Interview
„Die Hauptmotive: Rache und Ehre“
In Wien bekriegen sich tschetschenische und syrische Banden auf offener Straße. Dieter Csefan leitet im Bundeskriminalamt seit März die neu geschaffene Einsatzgruppe gegen Jugendkriminalität. Warum die jüngsten, blutigen Kämpfe kein Zufall sind, Wien nicht Berlin ist. Noch nicht.
Von Anna Thalhammer
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Wien wurde vergangene Woche von insgesamt drei bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Syrern und Tschetschenen erschüttert. Zufall, dass das so geballt kommt?
Csefan
Diese Auseinandersetzungen waren grundsätzlich kein Zufall. Darum haben wir schon im März dieses Jahres die Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Jugendkriminalität bundesweit eingerichtet. Wir haben gesehen, dass es im Speziellen in Parkanlagen zu Auseinandersetzungen von Jugendlichen kommt. Seit März sind im Rahmen der Tätigkeit dieser Spezialeinheit mehr als 3800 Anzeigen erfolgt, 913 davon gegen Minderjährige. Insgesamt wurden 334 Personen festgenommen – davon 46 Minderjährige.
Kann man da etwas zu den Nationalitäten sagen?
Csefan
Es sind nicht ausschließlich ethnische Konflikte – es gibt auch Banden, die sich aus verschiedenen Volksgruppen zusammensetzen, wo ein gemeinsames Interesse wie Drogenhandel verbindet. Da sehen wir etwa, dass die Syrer im Vormarsch sind.
Sind diese bewaffneten Bandenauseinandersetzungen ein Wiener Problem?
Csefan
Nein. Es ist de facto im urbanen Raum ein Problem.
Hängen die verschiedenen Auseinandersetzungen vom Wochenende in Meidling und in der Brigittenau zusammen?
Csefan
Das ist noch nicht ganz klar und Gegenstand von Ermittlungen.
Was weiß man bisher darüber? Wo kommen die Waffen her?
Csefan
Die Polizei ist mitten in der Auswertung.
Geht es hier um Communities oder einzelne Straftäter? Ist das systemisch?
Csefan
Wir gehen davon aus, dass es Bandengruppierungen sind, die durchaus hierarchisch gegliedert sind. Wo jeder gewisse Aufgaben hat.
Was für ein Problem haben Syrer mit Tschetschenen und umgekehrt eigentlich miteinander? Die Kämpfe gibt es schon seit Monaten.
Csefan
Die Hauptmotive sind Rache und Ehre, das ist in diesen Volksgruppen kulturell wichtig. Da geht es auch um das Sühnen früherer Gewalttaten. Wenn etwa ein Täter aus der Haft entlassen wird, nachdem er für einen Raufhandel verurteilt wurde, lebt er nach dem Gefängnis durchaus gefährlich, weil er die Rache der Banden fürchten muss. Zwischen Syrern und Tschetschenen hat es in den vergangenen Monaten tatsächlich häufiger Probleme gegeben. Wir sehen, dass diese Auseinandersetzungen abgesprochen sind und der Raufhandel organisiert.
Was weiß das Bundeskriminalamt über die Gruppe 505? Sie war in dieser Auseinandersetzung zentral, auch in der Organisation?
Csefan
Das ist eine der Banden, die wir intensiv beobachten und die immer wieder für Probleme sorgt. Sie geht auf einen syrischen Stamm zurück, und da wären wir wieder bei den Themen Rache und Ehre.
TikTok, Telegram, Social Media. Wer möchte, kann sogar sehr öffentlich beobachten, wenn sich solche Banden verabreden. Hat man da vorher wirklich nichts bemerkt?
Csefan
Das für uns größte Problem ist, dass die Kommunikation über Social Media und Messenger-Dienste läuft, wir aber leider keine gesetzliche Möglichkeit haben, diese Kanäle zu überwachen. Wir fordern das schon lange. Wenn wir diese hätten, könnten wir im Vorfeld schon einiges verhindern.
Auge um Auge, Zahn um Zahn. Das ist ein schier nie enden wollender Kreislauf. Wie will man aus dem ausbrechen?
Csefan
Wir setzen eben auf polizeiliche Präsenz und Repression, gepaart mit Strukturermittlungen. Gerade im Bereich der Jugendkriminalität haben wir gesehen: Wenn es uns gelingt, die führenden Köpfe zu identifizieren und aus dem Verkehr zu ziehen, sind die Banden oft zerschlagen und aufgelöst. Darauf konzentrieren wir uns.
Wie bekommt die Polizei eigentlich Einblicke in diese Communities?
Csefan
So wie bei allen anderen Kriminalitätsformen auch. Einerseits durch laufende Ermittlungen, wo etwa Handys im Nachhinein ausgewertet werden. Das ist oft sehr erleuchtend. Dann haben wir auch ein gut funktionierendes Informantenwesen und stehen mit Personen im Austausch, die Kenntnisse zu den Gruppen haben oder dort aktiv sind.
Wie kommt man an diese Informanten?
Csefan
Nicht zu selten, wenn wir Personen festnehmen, weil sie in Straftaten verwickelt sind und die sich dann ihre Situation verbessern wollen. Da ein Geständnis einen Milderungsgrund darstellt, sprudeln die Informationen bei vielen Festgenommenen plötzlich nur so heraus.
Andere Städte wie Berlin haben schon seit Längerem ein veritables Problem mit Banden. Hat Wien das auch oder bahnt sich das an?
