Debatte über Kampfhunde: Sieben Wochen nach der Tragödie
Anfang Oktober töteten Hunde eine Joggerin in Oberösterreich. Seither wird gestritten: über Kampfhunde, Beißtrainings und rechtliche Graubereiche. Die Emotionen gehen hoch, die Rhetorik ist scharf. Es ist ein Reizthema.
Am Rand der schmalen Schotterstraße steckt ein Holzkreuz in der Erde. Die Vorderseite ist schwarz gestrichen, rundherum stehen Grablichter. Manche von ihnen sehen neu aus, aber in der stürmischen Novemberluft brennen sie nicht. Am 2. Oktober ist hier – zwischen zwei Maisfeldern, am Rande einer Siedlung in der oberösterreichischen Ortschaft Naarn – Herta A. gestorben. Beim Joggen von Hunden totgebissen.
Seither tobt eine Debatte. Sie dreht sich um die Frage, wie man solche Tragödien verhindern kann. Geführt wird sie nicht nur von den zuständigen Politikern. Hundebesitzer und Tierschützer melden sich zu Wort, im Internet kursiert eine Petition mit Zehntausenden Unterzeichnern. Knapp 630.000 Hunde gibt es laut offiziellen Zahlen in Österreich, sie sind ein gesellschaftliches Reizthema.
Der Kultkampfhund
Knapp 100 Meter vom Todesort in Naarn entfernt steht ein zweistöckiges Haus. Der dazugehörige Garten ist an allen vier Seiten von einem Zaun umgeben, an manchen Stellen ist er mit Holz verstärkt und fast zwei Meter hoch. Hier hat Kerstin N. gelebt, die Besitzerin der drei Hunde, die A. getötet haben. Bei der polizeilichen Einvernahme sagte sie, dass sie mit drei angeleinten Tieren unterwegs war, sie aber nicht mehr zurückhalten konnte. Sie zog sich selbst schwere Verletzungen zu.
Bei den Hunden handelte es sich um American Staffordshire Terrier, kurz AmStaff. Ihre Vorfahren wurden Anfang des 19. Jahrhunderts in den englischen Midlands für Hundekämpfe gezüchtet. Sie genießen Kultstatus: Ein deutsches Modelabel ist nach ihnen benannt, in vielen HipHop-Videos sind sie in markanter Pose oder mit gefletschten Zähnen zu sehen. Es gibt in Österreich sogar einen eigenen Verband, in dem sich die Züchter der AmStaff zusammengeschlossen haben. Der Verein reagierte nicht auf Anfragen von profil.
Ausgewachsene AmStaff-Exemplare messen bis zum Halsansatz ungefähr einen halben Meter und werden bis zu 30 Kilogramm schwer. Sie haben ein kräftiges Gebiss. In Niederösterreich, Vorarlberg und Wien – die Hundehaltung ist Ländersache – gehören die AmStaffs zu den sogenannten Listenhunden. Das sind Rassen, von denen eine besondere Gefährlichkeit ausgehen soll. Wer sie hält, muss sie außerhalb von Privaträumen immer an der Leine und mit Maulkorb führen. Unumstritten ist das nicht: Viele wissenschaftliche Gutachten zeigen, dass die Rasse eines Hundes nur einen geringen Einfluss auf dessen Aggressivität oder Temperament hat. Der AmStaff gilt, wenn gut erzogen, in manchen Ratgebern sogar als freundlicher Familienhund.
Das Scharfmachen von Hunden, das vielerorts unter dem Deckmantel des Hundetrainings passiert, ist durch nichts zu rechtfertigen.
Alois Rauch
Tierschutzminister
Sinkende Beißhemmung
Die Debatte über die Listenhunde ist ein Nebenschauplatz geworden. Stattdessen gehen in der Diskussion um die Schutzhundeausbildung die Wogen hoch. Sie kommt bei Polizei und Militär zur Anwendung, kann aber – in abgeschwächter Form – auch von Privaten absolviert werden. Diese umfasst neben dem Erlernen von Kommandos wie „Fuß gehen“ und „Voraus“ auch das Beißen in einen durch einen Überzug geschützten menschlichen Arm. Nach der Tragödie in Naarn wurden Fotos öffentlich, die die Hundebesitzerin N. beim Training mit ihren Hunden und einem Schutzärmel zeigen.
Genau das will Tierschutzminister Johannes Rauch (Grüne) – da der Hundesport über das Tierschutzgesetz geregelt wird, ist diese Angelegenheit Bundesmaterie – verbieten. „Das Scharfmachen von Hunden, das vielerorts unter dem Deckmantel des Hundetrainings passiert, ist durch nichts zu rechtfertigen“, sagte Rauch Anfang November. Die Tierschutzorganisation Pfotenhilfe begrüßte den Vorstoß, weil im Zuge der Schutzhundeausbildung die Tiere mit Stockschlägen trainiert werden. „Mir hat noch niemand erklären können, was der Sinn dieser Ausbildung für Private sein soll“, sagt der oberösterreichische Tierschutzlandesrat Michael Lindner (SPÖ), der Rauchs Vorschlag unterstützt.
„Ein Verbot geht in die völlig falsche Richtung“, sagt Philipp Ita, Vorstand des Österreichischen Kynologenverbands (ÖKV), der Dachorganisation des Hundewesens. Ihre Mitglieder betreiben Hundeschulen, Hundesport- und Hundeausbildungsplätze und sind Züchter. „Wir alle wollen Hunde, die folgen und gesellschaftsverträglich sind. Dazu leistet der Gebrauchshundesport, zu dem auch diese Ausbildung zählt, einen Beitrag.“ Ita verweist auf wissenschaftliche Gutachten, die belegen, dass der Gebrauchshundesport die Aggressivität gegenüber Menschen nicht steigert. Der Biss in Jutearm oder die Beißwurst würde die Beißhemmung gegenüber Menschen nicht reduzieren. Diese Gegenstände werden vom Hund wie jedes andere spielerische Beutestück gesehen werden, der Mensch sei stets tabu.
