Der Rechtskräftige

Der Rechtskräftige: Wolfgang Brandstetter ist der mächtigste Justizminster seit Langem

Porträt. Wolfgang Brandstetter ist der mächtigste Justizminister seit Langem

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Zwei Juristen, eine Freundschaft: Anfang der 1980er-Jahre arbeiteten die Jung-Doctores Michael Spindelegger und Wolfgang Brandstetter, beide Niederösterreicher, als Assistenten beinahe Tür an Tür an der Wiener Fakultät für Rechtswissenschaften. Spezialgebiet: Strafrecht. Der eine beschloss, die Verwaltungslaufbahn einzuschlagen, und wechselte in den niederösterreichischen Landesdienst. Der andere verschrieb sich der Wissenschaft, wurde Universitätsprofessor und arbeitete zusätzlich als Strafverteidiger. Man blieb in Kontakt, auch über die gemeinsame katholische Cartellverbindung Norica, auf deren Bude regelmäßig Politprominenz zu Gast war. Einmal referierte dort der damalige Generalsekretär des ÖVP-Wirtschaftsbunds, Wolfgang Schüssel. Auch der seinerzeitige Klubobmann der SPÖ, Heinz Fischer, war zu Gast. „An beide Vorträge kann ich mich gut erinnern“, sagt Wolfgang Brandstetter.

Rund 30 Jahre danach, am 16. Dezember 2013, vereidigte der heutige Bundespräsident Heinz Fischer Wolfgang Brand­stetter als Justizminister der Republik Österreich. Und dieser legte gleich los: Seit März war Brandstetter im Auftrag seines Freundes und Chefs Michael Spindelegger damit beschäftigt, das Fiasko um die Kärntner Hypo-Bank Lege artis abzuwickeln. Normalerweise wirkt Justizpolitik ja mittelfristig, doch Brandstetters Krisenmanagement schlug unmittelbar ein: Der Freistaat Bayern sieht sich enteignet, die österreichische Finanzwirtschaft gelegt. Kein Zweifel: Der karenzierte Universitätsprofessor für Wirtschaftsstrafrecht ist der einflussreichste Justizminister seit Jahrzehnten.

Dass das neue „Gesetz über Sanierungsmaßnahmen für die Hypo Alpe-Adria Bank International“ (HaaSanG) einen solchen Wirbel verursacht (der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble knöpfte sich vergangene Woche seinen Amtskollegen Spindelegger vor), kann Brand­stetter nicht nachvollziehen: „Die Bundesregierung hat bereits im März angekündigt, was jetzt umgesetzt wird: dass nicht allein die Steuerzahler, sondern auch Investoren an der Lösung für die Hypo beteiligt werden.“

Klagen angekündigt
Und das nicht zu knapp: Die Bayerische Landesbank muss 800 Millionen Euro abschreiben. Gläubiger von nachrangigen Hypo-Anleihen, darunter die Crème de la crème der heimischen Finanzwirtschaft, verlieren 890 Millionen Euro – trotz Landeshaftung. Brandstetter bleibt angesichts der angekündigten Klagen cool: „Dass Gesetze in diesem Rechtsbereich verfassungsrechtlich angefochten werden, ist ein ganz normaler Vorgang.“

Mag sein, freilich mit einem Unterschied: Kassiert der Verfassungsgerichtshof wie im Jahr 2013 eine Regelung zur autonomen Einhebung von Studiengebühren durch die Universitäten, ärgern sich Rektoren und der Wissenschaftsminister. Heben die Höchstgerichte in naher Zukunft das HaaSanG auf, ist schlagartig die gesamte Regierung rücktrittsreif – und der Republik droht ein weiterer Milliardenschaden.
Zumindest ließen Kanzler, Vizekanzler und Justizminister nichts unversucht, das Gesetz wasserdicht zu gestalten. Da im Finanzministerium aufgrund der einmaligen Komplexität der Materie nicht genug Know-how vorhanden war, setzte Spindelegger Brandstetter als Spiritus rector ein, obwohl das Justizressort fachlich nur teilzuständig war. Der Justizminister nutzte seine Kontakte und engagierte internationale Anwaltssozietäten mit Spezialwissen. Brandstetter bleibt bescheiden: „Ich war mit meinem Haus an der Koordination des Prozesses beteiligt.“

