Radikalisierung

„Die Islamisten von heute sind cool und anschlussfähig“

Immer mehr radikale Influencer landen in den Social-Media-Feeds von Jugendlichen. Österreich leistet sich eine eigene Doku-Stelle, um das Treiben der Islamisten zu beobachten. Was bringt das?

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„Drei Fakten über das Kalifat, die ihr bestimmt nicht kanntet.“ Rebecca Künast analysiert in der Dokumentationsstelle Politischer Islam ein Video von „Muslim Interaktiv“. Es ist eingängig, auf 1:30 Minuten geschnitten, mit historischen Bildern und Musik unterlegt. Wer es nicht anders weiß, kann sich nach danach keine schönere und gerechtere Welt vorstellen. Doch hinter den salbungsvollen Worten steckt eine Gruppe aus Hamburg, die laut Deutschem Verfassungsschutz „gesichert extremistisch“ ist. Ende April hat sie in Hamburg für die Errichtung eines islamistischen Kalifats demonstriert. So offen traten Islamisten noch nie gegen den „Westen“ und seine „Wertediktatur“ auf – mitten in Europa.

Sie kennt die Influencer aus nächster Nähe

Künast hat in Hamburg Soziologie studiert und als Sozialarbeiterin gearbeitet, bevor sie in der Dokumentationsstelle in Wien anheuerte. Sie lernte die führenden Köpfe von „Muslim Interaktiv“ aus nächster Nähe kennen. Sie tragen stylische Kurzhaar-Schnitte statt langer Bärte, Marken-Shirts statt Prediger-Outfits und haben auftrainierte Muckis statt dicker Bäuche. Künast erlebte mit, wie sie Jugendlichen mit ihren weise klingenden Sprüchen das Gehirn wuschen und danach mit BMW-Korsos begeisterten.

Die Gruppe strahlt längst über Hamburg hinaus. Manche der Videos werden über eine Million Mal geklickt – auch in Österreich. „Als ich Jugendliche in Wiener Parks darauf ansprach, kannten die meisten ihre Videos“, sagt Künast. „Diese Islamisten verstehen es, sich zu verkaufen. Sie wirken cool und sind für Jugendliche dadurch anschlussfähig.“ Die junge Deutsche will das Spiel der Influencer analysieren und durchschauen: „Um eine Gegenerzählung zu finden.“ Die auf TikTok oder Youtube praktisch nicht existiert.

Gut versteckt im Wiener Bobo-Bezirk

Künast trägt in Wirklichkeit einen anderen Namen, weil sie wegen der heiklen Thematik anonym bleiben will. Auch die Dokumentationsstelle im zweiten Stock eines schmucklosen Bürogebäudes im 7. Wiener Gemeindebezirk ist ohne genaue Anleitung nicht zu finden. Es ist das erste Mal, dass ein Journalist Einblick in ihren „Maschinenraum“ erhält; ein schlichtes Bürozimmer mit zwei Bücherwänden, in denen Titel wie „Im Namen des Islam“, „Der Islam und der Westen“ oder eigene Publikationen wie „The Muslim Brotherhood“ und „Politischer Islam auf Gemeindeebene“ fein säuberlich geordnet sind.

Über die tägliche Arbeit von Künast und den anderen elf Vollzeit-Mitarbeitern war bisher wenig bekannt. Was kann diese Doku-Stelle leisten?

Und warum braucht es sie überhaupt neben dem Verfassungsschutz DSN, dessen Aufgabe es ist, Islamisten bis Dschihadisten zu beobachten, zu analysieren und zu verfolgen?

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.