Der Tag, an dem Lena Schilling offiziell grün wurde
Für Lena Schilling wird es ernst, und das zeigt sich an diesem Wochenende vor allem an zwei Momenten. Zuerst am Freitagabend, um 21:50 Uhr. Lena Schilling, 23, steht an einer Grazer Hotelbar und verspricht dem grünen Team: In zehn Minuten, Punkt 22 Uhr, geht sie ins Bett, auch wenn andere Delegierte noch länger fortgehen werden.
Der zweite Moment kommt am nächsten Tag, um 12:50 Uhr. Jetzt steht Schilling, ausgeschlafen, an einem Rednerpult in der Messehalle Graz und verspricht den Anwesenden am grünen Bundeskongresses: Innerhalb von zehn Minuten will sie die Delegierten von sich überzeugen.
Ganz so selbstverständlich ist das nicht, zumindest wäre es das vor Monaten nicht gewesen. Schilling hat, noch als Aktivistin, den Grünen schon Desinteresse für die Anliegen der Straßenproteste vorgeworfen und die Klimapolitik der Regierung oft als zu lasch kritisiert. An diesem Samstag in Graz finden die Aktivistin und die Partei zu einer Symbiose zusammen: Schilling will Spitzenkandidatin bei der EU-Wahl am 9. Juni werden, um der Klimabewegung neues Gewicht zu verleihen. Und die grünen Delegierten wollen eine Listenerste haben, die auffällt und auch jüngere Menschen ansprechen kann.
Zehn Minuten lang zeichnet Schilling also das Bild, dass hier etwas zusammenfindet, das ohnehin längst zusammengehört. Richtig gewurmt hat sie, sagt Lena Schilling, wenn sie von Medien gefragt wurde, warum sie vom Aktivismus in die Politik wechselt. „Weil die Frage nicht stimmt.“ Die Klimaproteste von Schülerinnen und Schüler, das sei auch Politik. Die Lobaubesetzung, das sei auch Politik. Jede Petition sei Politik. Jetzt steigt aber Lena Schilling eben auch in die Parteipolitik ein.
Sie hat sich darauf vorbereitet, in den vergangenen Wochen Landesorganisationen und Events besucht. An diesem Samstag versucht sie in ihrer Rede beides zu verbinden: Den Wunsch, im technischen Europaparlament grüne Politik zu machen. Und die oft chaotische, basisdemokratisch organisierte Proteststimmung von der Straße. „Ihr seid die einzigen, auf die man sich beim Klimaschutz verlassen kann“, sagt Schilling. Sie wechselt zwischen „wir“ und „ihr“ und versucht ihr Aktivistinnen-Image zu pflegen: Sie nennt Aspekte vom Österreich-Plan von Karl Nehammer „scheiß zynisch“. Sie befindet, „das Problem ist der Privatjet“, und sie lässt vor allem am Ende besonderes viel Pathos einfließen: „Lasst uns das Unmögliche möglich machen und ehrlich daran glauben, dass wir für eine bessere Welt kämpfen können.“ Mehrmals verspricht sie an dem Tag, immer auch „ein bisschen frech, ein bisschen goschert“ zu sein.
Am Ende erhält sie 96,55 Prozent der Stimmen, neun Delegierte waren dagegen. Schilling holt Junge der Grünen für ein „bisschen peinliches Selfie“ auf die Bühne.
Verschobener Bundeskongress
EU-Politik ist planbar, vor allem im Vergleich zur österreichischen Innenpolitik, der Wahltermin stand also schon lange fest. Und doch ist es eine erstaunlich kurzfristig zusammengestellte Liste, die in Graz gewählt wird. Eigentlich hätte der Bundeskongress im Dezember stattfinden sollen, aber es fehlte eine Spitzenkandidatin. Ministerin Leonore Gewessler sagte ab, Regierungskollegin Alma Zadić wollte nicht, und auch andere konzentrieren sich lieber auf die Nationalratswahl. Die Partei verschob den Bundeskongress auf Februar. Offiziell, um in politisch aufgeheizten Zeiten den Wahlkampf nicht zu früh zu entfachen. Inoffiziell, um noch Kandidatinnen zu finden.
Vor allem: eine Spitzenkandidatin, Lena Schilling.
Aber auch auf den anderen Listenplätzen war es gar nicht so einfach, jemand passenden zu finden. Michel Reimon sagte, empört über die Verschiebung des Bundeskongresses, ab. Von den jetzigen Abgeordneten will nur Thomas Waitz im EU-Parlament bleiben, er kandidierte in Graz für Platz zwei (und erhielt am Ende 97 Prozent). Sarah Wiener und Monika Vana verabschieden sich. Für Platz musste sich relativ kurzfristig noch jemand finden. Die oberösterreichische Landtagsabgeordnete Ines Vukajlović ist die Präferenz der Partei, sie erhält aber noch Konkurrenz aus Wien. Die Delegierten wähle sie Samstagnachmittag mit 69 Prozent auf Platz drei.
Es wird aber auch am 9. Juni ein Kampfmandat. Derzeit haben die Grünen drei Mandate im EU-Parlament und selbst die Partei geht nicht fix davon aus, dass sie alle halten können.
Gewählt wurde übrigens mit einem gewöhnlichen Wahlzettel, weil das elektronische Abstimmsystem nicht funktionierte. Eine Abstimmung konnte an dem Tag also nicht geklärt werden, die Testfrage: „Mein Herz schlägt für: Hunde, Katzen, Frösche, alle Tiere - oder ungültig“.