Der Überlebensguide zum Wahljahr: Durchatmen und misstrauisch bleiben
Das Superwahljahr 2024 könnte die österreichische Politiklandschaft ordentlich durcheinanderwirbeln. Am Programm stehen die Gemeinderatswahlen in Salzburg und Innsbruck, die EU-Parlamentswahl und die Nationalratswahl. Dazu kommen noch Landtagswahlen in der Steiermark und Vorarlberg.
Es ist mit jeder Menge Desinformation, mit Spins und “strategisch notwendigem Unsinn” (kurz SNU) zu rechnen. Mit den fünf Tipps des profil-Guides kommen Sie unbeschadet durch dieses Jahr.
Dabei werden auch diese Fragen geklärt: Warum sollte man Wahlprogramme sehr genau studieren? Und wie glaubwürdig sind Koalitionsansagen und Umfragen?
1. Wahlprogramme ernst nehmen
Selbst für Politik-Enthusiasten mag das aufwändig klingen. Doch es lohnt sich, im Vorfeld der Wahlen genau zu prüfen, welches Programm die Parteien propagieren.
Entgegen der landläufigen Meinung, dass sich Politikerinnen und Politiker ohnehin nicht an das halten, was sie versprechen, werden rund 55 Prozent der Wahlversprechen in den Wahlprogrammen späterer Regierungsparteien „zumindest teilweise auch umgesetzt“, sagt Politikwissenschaftlerin Katrin Praprotnik im profil-Gespräch: „Sie sind die Grundlage für Regierungshandeln.“
Die Politikwissenschafterin weiß, wovon sie spricht: Sie hat 2000 Wahlversprechen in Österreich von 1990 bis Ende 2013 untersucht und herausgefunden: „Wahlprogramme von späteren Regierungsparteien haben hohe Relevanz in der künftigen politischen Arbeit. Insbesondere Wahlversprechen, die in das Koalitionsabkommen hineinverhandelt werden, werden häufiger umgesetzt.“
Ein Beispiel von vielen: Das 1-2-3-Klimaticket war einer der Wahlkampfschlager der Grünen im Nationalratswahlkampf 2019. Die FPÖ wiederum wetterte im Vorfeld ihrer Regierungsbeteiligung im Jahr 2017 gegen die ORF-Gebühr - die GIS wäre laut türkis-blauen Plänen auch abgeschafft und der öffentlich-rechtliche Rundfunk massiv umgebaut worden, hätte die Ibiza-Affäre nicht die Regierung gesprengt.
2. Koalitionsansagen ignorieren
Seit einem Jahr dominiert die FPÖ die Umfragen, doch eine Regierungsbeteiligung ist ungewiss. Nicht nur Bundespräsident Alexander Van der Bellen schließt eine Angelobung des FPÖ-Chefs aus, auch ÖVP, SPÖ, Grüne und Neos geloben öffentlich, unter keinen Umständen mit Kickl koalieren zu wollen.
Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle warnte in der ZIB 2 davor, Herbert Kickl vorschnell abzuschreiben: „Wenn Herbert Kickl eine stabile Mehrheit aufbieten kann im Parlament und sich keine andere Mehrheit findet gegen ihn, dann wird auch der Bundespräsident einlenken müssen und ihn angeloben”, sagte die Politologin.
Auch ein Blick ins Archiv zeigt, warum Koalitionsansagen mit Vorsicht zu genießen sind: Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hatte im Landtagswahlkampf 2023 noch vor der FPÖ gewarnt, und dann doch ein Regierungsübereinkommen mit dem FPÖ-Landesparteiobmann Udo Landbauer geschlossen.
Auch in Salzburg hatte die ÖVP versprochen, nicht mit der FPÖ koalieren zu wollen. Bekanntlich sitzt die Blaue Marlene Svazek nun in der Landesregierung.
Im Jahr 2021 unterschrieben alle ÖVP-Minister eine Erklärung, sie stünden hinter Sebastian Kurz und blieben nur mit ihm im Amt. Sechs von ihnen sind heute noch Regierungsmitglieder unter dem Kanzler Karl Nehammer, der damals ebenfalls unterschrieben hat.
3. Mit gezielter Desinformation rechnen
Desinformation ist eine globale Plage. Im Vorfeld der EU-Wahl und der Nationalratswahl ist verstärkt mit Fake News zu rechnen. Das Ziel: Die Beeinflussung der Wahlen, indem Wut geschürt oder Zweifel an den Kandidaten der Konkurrenz genährt wird. Im Bundespräsidentschaftswahlkampf 2016 verbreitete ein dubioser Online-Blog die bösartige Falschmeldung, Alexander Van der Bellen habe Krebs. Das Team Van der Bellens veröffentlichte daraufhin seine Befunde und stellte klar: Kein Krebs. Die Hintermänner der Fake-Meldung konnten bis heute nicht ausgeforscht werden. Mit der Meldung wollten sie offenbar Van der Bellens Amtsfähigkeit infrage stellen.
