Ein Mann, Kanzler Stocker, steht vor einem Bild und spricht in Mikrofone
Regierung

Der Bürgeranwalt: Wie Christian Stocker Land und Koalition führen will

Der neue Kanzler ist knapp zwei Wochen im Dienst. Was wir schon jetzt über sein Amtsverständnis wissen.

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Nein, es „reißt“ ihn nicht, wenn er mit „Herr Bundeskanzler“ angesprochen wird, sagt Christian Stocker, „aber ungewohnt ist es schon.“ Seine Familie unterstütze ihn, seine Frau, die er seit der Schulzeit kennt, sieht er derzeit allerdings seltener. Freitagvormittag sitzt der Bundeskanzler – dunkler Anzug, Seidenkrawatte, weißes Stecktuch, die braunen Schuhe im Farbton etwas zu hell – im prächtigen Kongress-Saal des Kanzleramts – Luster, Spiegel, Stuckdecke – und erteilt der anwesenden Berichterstatter-Schar erstmals seit seiner Ernennung ausführlich Auskunft. 

Die Öffentlichkeit muss sich an den unwahrscheinlichsten Kanzler in der Geschichte des Landes noch gewöhnen. Stockers höchstes Amt war bisher der Posten des Vizebürgermeisters in Wiener Neustadt. Als Generalsekretär der ÖVP habe er immerhin internationale Kontakte gepflegt, wendet er ein. Das ist nicht nichts. Stimmt schon. Aber mit Frankreichs Staatspräsidenten Emmanuel Macron im Europäischen Rat zu parlieren, der einen Atomwaffen-Schirm über Europa spannen will, ist dann doch etwas anderes als die Sanierung der Gemeindefinanzen von Wiener Neustadt. Hätte ihm jemand zu Jahresbeginn prophezeit, er würde Bundeskanzler werden, hätte er es selbst nicht geglaubt. Aber jetzt ist er es nun einmal und daher folgt er seinem Lebensmotto, das da lautet: „Fange nie an aufzuhören, höre nie auf anzufangen.“

Der Ruhestifter

Knapp zwei Wochen ist Christian Stocker, demnächst 65, nun im Amt. Man konnte in dieser kurzen Zeit schon einiges über sein Amtsverständnis erfahren, etwa in Zusammenhang mit dem Plan der Regierung, den Familiennachzug für Asylberechtigte auszusetzen und ein Kopftuchverbot für muslimische Mädchen einzuführen. Dass Gerichte diese Maßnahmen aufheben könnten, nimmt Stocker in Kauf. Hätte er in seinem Zivilberuf als Anwalt nur Prozesse geführt, von denen er wusste, er würde sie sicher gewinnen, wäre dies seinen Mandanten nicht dienlich gewesen, sagt er. Es gehe um die Interessen der Bürger, und daher müsse man das Risiko, dass eine Regelung der Regierung EU-Recht widerspreche, in Kauf nehmen. Aus einem allfälligen Gerichtsentscheid könne man auch Hinweise gewinnen, wie eine rechtskonforme Lösung der Problematik möglich sei. Christian Stocker, der Advokat aus Wiener Neustadt, sieht sich in seiner politischen Funktion also als Bürgeranwalt. Heißt auch: Er respektiert rechtsstaatliche Verfahren und deren Ergebnisse, im Unterschied zu FPÖ-Obmann Herbert Kickl, der bereit gewesen wäre, Verurteilungen durch EU-Gerichte zu ignorieren.

Mit der FPÖ wolle er sich nicht mehr beschäftigen, sagt Stocker. Kickl habe seine Chance auf das Kanzleramt vergeben. Die fünf guten Jahre, die der FPÖ-Obmann den Österreichern im Wahlkampf versprach, würden dennoch kommen – unter der ÖVP-SPÖ-Neos-Regierung.

Weniger Message Control

Um die 1,4 Millionen FPÖ-Wähler will Stocker werben. Diese hätten „Sorgen und Nöte“ wie alle anderen Bürger. Der Bundeskanzler scheint zu Amtsantritt vor allem eines zu wollen: nach den wochenlangen Auseinandersetzungen wieder Ruhe ins Land bringen. Österreich sei, wie er sagt, eine „Konfliktdemokratie“ geworden. Er wolle das Land wieder zur „Konsensdemokratie“ machen. 

Konsens soll es auch in der Koalition geben. Die Regierung sei „rasch ins Tun gekommen“, sagt Stocker und führt als ersten Punkt ausgerechnet die Mietenbremse und damit ein SPÖ-Thema an. Offenbar versteht er die Regierungsarbeit nicht als innerkoalitionären Wettbewerb, wie Sebastian Kurz dies tat. Mit obsessiver Message Control aus dem Kanzleramt ist eher nicht zu rechnen.

Christian Stockers gebrochenes Versprechen, Herbert Kickl keinesfalls zum Kanzler zu machen, ist vorerst kein Thema mehr. Am 29. März wird er in Wiener Neustadt offiziell zum Bundesparteiobmann gewählt werden. Auch die ÖVP will jetzt wieder zur Ruhe kommen.

Gernot Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.