer und schreibt ein Enthüllungsbuch über die Causa.

Das Wiedersehen am Würstelstand ist zunächst wenig freundschaftlich: Eder beginnt „unverhohlene Drohungen, insbesondere Alexis Pascuttini gegenüber, zu äußern“, heißt es später in einem Beweisantrag des KFG. Zwei von Pascuttinis Mitstreitern drehen heimlich die Aufnahmefunktion ihres Handys auf. Dadurch kann die Staatsanwaltschaft nachhören, wie Eder in dieser kalten Aprilnacht an seiner eigenen Einzeltäter-Theorie rüttelt:

Eder

I hab an mordstrum Schas geliefert. Wüllst du des jetzt jemals schönreden? I bin schuld.

Pascuttini

Ja, und die anderen net? Die anderen lafen durch die Gegend, als wär nix.

Eder

De san harmlos gegen mi.

Pascuttini

Ja geh! Du bist das Bauernopfer, das sag i dir ganz offen!

Eder

Na, i bin ka Bauernopfer, i bin schuld.

Pascuttini

Na!

Eder

Mir hat das gfallen, den Superhabi zu geben.

Mitstreiterin Pascuttini

Ja, aber den Schas wirst da ja net ausgedacht haben, du allanig. Tuat ma echt lad, aber des …

Eder

Aber i bin da Meistschuldige an der Gschicht, wüllst du des jetzt stundenlang diskutieren? Alexis, wenn wir uns jemals vor Gericht treffen, bin i der Habi, der allan schuld ist, und Ende.

Pascuttini

Ja, und wir kennan’s widerlegen. Tuat ma lad, des is halt.

Eder

Du kannst nix widerlegen.

Pascuttini

Das meiste! Schau, schon allao der, der jetzt a Geständnis ablegen wird, reißt eich alle eine. Mit Sicherheit.

Eder

Der Volltrottel. Dass ich für die ganzen Eierdodeln meinen Schädel hinghalten hab, find ich eh erbärmlich.

Pascuttini

Ja, warum tuast’es denn? Die meisten Leit, die zu mir gsagt haben, angfangen von den Stadträten, die du kennst, und zu den anderen, hab i gsagt, der Hias Eder, des glaubt ja ka Mensch!

Eder

Super toll, wüllst du deine eigene Freunde verraten? Also dass du so a erbärmliche …

Mitstreiterin Pascuttini

Prost!

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.