Debatte: Alle reden über den Islam, nur muslimische Politiker nicht
Gut, wenn es Menschen in Parteien gibt, die sich auskennen. Sonst würden sie, so wie die FPÖ immer wieder gern, lauter IS-Sympathisanten im Land vermuten. Die Anhänger der Terrororganisation posieren gerne mit dem hochgestreckten Zeigefinger. Die Geste ist aber viel älter als der IS und in österreichischen Schulen, Parks oder auf Facebook mittlerweile Ausdruck von Coolness - das Victory-Zeichen des Pop-Islam.
Der Islam und seine Lebenswelten sind ins Zentrum politischer Debatten gerückt. Das Wissen über die Lebensrealitäten der Communitys ist aber gering. Umso gefragter wären Politiker mit muslimischem Background oder Wurzeln in muslimischen Ländern. Mit dem Flüchtlingsstrom wächst die Zahl der Muslime massiv. Ist ihre gelebte Alltagsreligion Hilfe oder Hürde bei der Integration? Nach den Vorfällen in Köln und anderen Übergriffen entflammte die Debatte, ob das Frauenbild der Flüchtlinge vereinbar ist mit Grundwerten wie der Gleichstellung von Mann und Frau. Aktuell wird diskutiert, wie in Wien trotz aller Kontrollen Kindergärten eröffnet werden konnten, die "von Salafisten und Islamisten dominiert“ sind. So steht es zumindest in einer Studie des Professors für Islam-Pädagogik an der Uni Wien, Ednan Aslan, die er für Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) verfasst hat.
Die Studie ist typisch dafür, wie kritische Islam-Debatten in Österreich laufen - nämlich unter Ausschluss von Politikern, die am meisten darüber wüssten. Erstens gibt es, gemessen am Bevölkerungsanteil, viel zu wenige Politiker mit muslimischer Prägung. Warum, das wäre eine eigene Analyse wert. Zweitens beschränken sich die wenigen lieber auf die Kritik an den Kritikern. "Ich stelle die Behauptungen Aslans grundsätzlich infrage. Religiös oder konservativ zu sein, begründet noch lange keinen Generalverdacht“, sagt der Wiener SPÖ-Gemeinderat Omar Al-Rawi. Er ist praktizierender Muslim und stammt aus dem Irak. "Die muslimische Community ist vielfältig und umfasst alle Strömungen. Salafisten betreiben in Wien aber weder Schulen noch Kindergärten.“
Wichtiges Wähler-Reservoir für SPÖ
Al-Rawi ist ein linker Politiker einer säkularen Partei, der sich für konservativ-religiöse Menschen ins Zeug legt. In seinem Fall passt das, weil er seit 2000 aktiv um die Stimmen der Wiener Muslime wirbt. Ein wichtiges Wähler-Reservoir für die SPÖ. Kritik an Aslan zieht in der Community. Der Einzelkämpfer ist eine Reizfigur und Gegenstand zahlreicher Schmähungen im Internet, an denen sich auch Al-Rawi beteiligt hat. Aktuell verspottet die Auslandsfiliale der türkischen Erdogan-Partei AKP Aslan in einem Video-Comic - und Sebastian Kurz gleich mit.
Die Grüne Abgeordnete Alev Korun, die aus der Türkei stammt, kritisiert, dass Aslan nur wenige Kindergärten direkt untersuchte. "Es braucht eine Studie auf breiter Basis über fundamentalistisch-salafistische Gruppen.“ Sie selbst habe "abseits der Medienberichte vor Jahren nachhaltige Kontrollen eingefordert“. Auch Al-Rawi beteuert, er sei "der erste Politiker gewesen, der 2004 radikale Tendenzen in vier Moscheen thematisiert“ habe.
"Abseits der Medien“: Das ist der springende Punkt. In SPÖ und ÖVP gilt es als ungeschriebenes Gesetz, über muslimische Communitys nur intern zu diskutieren, um Islamskepsis und Islamophobie nicht weiter zu nähren und damit der FPÖ den nächsten Elfmeter aufzulegen. "Je fremdenfeindlicher die Stimmung, desto stärker nehmen muslimische Politiker die Rolle des Verteidigers ein“, sagt der kurdischstämmige Soziologe Kenan Güngör.
Politiker wie Al-Rawi stellen sich vor die Muslime wie Beamtenvertreter vor Staatsdiener - und dabei notfalls gegen die eigene Partei. Al-Rawi kritisiert noch heute, dass SPÖ und ÖVP das Islamgesetz beschlossen und damit den direkten Draht der Türkei zu Hunderten Moscheevereinen in Österreich kappten.
Politiker wie Korun oder die türkischstämmige SPÖ-Abgeordnete Nurten Yilmaz dagegen sind weniger verankert in den Communitys. "Ich fühle mich nicht verantwortlich, was Hunderttausende Moslems in Österreich tun“, sagt Yilmaz, die sich als "Taufschein“-Muslima bezeichnet. "Mehr als jede ‚westliche‘ Frau bin ich jedoch manch salafistischen oder fundamentalistischen Männern ein Dorn im Auge, weil andere Frauen sehen, was alles möglich wäre in diesem Land.“ Und sie beruhigt: "Ich weiß aus langjähriger Erfahrung im Wiener Gemeinderat, dass die gesetzlichen Möglichkeiten gegen fundamentalistisches Treiben ausgereizt werden - nicht zuletzt durch mein Tun.“ Nun wäre Zeit für eine Debatte, ob das gereicht hat. Im selben Islam-Kindergarten arbeitete erst Hassprediger Mirsad O. und bis vor Kurzem eine Tschetschenin, die für den IS Propaganda machte, fand "NZZ.at“ heraus.