Wie sehr das Thema aufregt, zeigt eine Online-Petition. Sie liegt unter dem Titel „Erhaltung des Internationalen Gebrauchshundesports“ auf der Webplattform „change.org“ auf und mobilisiert gegen das Verbot der Schutzhundeausbildung. „Unterfertigt diese Petition und bewahrt so unsere Hunde vor der Willkür mancher Politiker, Medien und selbsternannten Tierschützer“, heißt es im Begleittext. Über 40.000 Menschen haben sie seit dem 8. November unterzeichnet.
Der American Staffordshire Terrier hat Kultstatus und gehört zu den beliebtesten Haustieren.
Der American Staffordshire Terrier hat Kultstatus und gehört zu den beliebtesten Haustieren.
Konsumgut Hund
ÖKV-Vorstand Ita gesteht ein Problem allerdings ein: die private und verantwortungslose Scharfmacherei im Garten, in Hinterhöfen oder Garagen, die mit dem Gebrauchshundesport nichts zu tun hat.
„Es gibt viele Gesetze. Die Leute halten sich aber nicht daran oder finden Lücken“, sagt die Leiterin des Linzer Tierheims Bettina Hubner* beim Gespräch mit profil in ihrem Büro. Ihre Einrichtung ist mit 47 Hunden – 18 von ihnen AmStaffs – voll belegt, im ganzen Bundesland gibt es kaum freie Plätze in den Tierheimen. Viele Hunde, sagt Hubner, kommen über den Schwarzmarkt nach Österreich, in Osteuropa gezüchtet, unerlaubt eingeführt. Oder sie werden in nicht bewilligten Zuchtstätten hierzulande vermehrt und verkauft.
Die notwendige Vorbereitung auf einen Kauf entfalle zudem immer häufiger. „Für viele Menschen ist der Hund ein Konsumgut geworden“, sagt Hubner, die seit 2001 im Tierheim arbeitet. „Sie kaufen einen, bemerken aber nach wenigen Tagen, dass er nicht mit ihrem Leben kompatibel ist.“ Um viele Schützlinge des Tierheims kümmern sich Freiwillige, die eine Patenschaft übernommen haben, mit den Hunden Gassi gehen oder Trainings absolvieren. „Aber du weißt nicht, in welchem Umfeld sie bis dato gelebt haben“, sagt die Leiterin. „Es sind mitunter komplizierte Fälle, einige werden wohl ihr restliches Leben bei uns verbringen.“
Abhilfe könnte eine Art Hundeführerschein schaffen – eine notwendige Ausbildung, wenn der eigene Hund noch ein Welpe ist. Bisher gibt es solche Modelle lediglich in Niederösterreich und Wien, und dort gelten sie nur für die Listenhunde. In Niederösterreich ist ein zehnstündiger Kurs zu absolvieren, in der Bundeshauptstadt wird eine Prüfung mit praktischem und theoretischem Teil verlangt. Nach dreimaligem Durchfallen wird der Hund abgenommen. 459 solche Prüfungen wurden in Wien im Vorjahr absolviert, 20 Teilnehmer scheiterten, teilte die zuständige Magistratsabteilung auf Anfrage mit. Zu einer Abnahme aufgrund nicht bestandener Prüfungen kam es nicht.
In Naarn erinnert ein Holzkreuz an die Verstorbene. Der Ort kommt nach der Tragödie nur langsam zur Ruhe.
4020 in Linz
Eine Art Führerschein kann sich auch der Landesrat Lindner gut vorstellen. In Oberösterreich soll eine Praxisausbildung Pflicht werden, wenn die Hunde größer als 40 Zentimeter oder schwerer als 20 Kilogramm sind – die „4020“-Regel nennt er das. „Es geht ja nicht nur um die sogenannten Kampfhunde, sondern beispielsweise auch um Schäferhunde“, sagt er. „Wenn sich Menschen einen solchen zulegen, müssen sie wissen, dass das eine Verantwortung mit sich bringt.“ Den Vorschlag habe er gemeinsam mit einer Gruppe an Experten ausgearbeitet, nächste Woche präsentiert er ihn im Unterausschuss des Landtags. Die notwendigen Stimmen dafür müssen allerdings von den Fraktionen der ÖVP und der FPÖ kommen, die das Land regieren. „Sie haben sich bisher nur sehr zögerlich positioniert“, sagt Lindner. „Ich bin konsensorientiert. Schauen wir einmal.“
Naarn ist in der Zwischenzeit noch nicht wieder zur Ruhe gekommen. In der vergangenen Woche wurden in der Ortschaft zwei Hunde mit Giftköder vergiftet. Außerdem hat die Gemeinde der Hundehalterin N. ihre Tiere abgenommen. Eines wurde eingeschläfert, die anderen an eine Züchterin weitergegeben. Über sie wurde ein lebenslanges Hundehalteverbot erlassen. Die Frau hat dagegen Berufung angemeldet.
Richtigstellung: In einer ersten Fassung dieses Artikels lautete der Name der Linzer Tierheimleiterin Ursula Hubner statt richtigerweise Bettina Hubner. Wir bedauern diesen Fehler.
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Moritz Ablinger
war bis April 2024 Redakteur im Österreich-Ressort. Schreibt gerne über Abgründe, spielt gerne Schach und schaut gerne Fußball. Davor beim ballesterer.