Nachdem ihm ÖVP-Obmann Spindel­egger im Dezember das Regierungsamt angetragen hatte, bat Brandstetter um einige Tage Bedenkzeit. Er beriet sich mit seiner Frau, wog die erwartbaren Belastungen für Familienleben und Gesundheit (der Neo-Minister kämpfte vor Jahren mit Lungenproblemen) gegen die Attraktivität der Herausforderung ab und sagte schließlich zu. Zuvor hatte er noch diskret bei der SPÖ-Spitze angefragt, was diese denn von seinem Wechsel in die Politik halten würde.
Schon Brandstetters erste Auftritte machten klar: Hinter der mitunter onkelhaften Ausstrahlung steckt großes Vertrauen in das eigene Können. Ministerneulinge sind schon mit mehr Spundus vor ihrem hohen Amt gestartet. Brandstetter: „Manchmal ertappe ich mich bei dem unbescheidenen Gedanken, in dieser Situation nicht ganz der falsche Mann für diese Funktion zu sein.“

Rekrutiert wird im Freundeskreis
Die Berufung des Justizministers zeigt die größte Stärke des ÖVP-Chefs in der Führung seiner Partei – und gleichzeitig dessen gefährlichste Schwäche. Denn innerparteilich wird Spindelegger vorgeworfen, zu wenig zu kommunizieren und nur seinem engsten Kreis zu vertrauen: meist männlichen Mitarbeitern, die ihm seit Jahren assistieren, wie etwa sein früherer Kabinettschef und nunmehriger Finanzstaatssekretär Jochen Danninger. So ist es nur allzu verständlich, dass Spindelegger Spitzenpersonal weniger aus Teil-, Landes- oder Vorfeldorganisationen seiner Partei rekrutiert als aus seinem Freundeskreis. Da wirkt es auch nicht karriere­hemmend, wenn jemand kein ÖVP-Parteibuch besitzt, so wie Brandstetter. Das im katholischen Cartellverband gepflegte Prinzip der „Amicitia“, der lebenslangen Freundschaft, bildet die festere Vertrauensbasis.

Mag von Spindeleggers Obmannschaft dereinst nicht mehr in Erinnerung bleiben als „Entfesselung“ und der Kampf gegen Vermögensteuern – als Headhunter punktete er wie kein Obmann zuvor in der jüngeren Parteigeschichte. Außenminister Sebastian Kurz erweist sich als größtes Talent seit Josef Pröll und wird – je nach Lauf der Dinge – nächster oder übernächster ÖVP-Obmann und Kanzlerkandidat. Familienministerin Sophie Karmasin zeigte als Quereinsteigerin rasch politische Trittsicherheit. Ihr hatte Spindelegger im Dezember immerhin den allseits anerkannten Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle geopfert, den er selbst im April 2011 in die Regierung geholt hatte. Und Wolfgang Waldner, vom ÖVP-Obmann als Außenamts-Staatssekretär in das schwarze Regierungsteam berufen, half entscheidend mit, die dem Untergang geweihte Kärntner ÖVP zu stabilisieren.

Laut ÖVP-Insidern ist Brandstetter mittlerweile in den engsten Kreis um Spindelegger vorgerückt. Bei Ministerratsvorbesprechungen meldet sich der Justizminister auch zu ressortfremden Themen. Selbst bei der koalitionären Brisanzbombe „Steuerreform“ soll Brandstetter dem Vizekanzler konsultierend zur Seite stehen.

In seinem eigenen Bereich hat Wolfgang Brandstetter im ersten halben Jahr mehr Reformen angekündigt und teilweise bereits auf den Weg gebracht als seine beiden Vorgängerinnen Claudia Bandion-Ortner und Beatrix Karl in ihrer kompletten Amtszeit. Als Erstes delegierte er das Weisungsrecht des Ministers gegenüber den Staatsanwälten an einen Weisenrat. Parallel dazu arbeitet eine von ihm eingesetzte Expertenkommission an einer Neuregelung des Weisungsrechts. Brandstetter selbst würde den viel kritisierten Passus am liebsten abschaffen.