Csefan
Damit das nicht passiert, haben wir diese Spezialeinheit zur Bekämpfung der Jugendkriminalität eingerichtet. Sie verfolgt das Prinzip „Wehret den Anfängen“. Genauso wie bei der Rockerkriminalität, die wir stark beobachten und die darum anders als in Deutschland kein gröberes Problem darstellt. Man kann hier nur mit polizeilicher Präsenz und Repression klar die Fronten abstecken und dem Gegenüber zeigen, dass in Österreich kein Platz für Organisierte Kriminalität und Banden ist.
Gibt es in Wien No-go-Areas? Wo sind sie?
Csefan
Nein. Wenn sich aber Eltern überlegen, ihre Kinder in der Nacht nicht mehr an gewisse Orte gehen zu lassen, ist das kein Schaden.
Favoriten, Meidling, Brigittenau – die Organisierte Kriminalität/Banden scheint bevorzugte Grätzeln zu haben?
Csefan
Wir sehen vor allem, dass diese Auseinandersetzungen oft dort stattfinden, wo die öffentliche Anbindung gut ist: Jägerstraße, Reumannplatz, Meidlinger Bahnhof. Dort überall gab es im vergangenen halben Jahr Konflikte. Die Täter, die wir dann festnehmen konnten, waren oft aus ganz anderen Bezirken. Man verabredet und trifft sich dort.
In der Brigittenau wurden einem Mann vor ein paar Monaten mit einer Machete Hände und Füße abgehackt. Jetzt um die Ecke Schießereien und Messerstechereien – der Drogenhandel blüht dort. Man hat das Gefühl, trotzdem passiert nichts. Warum ist das so?
Csefan
Wir haben dort Schwerpunktaktionen, die werden allerdings von der Bevölkerung nicht immer wahrgenommen. Das liegt daran, dass viel davon in Zivil passiert – oder auch schon in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Man muss die Täter auf frischer Tat ertappen, sonst funktioniert es nicht.
Die Bezirksvorstehung Brigittenau wirft der Polizei vor, zu wenig zu tun. Sehen Sie das auch so?*
Csefan
Nein, das sehen wir nicht so. Das Wichtigste ist, den Finger in die Wunde zu legen, das Problem zu erkennen, zu bekämpfen und nicht zu verleugnen. Dementsprechend führen wir die Schwerpunktaktionen in ganz Österreich täglich akkordiert durch. Auch in der Brigittenau.
„Wir gehen davon aus, dass es Banden sind, die durchaus hierarchisch gegliedert sind. Wo jeder gewisse Aufgaben hat.“
Es ist ja nicht nur für die Bevölkerung in manchen Gegenden gefährlicher geworden – auch für die Polizei. Es kommen vermehrt Schusswaffen oder Messer zum Einsatz. Wie geht man damit um?
Csefan
Grundsätzlich sind alle Polizisten professionell ausgebildet, in solchen Situationen richtig zu handeln. Es stimmt aber, es hat sich zugespitzt, und die Lage hat sich verändert. Die Einsatztruppe zur Bekämpfung der Jugendkriminalität wurde deshalb aus den Expertinnen und Experten der Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität rekrutiert. Sie sind freilich Profis.
Wie ist das eigentlich? Geht es immer um die Zerschlagung von solchen Hotspots oder auch um gezielte Kontrolle, wie das damals beim Drogenhotspot Wien-Karlsplatz war?
Csefan
Nein, in diesem Fall geht es um Letzteres absolut nicht. Sobald wir Hotspots identifizieren, werden diese unverzüglich bestreift und polizeilich bearbeitet.
Gibt es eigentlich eine Zusammenarbeit mit den Communities – so etwas wie Respektspersonen, die man versucht einzubinden? Wie läuft das?
Csefan
Jugendarbeit und Bekämpfung von Jugendkriminalität sind immer etwas, das multidisziplinär ist. Wir sind im Austausch mit allen Stakeholdern: von Sozialarbeitern, über die Jugendwohlfahrt – und auch wichtigen Personen in den Communities. Wir haben auch mehrere Pilotprojekte. Eines davon in Oberösterreich, das sehr erfolgreich ist und das wir ausrollen wollen. Jugendliche haben direkte Ansprechpartner bei der Polizei, die sehr präventiv wirken. Auf deren Expertise kann man dann auch zurückgreifen, wenn es etwa um die Identifizierung von Tätern geht – weil sie die Szene dann ja kennen. Ein anderes sehr spannendes Projekt ist in Wien. Es geht hier um Intensivstraftäter – also solche Personen, die mehr als 30 Straftaten begangen haben. Sie werden von Polizei und Magistrat intensiv betreut – man versucht sie aus verschiedenen Stoßrichtungen engmaschiger zu betreuen. Das ist sehr ressourcenintensiv, aber auch sinnvoll, wenn man dadurch einen Intensivtäter von der schiefen auf die gerade Bahn lenken kann.
Eine Servicefrage für unsere Leser:innen. Wie verhält man sich denn am besten, wenn man zufällig Zeuge einer solchen Auseinandersetzung wird – oder plötzlich auch mittendrin steht?
Csefan
Das Wichtigste ist, sofort den Polizeinotruf zu wählen. Unauffällig verhalten, sich nicht einmischen – der Polizei alle nötigen Informationen zukommen lassen.
*Die Bezirksvorstehung bittet um eine Präzisierung und sagt gegenüber profil: Man sei mit der Arbeit der Bezirkspolizei sehr zufrieden, sei allerdings der Meinung, dass es mehr Ressourcen bedürfe.
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Anna Thalhammer
ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.