Eva Glawischnig: Die ungeliebte Parteichefin
Zuletzt ging es ziemlich schnell: Am vergangenen Sonntagabend waren Eva Glawischnig und Flora Petrik noch gemeinsam in der ORF-Sendung "Im Zentrum" gewesen. Man diskutierte höflich, doch für eine Versöhnung reichte es nicht. Am Montag erklärte Petrik ihren Rückzug; die 22-jährige Burgenländerin wird nicht mehr als Chefin der Jungen Grünen kandidieren. Mit ihr verlassen auch die sechs Vorstandskollegen das Gremium. Eva Glawischnig hat gewonnen. Wenn man das so sehen will.
Am Dienstagvormittag kommt Glawischnig mit ein paar Minuten Verspätung in das Büro des grünen Parlamentsklubs. Sie sieht gut aus, perfekt gestylt und fit wie immer. Nach allem, was in letzter Zeit los war, ist das keine Selbstverständlichkeit. Wobei: So viel sei ja eigentlich gar nicht passiert, findet Glawischnig: "Das mediale Getöse ist schon sehr eigenartig", sagt sie. "In jeder Partei wird doch hie und da gestritten."
Das Wort Streit gibt allerdings nicht in voller Pracht wieder, was zuletzt bei den Grünen geboten wurde. Ein letztlich banaler Konflikt mit der eigenen Jugendorganisation ist derartig aus dem Ruder gelaufen, dass man zeitweise nicht mehr recht wusste, ob das Gebotene noch als Politik oder bereits als Kabarett durchging. Am meisten geschadet haben die Aktivitäten der Chefin: Noch nie in Glawischnigs fast neun Amtsjahren als Bundessprecherin gab es aus der eigenen Partei so breite Kritik an ihrer Arbeit wie jetzt. Sogar über eine baldige Ablöse der 48-Jährigen wurde spekuliert -im Schutz der Anonymität zwar, aber selbst das ist bei den Grünen eine neue Qualität. Die Hauptperson konnte sich leider nicht an diesem Gedankenaustausch über ihre politische Zukunft beteiligen, weil ein besonders schwerer Anfall von Birkenpollenallergie sie außer Gefecht gesetzt hatte. Tagelang gab es keinen Mucks von Glawischnig.
Polit-Soap
Den bizarren Höhepunkt dieser Polit-Soap bildete die bereits erwähnte ORF-Diskussion, die einer Familienaufstellung vor großem Publikum gleichkam: Flora Petrik ist die Tochter von Regina Petrik, der grünen Landesvorsitzenden des Burgenlands, die mit Eva Glawischnig im Parteivorstand sitzt. Der PR-Berater Rudi Fußi, ebenfalls im Studio, ist ein dicker Kumpel des grünen Europaparlamentariers Michel Reimon, der im aktuellen Konflikt als Scharfmacher aufseiten Glawischnigs gedient hatte. Moderatorin Claudia Reiterer ist die Ehefrau von Lothar Lockl, früher Kommunikationschef der Grünen, der mit seiner Agentur den Wahlkampf von Alexander Van der Bellen managte und zuletzt (unfreiwillig) als möglicher Nachfolger Glawischnigs gehandelt wurde. Einzig der Politologe Anton Pelinka ist, soweit man weiß, nicht einschlägig verwandt, verschwägert oder eng befreundet. Er muss sich sehr einsam gefühlt haben.
In den Anfangszeiten der Grünen hatte es praktisch zum guten Ton gehört, dass regelmäßig die Fetzen flogen. Doch das ist lange her. Den politischen Kannibalismus überließ man in den letzten Jahren gerne Mitbewerbern wie der ÖVP, die es in dieser Disziplin ja tatsächlich zu einiger Meisterschaft gebracht hat. Ausgerechnet jetzt die alte Streitlust wiederzuentdecken, ist indes keine gute Idee. Wenn nicht alle Experten irren, wird es im Herbst vorgezogene Nationalratswahlen geben. Bis dahin sollten die Grünen noch rasch klären, ob sie sich ganz links oder eher in der Mitte positionieren wollen und wie sich verhindern lässt, dass sie im Titelrennen zwischen SPÖ, ÖVP und FPÖ zum niedlichen Accessoire werden. Für ausgiebige Nabelschau bleibt da eigentlich keine Zeit.
