Zuwanderung

Der syrische Scheich hinter dem Friedensvertrag mit Tschetschenen

Stammesführer Abu Agla schlichtete zwischen tschetschenischen und syrischen Jugendbanden in Wien. profil traf ihn und fragte: Wie funktionieren solche Friedens-Deals?

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Ein renovierter Wiener Altbau im 3. Wiener Gemeindebezirk. Ums Eck liegt die Klinik Landstraße. Ein schwarzhaariger Bursche im Mittelschulalter öffnet schüchtern die Eingangstür mit ihren Glasornamenten und Lichtgittern. Er geleitet ins Wohnzimmer. Es ist ein stilistischer Sprung – vom Gründerzeit-Wien in den arabischen Raum. Das Teppichzimmer wird von einer Bodensitzlandschaft in blauen und cremigen Farben dominiert. In der Mitte steht ein niedriges Tischchen, darauf eine goldverzierte Kanne. Der Kaffee wird serviert, das Gespräch beginnt.

Der Vater des Burschen wartet schon: Abu Agla. „Scheich Abu Agla“, würden seine Landsleute sagen. Oder ihn gleich mit seinem arabischen Titel „Rais maglis alaschair assuria“ ansprechen, was so viel wie „Vorsitzender des Rats der syrischen Volksgruppen“ bedeutet. „Stammesführer“ wäre in seinem Fall politisch korrekt. Denn Stämme oder „Tribes“ spielen in der politisch wie geografisch zerklüfteten Region am Euphrat, an der Grenze zum Irak, eine wichtige Rolle und beteiligten sich im Krieg immer wieder an den Kämpfen.

Krieg und Frieden auf Wiens Straßen

Diesen Einfluss auf seine Landsleute hat der 60-jährige Abu Agla nicht abgelegt, als er Mitte 2023 nach Österreich kam. So wurde er frisch im Land zum Vermittler in einem Konflikt, der zu Sommerbeginn wochenlang für Schlagzeilen sorgte: Jener Bandenkrieg zwischen jungen Tschetschenen und Syrern, der auf Wiens Straßen mit Fäusten, Messern und Schusswaffen ausgetragen wurde und vier Schwerverletzte forderte. Am Ende stand ein Friedensvertrag: „Wir, die Vertreter der syrischen und tschetschenischen Gemeinschaft, kommen heute zusammen, um eine formelle Vereinbarung zu unterzeichnen, die den Konflikt zwischen Jugendlichen unserer Gemeinschaften beilegen soll“, heißt es darin. Aufgesetzt haben das Papier Autoritätspersonen aus den beiden Communities wie Abu Agla.

Clara Peterlik

Clara Peterlik

ist seit Juni 2022 in der profil-Wirtschaftsredaktion. Davor war sie bei Bloomberg und Ö1.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.