Der damalige Innenminister Karl Nehammer und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (beide ÖVP) 2020 an der österreichischen Grenze. Auch große Menschenbewegungen können laut Entwurf eine Krise bedeuten.
Österreich

Die mühsamen Verhandlungen von Türkis-Grün am Beispiel Krisengesetz

Erst am Dienstag präsentierte die Regierung ihre Pläne für den richtigen Umgang mit Krisen. Akute Krisen haben den Gesetzesbeschluss bisher verzögert - aber nicht nur die.

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Am Morgen des 9. November 2021 kam eine kleine, überparteiliche Runde im Bibliothekshof des Parlaments zusammen – und die Voraussetzungen für dieses Treffen waren ungewöhnlich gut. Die Koalitionsparteien hatten sich auf einen Gesetzestext geeinigt, sogar die Erläuterungen waren schon geschrieben. Die Abgeordneten Karl Mahrer von der ÖVP und David Stögmüller von der Grünen stellten der Opposition an diesem Novembermorgen ihre Pläne vor: In Österreich sollte endlich gesetzlich geregelt sein, wie eine bundesweite Krise definiert ist, wer die Vorsorge treffen muss und wo im Ernstfall die Informationen zusammenlaufen.

In dem Entwurf war eine Verfassungsänderung vorgesehen, Türkis-Grün brauchte also die Stimmen von SPÖ oder FPÖ. Im Februar sollte das Gesetz mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden. Zum ersten Mal seit Langem waren sich alle anwesenden Parteien einig: Dieses Krisensicherheitsgesetz ist notwendig und wird wohl eine breite Mehrheit erhalten, selbst wenn es einige kleine Änderungswünsche gab. Die Regierungsparteien verabschiedeten sich also mit Optimismus und einem Versprechen: Spätestens im Jänner 2022 werde man einander wiedersehen. Doch dann passierte – nichts.

„Das war das letzte Mal, dass ich etwas davon gehört habe“, berichtet der rote Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner heute nicht ohne Erstaunen. Und Douglas Hoyos von den NEOS findet: „Das ist keine Art. Ich bin wirklich verärgert.“
 

Erst am Dienstag, dem 8. November, meldete sich die Regierung mit einem neuen Entwurf zurück –  genau ein Jahr nach dem Treffen im Parlament. Innenminister Gerhard Karner, Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (beide ÖVP) und Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) präsentierten ihre überarbeiteten Pläne. Der Gesetzestext soll nun sechs Wochen lang in Begutachtung gehen. Bald soll auch eine zweite Runde mit der Opposition stattfinden.

Es war und ist nicht das erste Mal, dass die Regierung Maßnahmen und Zeitpläne ankündigt, um dann hinter den eigenen Erwartungen zu bleiben. Der mühsame Weg zum Krisensicherheitsgesetz zeigt deutlich, wie viele Hürden es in der Regierungsarbeit gibt. Denn wenn sich ÖVP und Grüne so lange nicht einig werden, obwohl die Voraussetzungen so gut sind, wie soll es dann bei umstritteneren Materien gehen?

Ein Blick auf die Chronologie zeigt eines der großen Hemmnisse von Türkis-Grün. Die Geschichte des Gesetzes beginnt am 28. August 2020: Sebastian Kurz, damals Kanzler und ÖVP-Chef, meldete sich mit einer großen Ansprache aus einer kleinen Sommerpause zurück. Seine wichtigste Ansage war zugleich eine massive Fehleinschätzung: „Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Corona-Krise kürzer andauern wird, als viele Experten ursprünglich vorhergesagt haben.“ Kurz erinnerte auch an einen Plan, den ÖVP und Grüne auf Seite 164 in ihrem Regierungsprogramm festgeschrieben hatten. „In manchen Situationen haben wir gesehen, dass wir eine bessere gesetzliche Grundlage für effektives Handeln in Krisenzeiten brauchen“, sagte er. Und: „Wir werden daher als Bundesregierung ein neues Krisensicherheitsgesetz erarbeiten.“

Dann wurde es allerdings still um das Vorhaben, und zwar lange 14 Monate. Erst am 26. Oktober 2021, dem Nationalfeiertag, kündigte wieder ein Bundeskanzler das Gesetz an. Er hieß nur dieses Mal anders: Alexander Schallenberg. Die Neuerung sei „ein großer Meilenstein für die Sicherheit“. Karl Nehammer, damals an der Spitze des Innenministeriums, präsentierte Pläne für ein riesiges Krisenlagezentrum im vierten Untergeschoss des Hauses.

