Die Linke und der Weltkrieg: Bücher hinein, Schwert heraus
Als im Kriegswinter 1916 mehr als 10.000 Soldaten unter den Lawinen der Dolomiten erstickten, musste er wieder ran. Je mehr der Stahl geglutet, / je besser ist das Schwert; / je mehr ein Herz geblutet, / je größer ist sein Wert, dichtete der 72-jährige Peter Rosegger auf Propagandapostkasten. Nix da mit Waldheimat und Waldbauernbub jetzt hieß es Farbe bekennen.
Österreichs Künstler und Intellektuelle bekannten zu Kriegsbeginn nur allzu gern Farbe.
Die Wiener Werkstätten, zuvor Hort des Jugendstils und der Art Deco, entwarfen nun Spielkarten mit kriegslüsternen Motiven. Franz Werfel ging im Auftrag des Pressehauptquartiers auf Propagandatour in die Schweiz. Seine spätere Frau Alma, verwitwete Mahler, verdrehte gerade dem jungen Maler Oskar Kokoschka so sehr den Kopf, dass er sich ein Pferd und eine Uniform kaufte und als Freiwilliger an die Front in Galizien ritt. Dort streckten ihn ein Kopfschuss und ein Bajonett-Stich in die Lunge nieder. Kokoschka überlebte und betätigte sich fürderhin lieber als Kriegsmaler.
Kriegsgeil wurden sogar Größen, von denen man das nie erwartet hätte. Ich fühle mich zum ersten Mal seit dreißig Jahren als Österreicher, jubelte Sigmund Freud im Sommer 1914. Der Neutöner Arnold Schönberg trat den Hoch- und Deutschmeistern bei und komponierte Militärmärsche. Sein privater Briefwechsel mit Alma Mahler zeugt von dumpfer Kriegsbegeisterung.
Der Pazifist Stefan Zweig beschrieb die Stimmung im Juli 1914 in seiner großen Biografie Die Welt von Gestern: Wie nie fühlten hunderttausende Menschen, was sie besser im Frieden hätten fühlen sollen: Dass sie zusammengehören.
Am peinlichsten lesen sich die Entgleisungen naturgemäß bei den Lyrikern. Wir immer Bedrohten / wir immer auf Wacht. / Wir kämpfen die Urform der Männerschlacht, schmiedete der spätere Staatsdichter Anton Wildgans wüste Verse.
Richard Dehmel galt als bedeutendster deutscher Lyriker seiner Zeit. Komponisten wie Richard Strauss, Kurt Weill und Arnold Schönberg vertonten seine Gedichte. Jenes, das er zu Kriegsbeginn schrieb und in dem er sich am Bersten eines Schrapnells begeisterte, eignet sich eher nicht zur Vertonung: Unsre grauen Kähne, / haben weiße Zähne. / Die blitzen los auf jeden Schuft / der nach des Kaisers Flagge pufft. Der Berliner Literat Ernst Lissauer war für Stefan Zweig der preußischeste Jude, den ich kannte, und der gutmütigste Mensch, den man sich denken konnte. Als London in den Krieg eintrat, drängte es Lissauer zu einem Hassgesang gegen England: Wir haben alle nur einen Hass, wir lieben vereint, wir hassen vereint, / wir haben alle nur einen Feind: England. An den Fronten wurde der viel publizierte Hassgesang zur Grußformel Gott strafe England verkürzt.
Der Arbeiterdichter Alfons Petzold (Foto) (Das rauhe Leben) wurde aus gesundheitlichen Gründen nicht eingezogen, trieb es dafür mit der Feder umso wilder: Die Bücher hinein, das Schwert heraus, / schussfreudig die blanke Büchse. / Und losgeritten im donnernden Braus, / auf die französischen Füchse. Petzold betete sogar: O dass ich könnte jetzt in jeder Kugel sein, / die fröhlich zischend ein rotes Menschenherz grüßt. Einige Monate zuvor hatte sich der Dichter an die Sozialdemokratische Partei gewandt, weil er klamm war. Der Parteivorstand genehmigte ihm einen einmaligen Betrag von 500 Kronen und wies die Arbeiter-Zeitung an, ein Mal pro Monat ein Gedicht Petzolds zu veröffentlichen.
In Wien-Simmering ist ein Gemeindebau, in Wien-Liesing eine Gasse nach Petzold benannt.