Wütende Proteste
Auslöser des jüngsten Dramoletts war der Beschluss der Jungen Grünen, bei der kommenden Hochschulwahl nicht die GRAS (Grüne und alternative Student_innen), sondern eine eigene Liste zu unterstützen. Nachdem alle Versuche gescheitert waren, Flora Petrik und ihren Mitstreitern diesen Plan auszureden, setzte Eva Glawischnig den Parteinachwuchs kurzerhand vor die Tür. Sie folgte damit im Wesentlichen einem Vorstandsbeschluss. Trotzdem kamen umgehend wütende Proteste aus diversen Ecken der Ökopartei. Tenor: So könne man mit den jungen Leuten nicht umgehen. Mehrere Landesgruppen ließen ausrichten, sie würden mit den Jungen selbstverständlich auch weiterhin zusammenarbeiten. Der Wiener Landessprecher Joachim Kovacs schrieb sogar einen Gastkommentar für die Tageszeitung "Die Presse", in dem er nicht nur die interne Kommunikation kritisierte. Die Parteiführung habe eineinhalb Jahre lang mit einer Jugendorganisation "House of Cards" gespielt, nur um am Ende zu demonstrieren, dass man am längeren Hebel sitze, so Kovacs. Diese öffentliche Stellungnahme sei leider nötig gewesen, erklärt Kovacs ein paar Tage später gegenüber profil. "Wir haben davor einen Brief an die Parteiführung geschickt, aber keine Antwort bekommen."
Am deutlichsten wurde Grünen-Veteran Johannes Voggenhuber: Nicht einmal einen Hund würde man auf diese Art vor die Tür setzen, wetterte er auf Facebook. "Hat denn diese Parteiführung in zehn Jahren noch nicht einmal das politische Handwerk für eine Führungsaufgabe erlernt? Mobbing, Kommunikationsverweigerung, Diffamierung von Kritikern, manipulative Information der Gremien und das autoritäre Einfordern von blinder Gefolgschaft sind jedenfalls kein Ersatz dafür. So hält man sich vielleicht im Sattel, aber man gewinnt kein Rennen."
Voggenhuber fühlte sich einst ebenfalls von der Partei gemobbt und hegt seither tiefen, immergrünen Groll gegen Glawischnig. Das gibt Abzüge bei der Objektivität. Aber eine übermotivierte Studentin wie Flora Petrik hätte nicht derartigen Wirbel auslösen können, wenn Voggenhuber mit seiner Sicht der Dinge ganz alleine wäre. Wie es aussieht, hat sich in den vergangenen Jahren ziemlich viel Frust angesammelt, der endlich an die frische Luft musste. Der Zwist um die Jugendarbeit war bloß ein Anlass, der sich insofern gut eignete, als mit Glawischnig und Petrik zwei Frauen im Clinch lagen. Mann konnte ungestört Partei ergreifen, ohne als Macho dazustehen. Für die politisch besonders korrekten Grünen ist das kein unwichtiges Detail.
Eva Glawischnig ist, gemessen an den nüchternen Fakten, so erfolgreich wie kein Parteichef und keine Parteichefin der Grünen vor ihr. Bei der letzten Nationalratswahl im Jahr 2013 erreichte die Partei 12,42 Prozent. Das war zwar weniger als erhofft - aber dennoch der bisher höchste Wert seit dem Einzug ins Parlament. Mit dem Ruf als ewige Oppositionstruppe ist es vorbei, seit die Grünen in sechs Bundesländern mitregieren. Im Vorjahr gelang es auch noch, widrigsten Umständen zum Trotz, den ehemaligen Parteichef Alexander Van der Bellen in die Hofburg zu bringen.
Glawischnig hat also offenbar einiges richtig gemacht. Doch selbst die größten Fans würden ihr kein Übermaß an Charisma unterstellen. Dass sich die Grünen mit dem Image als spaßbefreite Verbotspartei herumschlagen müssen, liegt ganz wesentlich an ihrer Frontfrau. Glawischnig ist kompetent, freundlich im Umgang und professionell. Was ihr schmerzlich fehlt, ist der Esprit. Mit Witz und Ironie wird derartig geknausert, als handle es sich dabei um zwei Hauptauslöser des weltweiten Gletscherschwunds. Den Bürgern will sie deshalb nicht ans Herz wachsen. Im sogenannten Vertrauensindex, den das Meinungsforschungsinstitut OGM im Auftrag der Austria Presse Agentur erhebt, liegt Glawischnig konstant weit hinten. Zuletzt kam sie auf minus elf Punkte, das ist der zweitschlechteste Wert unter allen Parteichefs; nur Team-Stronach-Boss Robert Lugar hat noch weniger Fans.
