James Camerons' 3-D-Film "Avatar"

Der 3-D-Fantasyfilm "Avatar" von James Cameron: Rausch aus dem Rechner

Technisches Wunderwerk & erzählerische Banalität

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Von Robert Weixlbaumer

42 Lichtjahre von der Erde entfernt sieht die Welt noch blauer aus. Keine 24 Stunden überlebt ein normalsterblicher Mensch in der Wildnis von Pandora, aber ihr Anblick verspricht reine Wunder. In den Lichtungen der Urwälder blühen rosa- und türkisfarbene Federbüsche neben leuchtenden Beerengräsern am Fuße 300 Meter hoher Bäume, die hier seit 10.000 Jahren stehen. Dazwischen pulsieren durchsichtige Luftquallen durch den Äther und tanzen auf den Körpern der Na’vi, der humanoiden Ureinwohner von Pandora. Wie dreieinhalb Meter hohe Mischungen aus Raubkatze und Mensch erscheinen die Na’vi, mit tiefblauer Haut und eisernen Lungen. Die Atmosphäre des Planeten können nur sie schadlos atmen. Den intergalaktischen Kolonisatoren von der Erde, die darangehen, ihre Welt zu zerstören, verätzt die Luft von Pandora die Lungen.

Diese halb paradiesische, halb höllische Welt hat James Cameron, 55, erdacht, in den mehr als zehn Jahren, seit er 1997 mit „Titanic“ den mit 1,8 Milliarden Dollar (1,22 Milliarden Euro) Einspielergebnis bis heute erfolgreichsten Film der Geschichte ins Kino brachte. „Avatar – Aufbruch nach Pandora“ ist seine Rückkehr zum Spielfilm, und natürlich soll auch „Avatar“ die Regeln des Blockbuster-Kinos neu bestimmen.

Digitale Revolution. Camerons Stoffe sind und waren aus der Liebe zu Mechanik und Physik geboren. Mit seinem Bruder versuchte er schon als Jugendlicher, selbst gebaute Raketen in den Weltraum zu feuern, später wählte er den Weg über das damals noch billige Special-Effects-Kino. In den achtziger Jahren führte sein Weg über die Killerfische von „Piranhas II“ zu „Terminator“ und „Aliens“. Camerons digitale Revolution begann erst mit der animierten Wassersäule in „The Abyss“ (1989). Seine Drehbücher verloren dabei mehr und mehr an Bodenhaftung, während die Filme selbst immer erfolgreicher wurden. Auf den Quecksilberrausch von „Terminator 2“ folgten Atombombenküsse in „True Lies“ – und 1997 die Untergangsvision „Titanic“.

Nun ist Cameron dort angekommen, wohin sich Computeranimationsfilme seit einem Jahrzehnt nur mühsam und unter enormen Kosten hintasten: „Avatar“ spielt mit der Verschmelzung von Computerbildern und der Darstellung menschlicher Akteure. Diese Fusion ist Programm und Thema des Films. Camerons Held Jake Sully (Sam Worthington) ist ein querschnittgelähmter Marine, der auf Pandora mit seinem Geist in einen Avatar schlüpfen soll, um die Welt der Na’vi zu erforschen. Der Avatar, den die Chef-Wissenschafterin (Sigourney Weaver) gezüchtet hat, ist eine genetische Kreuzung aus Mensch und Na’vi – und Jake, der ihn im Schlaf steuert, ein Doppelagent. Großkonzernen im All ist nicht zu trauen, noch weniger ihren Privatarmeen, das weiß man seit „Aliens“. Jake soll helfen, die Na’vi von ihrem Land zu vertreiben, unter dem ein kostbares Mineral abgebaut werden soll.

Jakes Entwicklung vom unbedarften Ex-Soldaten zum Kämpfer an der Seite der Na’vi gibt die Akteinteilung des Films vor. Die Reise in die Wunderwelt der Na’vi ist in ihrer Verknotung von Imaginärem und Realem so reizvoll, dass man sich wünschte, Cameron hätte sich mehr Zeit dafür genommen, die darin angelegten Fragestellungen ernsthaft zu erkunden. Doch meist ist er nur mit visuellen Effekten, reinem Kitsch und tausend technischen Herausforderungen beschäftigt.

Die erste war die Entwicklung einer leichten 3-D-Kameratechnik. Aber auch in den rein computergenerierten Sequenzen (die zwei Drittel des Films bilden) wirken die Bilder nun viel unaufdringlicher als in den anderen großen 3-D-Filmen dieses Sommers – keine nebensächliche Frage, wenn man einen fast dreistündigen Actionfilm plant. Die eigentliche Pionierleistung liegt jedoch in der Übertragung von Bewegung und Mimik der Akteure, deren Messpunkte mit einem künstlichen Datenmodell ihrer jeweiligen Na’vi-Gesichter verbunden wurden. Die Verfeinerung der Technologie beruht auf den Verfahren, die Peter Jackson für „Herr der Ringe“ und „King Kong“ entwickelt hat, aber Camerons Wesen haben nun tatsächlich einen kleinste Nuancen abbildenden, lebendigen Gesichtsausdruck. Das Vergnügen beim Betrachten dieser Bilder wird nicht kleiner, wenn man sich vor Augen hält, dass ihre Quelle nur Einsen und Nullen darstellen.

Der massive technische Aufwand steht in einem paradoxen Verhältnis zu Camerons Feier der Einfachheit und der allumfassenden Naturverbundenheit. Der schlichte Plot von „Avatar“ inszeniert den Angriff einer Hightech-Kultur auf ein unterlegenes indigenes Volk. Aber im kriegerischen dritten Kapitel des Films sieht es so aus, als führte Cameron mit seiner Kinomaschine auch einen Kampf gegen die komplexeren Motive seiner Erzählung. Man kann davon ausgehen, dass es nicht bei diesem Film bleiben wird. Kassenerfolg vorausgesetzt, wird „Avatar“ zur vielteiligen Kinosaga werden, die Skizze dazu liegt schon in Camerons Schublade – auf den Merchandising-Plattformen, von Action-Puppen bis zum Computerspiel, ist die Offensive längst eröffnet. Wie berückend „Avatar“ sein könnte, wird in der direkten Begegnung des menschlichen, winzig erscheinenden Jake mit seiner Na’vi-Prinzessin sichtbar. Ihre Worte erzählen vom Wunsch aller Liebenden, vom anderen erkannt zu werden. Es ist der finale Triumph der Technik, der sie glaubwürdig sagen lässt: „I see you.“