"Steigert Misstrauen"
Güngör bezweifelt, ob Zurückhaltung in Integrationsdebatten generell noch angebracht ist. "Bei Fragen, die uns als gesamte Gesellschaft betreffen, gibt es kein Hinterland mehr. Das Schweigen kommt manchmal dem Ausblenden gleich. Es reduziert nicht das Misstrauen, sondern steigert es.“ Es gehe nicht mehr um kleine Minderheiten, sondern um die Mitte der Gesellschaft. In Wien gibt es Schulen mit deutlich über 50 Prozent Schülern muslimischer Prägung. In manchen Teilen österreichischer Städte bilden Muslime zumindest zahlenmäßig schon eher die Mehrheitsgesellschaft.
Würde sich Österreich als Migrationsgesellschaft begreifen, könnte man offener und unbefangener über alle Seiten der Gesellschaft reden. Dieses Umdenken ist laut Güngör überfällig. Dann würde man bei rechtsextremen oder nationalistischen Strömungen eben nicht nur manch deutschnationale Burschenschaften, sondern auch bestimmte türkische, serbische oder kroatische Vereine unter die Lupe nehmen. Doch die Debatte scheitert daran, dass die Gruppen a priori in Gut und Böse aufgeteilt werden. Durch die linke Brille betrachtet, ist die Mehrheitsgesellschaft der Österreicher böse und diskriminierend, weil sie Minderheiten unterdrückt; das macht die Minderheiten zu passiven Opfern und den Guten. Aus der rechten Brille ist es das gleiche Schema, nur spiegelverkehrt: Hier sind die Österreicher die Guten und von bösen Migranten in ihrer kulturellen Existenz bedroht.
Die Realität liegt zwischen diesen Polen. Und auch wenn Yilmaz sagt, es sei nicht ihre Aufgabe, "in den Wohnzimmern und Gebetsräumen herumzuschnüffeln“, kann der Islam mit seinem allumfassenden Anspruch auf Politik und Alltag keine Sperrzone für seriöse Debatten jenseits von Gut und Böse mehr sein. Das sehen auch manche Linke so. "Wien darf wegen der Religion nicht auseinanderdriften. Selbst innerhalb des Islam sind bereits Parallelgesellschaften entstanden, die sich in verschiedenen Moscheen gruppieren. Das kann so nicht funktionieren“, sagt Gökhan Keskin. Er kam 1980 aus der Türkei nach Wien und ist gut vernetzter Unternehmer. Seit 15 Jahren ist er Parteimitglied der SPÖ. Er sieht die Gefahr, dass die Religion eine zu dominante Rolle in der Gesellschaft einnimmt. Ist es schon so weit?
Einiges zu verbergen?
Aslan schreibt in der Studie, dass Eltern ihre Kinder in den Islam-Kindergärten "vor dem moralischen Einfluss der Mehrheitsgesellschaft schützen“ wollten. Wenn das nur ansatzweise zutrifft, driftet die Gesellschaft bereits auseinander - nicht nur wegen der Islam-Hasser. Es gibt offenbar einiges zu verbergen. Aslan konnte nur einen Teil der Kindergärten untersuchen, weil sich manche schlicht weigerten oder sämtliche Inhalte im Internet löschten.
Asdin El-Habbassi (29) ist ÖVP-Nationalratsabgeordneter mit marokkanischen Wurzeln. Über den Islam spricht er selten, lieber über Pensionen für die Jungen. Er hält die Mehrheit der Muslime für gut integriert, ortet aber "Tendenzen zu Parallelgesellschaften - da dürfen wir nicht wegschauen“. Problematisch sei, dass die Moscheen meist national geprägt und organisiert sind. Das erschwere die österreichische Identität von Menschen mit muslimischem Background. Er plädiert dafür, dass "Missstände vor allem aus den Communitys offen angegangen und behoben werden“. Parteikollegin Sirvan Ekici, die von 2005 bis 2010 für die ÖVP im Wiener Gemeinderat saß, sieht die Islamische Glaubensgemeinschaft in der Pflicht. Unter ihrem Dach sollten alle Islam-Kindergärten gesammelt werden. Politiker mit tieferen Einblicken in die Communitys hätten außerdem eine besondere Verantwortung, die Probleme laut anzusprechen.
Ekici ist heute Unternehmensberaterin. In derselben Sparte ist Efgani Dönmez gelandet. Der ehemalige Grünen-Bundesrat übertrieb es mit seiner Kritik am Treiben der "nationalistisch-islamistischen“ Vereine. "Das war nicht karrierefördernd“, sagt er. Bei der vergangenen Wahl wurde sein Mandat nicht verlängert. Hungrig ist er noch. Für alle Parteien außer der FPÖ kann er sich eine Rückkehr vorstellen. Was ihn aktuell aufregt: Dass nun auch Flüchtlinge an diese "reaktionären Gruppen“ andocken, also die Islam-Vereine, auf die er sich einschießt. "Dort entstehen die Probleme der Zukunft“, sagt Dönmez, ohne konkret zu werden. Die vage und deswegen angreifbare Kritik war schon immer seine Stärke. Den Grünen reichte es irgendwann.
Seither erklären wieder rein österreichische Politiker wie FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, was falsch läuft in der Welt der Muslime. Sie hätten sich eine konstruktivere Kritik verdient.