Wahlergebnisse

Abwärts in der grünen Achterbahn

Die Verluste der Grünen bei der Landtagswahl in Vorarlberg setzen die Abwärtsfahrt der Partei fort – und die lässt sich nicht nur in Österreich beobachten.

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Es ist der Schlussstein in einer grünen Abwärtsspirale: Mit der Landtagswahl in Vorarlberg am Sonntag ist die Grüne Talfahrt nach der EU-Wahl im Juni und der Nationalratswahl vor zwei Wochen um eine Station reicher: Die Grünen fahren ein Minus von 6,4 Prozentpunkten ein und erhalten 12,5 Prozent der Stimmen. Damit könnte auch die letzte grüne Beteiligung an einer Regierungskoalition in Österreich passé sein, verfügt Schwarz-Grün im Ländle nach dieser Wahl nur noch über eine hauchdünne Mehrheit von nur einem Mandat. Dass sich VP-Landeshauptmann Markus Wallner auf dieses dünne Mehrheitseis begibt, gilt als unwahrscheinlich.

In dem als grünes Kerngebiet geltenden Bundesland ist das für die Grünen besonders bitter: Sie befinden sich dort seit 2014 in einer Koalition mit der ÖVP. Sollte diese nun auch verloren gehen, wäre es für die Grünen besonders schmerzhaft. Vor gerade einmal zehn Jahren waren die Grünen auf Länderebene neben Vorarlberg noch in Tirol und Salzburg, Kärnten und Oberösterreich sowie in Wien in Regierungskoalitionen vertreten. Proporzmäßig sind sie das aktuell noch in Wien und Oberösterreich. Auf nationaler Ebene ist das Bild kaum anders: Bei der Nationalratswahl verloren die Grünen die Hälfte ihrer Wähler:innen von 2019 und scheiden damit wohl aus der Bundesregierung aus.

Absturz nach Höhenflug

Was diesen Absturz von der Talfahrt zur Achterbahnfahrt macht, sind die Jahre davor: Der absolute grüne Tiefpunkt war das Scheitern an der Vier-Prozent-Hürde bei der Nationalratswahl im Jahr 2017 und das damit verbundene Ausscheiden aus dem Hohen Haus. Das währte dank der Ibiza-Affäre jedoch nur zwei Jahre. 2019 gelang schließlich das Comeback mit dem besten Nationalratsergebnis (13,90 Prozent) seit der Parteigründung und die erste grüne Regierungsbeteiligung im Bund. Bereits davor hatten die Grünen bei der EU-Wahl 2019 mit dem als Nachlassverwalter eingesprungenen Werner Kogler ein beachtliches Ergebnis (14,08 Prozent) erreicht.

Nach dem Nationalratswahl-Wiedereinzug konnten die Grünen bei vier darauffolgenden Landtagswahlen in den Jahren 2019 und 2020 noch Zuwächse verbuchen. In Wien sattelte die SPÖ dennoch auf eine Koalition mit den NEOS um und die Grünen flogen aus der Landesregierung. Richtig ins Stottern geraten ist der grüne Motor in den beiden vergangenen Jahren. Nach der Landtagswahl in Tirol im September 2022 war auch dort die grüne Regierungsbeteiligung nach zwei Legislaturperioden Geschichte. Besonders schmerzhaft war dabei der verfehlte Einzug in den Kärntner Landtag, aus dem die Ökopartei 2018 geflogen war. Das blieb den Grünen dann beim dritten Urnengang 2023, in Salzburg, erspart, obwohl man 1,11 Prozentpunkte auf 8,2 Prozent einbüßte. Die Regierungsbeteiligung in Salzburg war jedoch ebenfalls perdu. Die ÖVP setzte in Salzburg auf eine Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen. Und auch in Vorarlberg könnten die Freiheitlichen in der Landesregierung folgen.

Grüne Talfahrt in ganz Europa

Österreich steht mit dieser grünen Abwärtsspirale nicht allein da in Europa. Bei den EU-Wahlen  im Frühjahr 2024 konnte die grüne Fraktion nur 53 der 720 Sitze gewinnen (2019 waren es noch 74 Sitze), viele der zuletzt starken grünen Parteien der EU-Länder stürzte ab: In Deutschland etwa halbierten sich die Grünen bei der EU-Wahl beinahe von 20,5 auf 11,9 Prozent, in Österreich verloren sie ein Drittel und kamen ebenfalls auf 11 Prozent.

Doch nicht nur die Verluste bei Wahlen vereinen grüne Parteien quer durch den Kontinent. Auch das Ausscheiden aus Regierungen scheint aktuell einem Gesetz der Serie zu folgen.  Traditionell stark waren grüne Parteien in Europa zuletzt im Westen und Norden. Noch 2020 erreichten die umweltbewussten Fraktionen in Österreich, Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Luxemburg und Schweden über 10 Prozent der Wählerstimmen. 

Traum von der neuen Volkspartei

Ein Großteil der daraus entstandenen Regierungsbeteiligungen löste sich zuletzt auf oder hat kaum Aussicht auf Fortführung. 2023 etwa flogen die Grünen in Finnland und Luxemburg aus der Regierung. In Österreich und auch in Belgien sieht es nach aktuellen Verlusten danach aus, als würden die Wahlverluste zum Ende eines Mitregierens führen. Und auch in Deutschland, wo die Grünen 2019 bei der EU-Wahl 20 Prozent der Stimmen und 2021 bei der Bundestagswahl knapp 15 Prozent der Stimmen erreichten und seitdem in der sogenannten „Ampel-Koalition“ mitregieren, deuten aktuelle Umfragen darauf hin, dass der Trend für die nächste Bundestagswahl 2025 nach unten geht. Auch für die deutschen Grünen bedeutet das eine Achterbahnfahrt: Träumte man nach Umfragewerten bei 25 Prozent im Jahr 2021 noch davon, zur neuen Volkspartei zu werden.

Der Traum von der neuen grünen Volkspartei ist also nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa geplatzt. Dafür scheint sich auf der anderen Seite des politischen Spektrums genau dieser Traum dabei zu sein, Realität zu werden: Sollte die FPÖ auch in der nächsten Regierung in Vorarlberg vertreten sein, wäre das neben Salzburg, Niederösterreich und Oberösterreich die vierte Landesregierung.

Judith Belfkih

Judith Belfkih

war zwischen Juli und November vertretende Digitalchefin. Davor in der Chefredaktion der „Wiener Zeitung“.