Laut dem Weltwirtschaftsforum ist die Beeinflussung von Wahlen durch KI-gesteuerte Desinformation eines der größten globalen Risiken.
Der Desinformations-Analyst Dietmar Pichler sieht das Thema Ukraine im Gespräch mit der APA bei den bevorstehenden Europawahlen im Fokus. Im Vergleich zu anderen Ländern habe sich Österreich laut Pichler nur „oberflächlich“ mit Desinformation befasst. In Finnland werde russische Desinformation etwa schon in Schulen behandelt, darunter auch die Trollfabriken, die vom verstorbenen Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin aufgebaut wurden und noch immer für Verunsicherung sorgen.
Lutz Güllner ist der oberste EU-Kämpfer gegen Desinformation. profil traf ihn vergangenes Jahr in Brüssel. Schon damals wollte sich die EU im Vorfeld der Wahlen gegen Desinformation aus Russland und aus China wappnen, die darauf abzielt Demokratien zu destabilisieren. Das ist nicht nur auf Sozialen Medien ein Problem. Auch „Cyberattacken, gezielte Korruption und Maßnahmen, die manchmal weit in den Spionagebereich hineingehen“, zählte Güllner auf.
Man muss also davon ausgehen, heuer mit Desinformation in Kontakt zu kommen. Die beste Waffe dagegen? Richtig: Kritisch bleiben. Jeder kann Opfer einer Täuschung werden. Insbesondere bei stark emotionalisierenden Postings und Meldungen ist Vorsicht angebracht. Bevor man diese Meldungen teilt und weiterverschickt, sollte man nachrecherchieren: Wer ist die Quelle für die Information? Berichten seriöse Medien auch darüber? Oder wurden die angeblichen Informationen bereits als Falschmeldungen entlarvt? Schauen Sie regelmäßig auf EUvsDisinfo, Mimikama und faktiv, dem Faktencheck von profil vorbei. Achten Sie außerdem unbedingt auf die Rechtschreibung und Orthographie der Meldungen: Kein seriöses Medium würde einer Meldung drei Rufzeichen anhängen und damit versuchen, Panik zu schüren.
4. Umfragen richtig deuten
Sie sorgen für Gesprächsstoff und können Euphorie oder Grabenkämpfe in den Parteien auslösen. Auch wenn sie einen schlechten Ruf haben: Umfragen liest man immer gern – besonders im Wahljahr.
Doch was unterscheidet eigentlich eine gute von einer schlechten Umfrage?
profil hat bei Sozialforscher Christian Glantschnigg vom FORESIGHT-Institut nachgefragt. Grundsätzlich ist Vorsicht geboten: „Umfragen sind eine Momentaufnahme. Je näher sie zur Wahl liegt, desto aussagekräftiger ist sie.“ Bis dahin kann also noch viel passieren. Auch Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache lag zwischenzeitlich in Umfragen auf Platz eins, bei Wahlen war er bundesweit aber bestenfalls Dritter.
Um zu erkennen, ob eine Umfrage vertrauenswürdig ist, rät Glantschnigg, einen Blick auf die Quellenangabe zu werfen. Seriöse Umfragen geben die wesentlichen Daten an. Das sind: Auftraggeber, durchführendes Institut, Anzahl der Befragten, Schwankungsbreite, Untersuchungszeitraum und Befragungsmethode.
Bei Befragungen zur Wahlentscheidung und zur Unterstützung von Kandidatinnen gilt die Faustregel: Liegt das prozentuelle Ergebnis der Kandidat:innen näher beieinander als die doppelte Schwankungsbreite, ist der Unterschied wahrscheinlich nicht signifikant, und man sollte die Namen noch nicht auf Medaillen eingravieren.
Es ist wie bei einem Marathon: Erst wer über die Ziellinie kommt – also das tatsächliche Wahlergebnis – ist entscheidend. Und nicht, wer zwischendurch vorgesprintet ist.
5. Durchatmen
Wenn alles zu viel wird und Sie vor lauter Wahlkampf-Debatten Ihre eigenen Gedanken nicht mehr hören können: Legen Sie das Handy weg und gehen Sie an die frische Luft.
Denn Social-Media-Plattformen sind genau für dieses Phänomen programmiert worden: In permanenter Erwartung einer schlechten Nachricht verspürt man dann den Drang, seinen Feed ständig zu aktualisieren.
Dieser Impuls wird auch als „Doomscrolling” bezeichnet. Der Wunsch, gut informiert zu sein, ist verständlich, doch es bringt Gefahren mit sich, wenn man sich zu lange auf Sozialen Medien und Internetforen aufhält, warnt Digitalexpertin Ingrid Brodnig. Dort lasse man eine ohnehin belastende Situation noch stärker auf sich einwirken.
Das Internet ist nie ausgelesen, und das ist gut so. Versuchen Sie’s gar nicht erst.
Kommen Sie gut durch das Superwahljahr.