Strafvollzug mit „massiven Schwächen“
Ebenfalls auf der Agenda stehen Reformen des Strafgesetzbuchs und der Strafprozessordnung, die Auflösung der Vollzugsdirektion, eine Neuregelung des sogenannten Maßnahmenvollzugs für psychisch kranke Straftäter und die Errichtung einer Jugendstrafanstalt. Bis Herbst möchte Brandstetter Eckpunkte für ein neues Mietrecht vorlegen – ein Mammutprojekt, an dem die heimische Politik seit Jahrzehnten scheitert. „Es kann ja nicht sein, dass es für die junge Generation heute so schwer ist, leistbaren Wohnraum zu finden“, meint Brandstetter. Er selbst habe als junger Familienvater einst auch von einer Wohnbeihilfe profitiert.

Als das Wiener Stadtmagazin „Falter“ Mitte Mai über einen psychisch kranken Häftling berichtete, der in der Strafanstalt Stein schwer vernachlässigt worden war, reagierte der Minister prompt: Er sei „traurig und betroffen“, sagte Brandstetter und suspendierte umgehend drei Mitarbeiter des Gefängnisses. Dieser Fall zeige, dass es im Strafvollzug „massive, auch strukturelle Schwächen“ gebe, die umgehend beseitigt werden müssten. Wie zäh das System ist, erfuhr Brandstetter bald darauf: Die Disziplinarkommission im Ministerium musste die Suspendierung der drei Beamten wieder aufheben.

Brandstetters Krisenmanagement war trotzdem erheblich besser als jenes seiner Vorgängerin Beatrix Karl. Nach der Misshandlung eines 14-jährigen Häftlings in der Justizanstalt Josefstadt hatte die Ministerin spröde festgestellt: „Strafvollzug ist nicht das Paradies.“ Es war wohl nicht zuletzt diese unsensible Aussage, die sie das Amt kostete.

Der neue Minister gehe mit sehr viel Elan an die Probleme heran, lobt der Grüne Justizsprecher Albert Steinhauser: „Man hat wirklich den Eindruck, dass da jemand seine Arbeit macht und sehr viel ändern will.“ Die Frage sei allerdings, ob dem Reformeifer irgendwann auch konkrete Taten folgen würden. „Brandstetter ist in der ÖVP nicht verwurzelt und denkt nicht in parteipolitischen Schablonen, was grundsätzlich sehr für ihn spricht“, meint Steinhauser: „Aber das bedeutet auf der anderen Seite, dass er in der ÖVP keine Hausmacht hat und absolut abhängig von Michael Spindelegger ist.“
Nicht wenige Quereinsteiger starteten mit leuchtenden Augen – um dann auf halbem Weg an der Realität zu zerschellen. Brandstetter hat so viel angezettelt, dass er auch ziemlich spektakulär scheitern kann. Seine politische Erfahrung beschränkt sich auf eine Amtsperiode als Gemeinderat in seinem niederösterreichischen Heimatort Eggenburg. Dort war er vor zehn Jahren unter anderem für das Ressort Tourismus verantwortlich und kämpfte im Auftrag des Bürgermeisters gegen die Schließung des Bezirksgerichts im benachbarten Horn. Vermutlich war der Gemeinderat keine sehr harte Schule, aber zumindest eine Vorbereitung auf kommende Mühsal in der Bundespolitik. Das Bezirksgericht in Horn gibt es immer noch.
Innerparteilich könnte es helfen, dass der Neue für die Karrieristen in der ÖVP keine Bedrohung darstellt. Brandstetter hat wenig Talent für spektakuläre Auftritte und ist nicht erkennbar eitel. Obwohl er als Strafverteidiger gut gebucht war und prominente Klienten betreute, kannte ihn außerhalb des Justizbetriebs kaum jemand. Dafür kannte er – dank clamoroser Fälle wie der Inseratenaffäre um Kanzler Werner Faymann und seiner Hypo-Kärnten-Mandanten Wolfgang Kulterer und Tilo Berlin – das politische Geschäft und dessen mitunter unappetitliche Verwicklungen umso besser (siehe Infobox am Ende).

