Das war 2024: Herbert Kickl bringt Van der Bellen eine Baby-Eule
Von Iris Bonavida
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Bevor die großen Fragestellungen besprochen werden – zum Beispiel: Regierungsbildungsauftrag oder nicht? –, will die Hofburg von ihren Gästen etwas ganz Banales wissen: Wasser oder Espresso? Die Auswahl ist nicht auf diese beiden Getränke begrenzt, auch ein Cappuccino wäre möglich, aber proaktiv werden traditionell nur diese zwei Optionen angeboten.
Herbert Kickl wird das nicht stören. „Gerade an langen und stressigen Tagen freue ich mich über das eine oder andere Häferl“, berichtete er einmal am Tag des Kaffees. Man darf davon ausgehen, dass sich der 21. Oktober für ihn besonders lang und stressig anfühlt, vor allem ab 13.30 Uhr. Nachdem Kickl Wasser oder Espresso angeboten worden sind, wird sich entscheiden, ob der FPÖ-Chef eine Chance auf das Bundeskanzleramt hat.
Wie viele Tassen Herbert Kickl in seiner Stunde bei Van der Bellen trinkt, ist nicht überliefert, es gilt das eherne Gesetz: Was hinter der Tapetentür passiert, bleibt hinter der Tapetentür. Die wichtigsten Unterhaltungen werden unter vier Augen geführt, eine Ausnahme wird nur für Hofburg-Hund Juli gemacht. Als „verschwiegenste Mitarbeiterin“ bekannt, darf sie in ihrem Körbchen oder auf den vielen Sesseln auch bei heiklen Gesprächen dabei sein.
Herbert Kickl kennt das Prozedere gut. Zuletzt war er vor zweieinhalb Wochen hier, kurz nach der Nationalratswahl. Sein eindeutiger Sieg hat dazu geführt, dass er als erster Parteichef in die Hofburg geladen wurde. Heute dreht Bundespräsident Alexander Van der Bellen eine zweite, entscheidende Runde.
Ein schwarzer Mercedes fährt Kickl an diesem Montag überpünktlich vor. Der Fußweg vom Parlament und der FPÖ-Parteizentrale ist zwar nicht einmal einen Kilometer lang, aber im Wagen ersparen sich Politiker, von Passanten angesprochen zu werden. Im Maria-Theresien-Zimmer, Vorraum des Präsidentenbüros und Schauplatz zahlreicher Angelobungen, trennt eine Kordel Medien und Politik. So können Journalisten am 21. Oktober mit einigen Metern Entfernung beobachten, wie Alexander Van der Bellen Herbert Kickl mit einladender Geste durch die Tapetentür bittet.
Herbert Kickl ist gut vorbereitet, er hat eine Stoffaktentasche bei sich. Womöglich hätte dort auch das Gastgeschenk Platz gehabt, das er zur Überraschung aller mitgebracht hat. Aber das blaue Päckchen sorgt halt für mehr Aufmerksamkeit, wenn es in der Hand gehalten wird. So kann die Öffentlichkeit eine Stunde lang über den Inhalt rätseln. Die Auflösung: Es handelt sich um eine Eule aus Swarovski-Kristallen. Das FPÖ-Team hatte eine breite Auswahl aus dem Sortiment, entschied sich gegen das Modell „Harry Potter Hedwig“ und das „Feathered Beauties Eulenpaar“ und wählte „Idyllia Baby“ (um 90 Euro im Angebot). „Seine großen Augen und sein schneebedeckter Kopf machen dieses Eulenbaby einfach unwiderstehlich“, erläutert die Produktinformation. Die Freiheitlichen interessierte wohl eher die symbolische Botschaft. Eulen stehen für Weisheit. Van der Bellen solle eine kluge Entscheidung fällen.
Als offizielles Geschenk an den Bundespräsidenten wird „Idyllia Baby“ inventarisiert und archiviert. Allerdings wird es aller Voraussicht nach nicht lange in der Präsidentschaftskanzlei bleiben. Als Symbol für diese eine entscheidende Stunde könnte die Eule bald im Haus der Geschichte Österreich zu sehen sein. Das Tier ist immerhin vielseitig einsetzbar: „Diese bezaubernde Kreation verschönt Ihre Innendeko und macht viel Freude“, schreibt Swarovski.
Putin, Charles, Kickl
Van der Bellens Büro hat das allerdings nicht nötig, der Raum hat genug „habsburgisches Ambiente“, wie es der Präsident einmal nannte: schnörkelverzierte Sessel, Spiegel im güldenen Rahmen, Kronleuchter und Gemälde, etwa von einer Opernaufführung des 18. Jahrhunderts. Van der Bellens schlichter, grauer Besprechungstisch fällt klar aus dem Rahmen, obwohl er auch selbst gewissermaßen historisch ist. Auf diesem Tisch saßen schon der russische Machthaber Wladimir Putin, König Charles, formerly known as Prince – und an diesem Tag eben FPÖ-Chef Herbert Kickl.
Eule als Gastgeschenk
„Seine großen Augen und sein schneebedeckter Kopf machen dieses Eulenbaby einfach unwiderstehlich“, schreibt Swarovski über das Eulen-Baby, das die FPÖ um 90 Euro angekauft hat.
Alles, was man aus Gesprächen in diesem Rahmen weiß, geht auf kleinere oder größere Indiskretionen zurück. Johannes Frischmann, enger Mitarbeiter des damaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz, erzählt in seinem neuen Buch davon. „Meine Erwartungen werden enttäuscht“, hält er dort trocken fest. „Zunächst muss ein Aschenbecher für den Herrn Bundespräsidenten geholt werden. In der für alle im Land bekannten Ruhe holt sich der Herr Präsident gemütlich eine Zigarette aus der Packung und zündet sie an.“ Das, was Kurz und Van der Bellen einander damals zu sagen hatten, war nach wenigen Minuten ausgesprochen. Aber aus Höflichkeit und um den Anschein zu erwecken, dass es langwierige Unterhaltungen waren, blieb die Runde sitzen und plauderte über alles Mögliche. „Ansonsten vertreibt man sich eine Dreiviertelstunde die Zeit bei Kaffee (und Zigaretten), um der Öffentlichkeit zu suggerieren, dass hinter der roten Tapetentür eifrig beraten wird“, schreibt Frischmann. Peinliches Schweigen sei jedenfalls zu vermeiden. Denn in Alexander Van der Bellens Büro steht eine Pendeluhr, die sehr laut tickt und jeden Moment der Stille noch unangenehmer erscheinen lässt.
Am 21. Oktober um 13.30 Uhr gibt es aber genug Gesprächsbedarf – und wohl schon eine Entscheidung. Am nächsten Tag teilt Van der Bellen der Öffentlichkeit mit: „Bisher war es nach Wahlen üblich, dass der Bundespräsident den Vorsitzenden der jeweils stimmenstärksten Partei mit der Führung von inhaltlichen Gesprächen beauftragt hat. Diesmal habe ich das nicht getan, weil diesmal der vollkommen unübliche Fall eingetreten ist, dass es eine stimmenstärkste Partei gibt, mit der allem Anschein nach keine der anderen Parteien zusammenarbeiten will.“ Herbert Kickl ist mit dieser Entscheidung nicht glücklich. „Aber ich verspreche Euch“, schreibt er an seine Fans: „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Heute ist nicht aller Tage Abend.“
Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.