Dann begann die zweite Rochade in der Volkspartei, und dieses Mal hatte sie massive Auswirkungen auf die Verhandlungen. Nehammer wechselte ins Kanzleramt, Karl Mahrer zur ÖVP Wien. Im vergangenen Sommer wurde Lucas Weigerstorfer, bisher sicherheitspolitischer Berater im Bundeskanzleramt, zum Kabinettschef im Landwirtschaftsministerium. Dabei lobten ihn auch Grüne als absoluten Kenner der Krisen-Materie. Mit jeder Personalbewegung rutschte das Gesetz auf der Prioritätenliste weiter hinunter. Insgesamt nur zehn Termine gab es seit Beginn der Gespräche, erzählt ein Verhandler. „Irgendwann ist das Thema einfach versandet.“ Am Ende mahnte sogar Bundespräsident Alexander Van der Bellen eine Einigung ein.

Die grün geführten Ministerien ließen sich allerdings auch Zeit. Das Gesetz war eine Initiative der ÖVP. Wenn sie bei dem Thema vorankommen wollte, musste sie sich auch in anderen Fragen bewegen. Der kleine Koalitionspartner hat weniger Ministerien und will Verhandlungsmasse taktisch nutzen. Die unabhängige Meldestelle gegen Polizeigewalt ist zum Beispiel nach wie vor nicht umgesetzt.

Die ÖVP vermutet, dass die Grünen bei manchen Details absichtlich eine Einigung verzögerten. Im Gesetz ist zum Beispiel ein neuer Top-Job vorgesehen, der des Krisenberaters oder der Krisenberaterin. Diese Person soll für fünf Jahre ernannt werden, dem Kanzleramt unterstellt sein und dem Nationalrat Auskünfte erteilen. Im Ernstfall übernimmt sie eine Schlüsselfunktion. Weil die Kompetenzen nicht klar definiert waren, stufte das Beamtenministerium von Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) die Stelle auf einer Ebene mit Abteilungsleitern ein. Viel zu wenig Gehalt für zu viel Verantwortung, fand die ÖVP. Nun sollen die Aufgaben klarer festgelegt werden und die Funktion auf einer Ebene mit Sektionschefs sein. Das bedeutet ein monatliches Bruttogehalt von mindestens 10.000 Euro.

Bitter ist auch, dass ausgerechnet eine weitere Krise dann das Krisensicherheitsgesetz weiter verzögerte. „Alle Involvierten waren mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und seinen Auswirkungen beschäftigt“, sagt ein Verhandler. Die Gasbevorratung, die Sicherheitsaspekte, die Energiefragen hätten wichtige Ressourcen gebunden. Am Ende entschied man sich, die ersten Monate des Krieges abzuwarten und neue Erkenntnisse im Krisenmanagement in das Gesetz einfließen zu lassen.

„Besser, die Verhandlungen dauern lange, und dafür ist es ein guter Entwurf – und davon gehe ich aus“, sagt Christian Stocker, Sicherheitssprecher der ÖVP. Einige Details hätte man eben noch überprüfen müssen. Zum Beispiel die Frage, ob das Bundesheer hauptverantwortlich für die Prävention ist. Die Grünen betonen, dass es nicht nur um innere Sicherheit im klassischen Sinne geht. „Es geht auch um Bildung, Energie, Medikamente. In diesen Bereichen muss Österreich resilienter werden“, findet Stögmüller.

profil liegt ein überarbeiteter Entwurf vor. Eine Krise ist demnach eine „Gefahr außergewöhnlichen Ausmaßes für das Leben und die Gesundheit der Allgemeinheit, die öffentliche Ordnung und Sicherheit“ sowie für die „Umwelt oder das wirtschaftliche Wohl“. Die Gefahr muss den Bund dazu zwingen, sofort einzugreifen. Ein Hochwasser in Salzburg ist es also nicht, eine Naturkatastrophe müsste in weiten Teilen Österreich stattfinden. Auch Terrorismus, Pandemien oder große „nationale und internationale Menschenbewegungen“ sind mitgemeint, genauso wie Energiekrisen oder soziale Gefahren.

Den Krisenfall ruft die Regierung aus, der Hauptausschuss im Parlament stimmt mit einfacher Mehrheit zu. Unabhängig von der Gefahrenlage soll ein kleines Team ständig im Lagezentrum arbeiten und die Situation beobachten. In regelmäßigen Abständen besprechen sich eigene Ausschüsse zu Gesundheit, Umwelt und Energiewirtschaft. Neu ist, dass es auch einen Vize-Krisenberater bzw. eine Vize-Krisenberaterin geben wird. Die Person wird einen eigenen Ausschuss leiten, in dem Vertreter der drei Nachrichtendienste Österreichs sitzen.

So steht es im Entwurf. Ein Gesetz wird daraus allerdings nur, wenn die Regierung die Opposition noch überzeugen kann.

Update: Der Artikel wurde am 8. November nach der Präsentation der Regierung aktualisiert.

Iris Bonavida

Iris Bonavida

ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.