Das Ministeramt betrachtet Brandstetter als Abschluss seiner Karriere, nicht als Anlass, noch einmal neu anzufangen. Er ist 56, wirkt aber älter. Seine Generation, jene der Babyboomer, hat das Konzept des Berufsjugendlichen erfunden. Doch der Minister kokettiert lieber mit dem Gegenteil: „Ich bin in einem Alter, wo ich nicht mehr so viel Zeit habe.“

Brandstetters latente Ruhestandsperspektive bei vergleichsweise niedrigem Alter müsste auch dem Vizekanzler zu denken geben: Michael Spindelegger ist nur zwei Jahre Jahre jünger.

Infobox

Böse Buben
Brandstetters guter Ruf als Verteidiger sorgt nun für eine schiefe Optik.

Rein formal betrachtet ist Wolfgang Brandstetter gar kein Rechtsanwalt. Der Justizwissenschafter absolvierte nie die einschlägige Ausbildung samt Abschlussprüfung. Bis 2008 war das nicht zwingend notwendig – und ein guter Verteidiger kann man auch ohne diese Zusatzqualifikation sein, wie Brandstetter bewies. Vor seiner Berufung zum Jus-tizminister war der Niederösterreicher einer der gefragtesten Strafverteidiger Österreichs und in die meisten großen Wirtschaftsstrafverfahren involviert.

Interessenskonflikte im Amt sind damit vorprogrammiert.

Der prominenteste Mandant war Bundeskanzler Werner Faymann, der sich von Brandstetter in der Inseratenaffäre vertreten ließ. Das Verfahren wegen des Verdachts der Untreue wurde ohne Anklage eingestellt. In erster Instanz freigesprochen wurde Manfred Url, Chef der Raiffeisen Bausparkasse, der sich wegen Insiderhandels vor Gericht verantworten musste. Aktiv wurde Brandstetter unter anderem auch im Libro-, im Bawag-, im Kaprun-, im Immofinanz- und im Wiener Baukartellprozess. In der Affäre um die Hypo Alpe-Adria stand er dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Tilo Berlin als Vertrauensanwalt im Kärntner Untersuchungsausschuss zur Seite. Einige Jahre zuvor hatte sich schon Wolfgang Kulterer an Brandstetter gewandt.

Ein Klient war auch Rudolf Fischer, eine Schlüsselfigur in den diversen Telekom-Prozessen. Fischer wurde – nicht rechtskräftig – zu einer mehrjährigen teilbedingten Haftstrafe verurteilt. Weitere Ermittlungen laufen, und Wolfgang Brandstetter ist als Justizminister weisungsberechtigt. Er hat dieses Recht zwar umgehend an einen Weisenrat delegiert, aber formal bleibt seine Zuständigkeit bestehen.

Am meisten Erklärungsbedarf hatte der Justizminister bei einem anderen Mandanten: Rakhat Aliyev, früherer kasachischer Botschafter in Österreich und einstiger Schwiegersohn des kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew, wird in seiner Heimat des Mordes an zwei Landsleuten beschuldigt. Brandstetter hatte Aliyev bis 2010 betreut und sich allem Anschein nach umfassend um den Mandanten gekümmert. Unter anderem war Aliyev vorübergehend an Brandstetters Wohnadresse in Eggenburg gemeldet. Die Causa erhielt zuletzt zusätzliche Brisanz, weil Aliyev Anfang Juni auf dem Wiener Flughafen verhaftet wurde und derzeit als Untersuchungshäftling in der Justizanstalt Josefstadt sitzt.

Wolfgang Brandstetter hat also auch in eigener Sache sehr gute Gründe, eine Reform des Weisungsrechts möglichst rasch voranzutreiben.

Foto: Sebastian Reich für profil

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.