Mit innerparteilichen Abweichlern und Querdenkern kann Glawischnig gar nicht. Efgani Dönmez etwa, Oberösterreicher mit türkischen Wurzeln und einstiger Bundesrat der Grünen, wurde aussortiert, weil er über Migration teilweise andere Ansichten hat als das Gros der Kollegen. Auch Peter Pilz, grünes Urgestein und bewährter Korruptionsjäger, liegt mit Glawischnig im Dauerclinch. Seit Jahren fordert Pilz eine schärfere Oppositionspolitik und mehr linken Populismus. Die Chefin hatte zwar bei ihrem Amtsantritt versprochen, "hart und kantig" Oppositionspolitik zu betreiben, versteht darunter aber offenbar etwas anderes und wies den vorlauten Parlamentarier schon mehrfach harsch zurecht. Im Moment genießt Pilz als oberster Enthüller in der Causa Eurofighter Schonzeit. Das Verhältnis zu ihm sei okay, erklärt Glawischnig. "Der Peter und ich sind oft nicht einer Meinung, aber wir machen uns das ganz gut untereinander aus." Pilz knurrt auf Anfrage nur, dass am aktuellen Wirbel in der Partei ausnahmsweise einmal nicht er schuld sei.
Eventuell ist die angespannte Lage, so seltsam das klingen mag, auch eine Konsequenz des glorreichen Hofburg-Wahlkampfs. Die Grünen haben die Kampagne nicht nur großteils bezahlt, sondern Van der Bellen zuliebe auch darauf verzichtet, in dieser Zeit selber Politik zu machen. Penibel wurde darauf geachtet, nur ja kein Thema anzuschneiden, das dem Kandidaten hätte schaden können. Niemand murrte, als Rot-Weiß-Rot auf Van der Bellens Plakaten immer dominanter und sein Habitus immer volkstümlicher wurde. Die gesamte Partei mutierte zu einer Art vorgelagerter PR-Organisation für den Ex-Bundessprecher. Auf die Dauer ist so viel Selbstkasteiung schlecht für die Stimmung, das räumt auch Glawischnig ein. "Normalerweise wäre der Wahlkampf im Mai vorbei gewesen. Es konnte ja keiner wissen, dass es so lange dauern würde." Sie habe sich in dieser Angelegenheit jedenfalls nichts vorzuwerfen. "Mein Job war, Van der Bellen nach besten Kräften zu unterstützen. Genau das habe ich gemacht." Zum Dank dafür kaperte der frischgebackene Präsident gleich noch ein paar wichtige Mitarbeiter der Grünen für sein Team in der Hofburg. Politik ist wirklich keine Branche für Sensibelchen.
Auch die rege grüne Regierungsbeteiligung in den Bundesländern zeitigt keineswegs nur positive Auswirkungen. Wer regiert, hat nun mal andere Sorgen und eine andere Realität als die Kameraden auf der Oppositionsbank. In Vorarlberg etwa stimmten die Grünen jüngst einer Kürzung der Mindestsicherung zu, im Bund wäre Ähnliches nicht vorstellbar. In Wien streiten die Grünen untereinander, ob sie das Immobilienprojekt am Heumarkt (siehe Seite 82) gut finden oder verhindern sollen. Eine Abstimmung läuft -und Eva Glawischnig versucht angestrengt, zur Causa ein paar Worte zu finden, mit denen sie sich nicht in die Nesseln setzt. "Ich habe abgestimmt", verrät sie immerhin, "aber ich werde mich dazu nicht näher äußern." Grundsätzlich sei bekannt, dass sie einen liberalen Zugang zu Innovation in der Stadt habe, erklärt sie anschließend noch.
Für 21. April hat Glawischnig einen Erweiterten Bundesvorstand angesetzt. Dort sollen die Ereignisse der letzten Wochen besprochen und Strategien für die Nationalratswahl erörtert werden. "Es wird Raum für Diskussionen geben, einen heftigen Streit erwarte ich nicht", sagt Glawischnig. Falls es doch krachen sollte: Wenigstens die Birkenpollensaison wird bis dahin vorbei sein.